Lichtwellenleiterverbindungen

Dachau – Ein Blick, und man sieht: Der Mann hat Power! Unter den staubigen Arbeitsklamotten zeichnen sich ordentlich Muskeln ab. „Der Stuhl wackelt, da musst du mal ran!“, sagt Marion Dlask (59) zum staubigen Kraftpaket, das fröhlich erwidert: „Klar, mach ich Dir!“ Der Macher ist Jakub (32) und sitzt gerade am Wohnzimmertisch der Familie Dlask in Dachau.
Zwei Sätze, und man merkt: Hier plaudern zwei Freunde miteinander. Marion Dlask wird konkret: „Unsere Familie bekam mit Jakub einen zuverlässigen, liebenswerten und stets hilfsbereiten Freund. Jakub ist immer da, wenn man ihn braucht.“
Die Geschichte dieser Freundschaft beginnt 2015. Die große Flüchtlingswelle spült auch Jakub ins Land. Aus seiner Heimat Iran kommt er via Türkei und die Balkanroute nach München. Schließlich landet er in der Unterkunft in Karlsfeld. Jakub ist nicht sein richtiger Name. Den möchte er nicht nennen, „um meine Familie in der Heimat zu schützen“, wie er sagt. Sein Vater ist tot, die Mutter und sechs Geschwister sind daheim geblieben, eine Schwester hat es nach Australien verschlagen.
Von einem Freund erhält er irgendwann einen Tipp, dass es in Dachau eine Frau gibt, die sich um Geflüchtete kümmert. Sie heißt Dagmar Stephan und hat 2016 in Eigeninitiative ein Projekt aus der Taufe gehoben, für das sie 2019 die Bürgermedaille der Stadt Dachau erhielt. Ein Mitglied ihres Tutorenteams ist Marion Dlask.
Die Mitarbeiter des Projekts bieten zunächst nur Sprachkurse an. Heute unterstützten sie überwiegend Geflüchtete bei deren Ausbildung. „Das Ziel des Projektes ist es, motivierten Geflüchteten ein Zusatzangebot zu bieten. Wer nicht regelmäßig kommt oder lernt, der muss den Platz freimachen für andere, die lernen wollen. Denn die Kapazitäten sind sehr begrenzt. Fördern und fordern heißt die Devise“, so Dlask.
Das sei nicht so einfach, wie es klinge, fährt sie fort. Schließlich gibt es heutzutage viele Berufsfelder. „Und wir haben nicht die Fachkräfte“, so die Deutschlehrerin. Aber es funktioniert. Bestes Beispiel: Jakub.
„Er hatte den notwendigen Biss“, so Dlask, die Jakub von Anfang an begleitet. „Ich hatte einfach das Interesse, immer mehr und mehr zu lernen“, meint der 32-Jährige. Schließlich findet der Iraner zum September 2017 einen Job als Elektroniker-Azubi in der Firma Svistek in Karlsfeld, die dem Schwager und dem Neffen von Marion Dlask, Erich und Florian Dlask, gehört. Das Unternehmen für Elektrotechnik, das unter anderem Ladeinfrastruktur, Photovoltaikanlagen und Energiespeicherlösungen anbietet, sucht händeringend einen Lehrling – und findet ihn in Jakub. Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung. Trotz allen Fleißes, „er hätte die Ausbildung nicht geschafft, wenn wir ihm nicht geholfen hätten“, so Dlask.
Das Problem ist die Sprache. Genauer, Wörter wie Lichtwellenleiterverbindungen oder Blindleistungskompensation. Oder ein Berufsschullehrer, der aus dem tiefsten Niederbayern stammt, mit dem entsprechenden Dialekt. Jakub selbst spricht nach sechs Jahren in Deutschland passabel die deutsche Sprache und kann deutsch geschriebene Texte lesen. „Das genügt aber nicht, wenn man in einer so schweren Sprache als Ausländer eine Fachausbildung macht“, so Marion Dlask. Sie bräuchten einfach mehr Zeit und Unterstützung. Als sie wegen Jakub bei der Berufsschule nachhakte, hieß es dort nur: Das ist in der Prüfungsordnung nicht vorgesehen.
Lichtwellenleiterverbindungen hin, niederbayerisch gefärbter Unterricht her, im Februar 2021 besteht Jakub seine Prüfungen. Er wird freigesprochen und erhält seinen Gesellenbrief. Und von seiner Firma übernommen wird er auch. Als Sahnehäubchen obendrauf findet er im Frühjahr 2020 „mit Riesenglück“, wie er meint, eine Wohnung in Dachau. Dort lebt er zusammen mit seinem Papagei Mona. Mona kann sprechen: Persisch und Deutsch, Fachwörter sind dem Vogel Gott sei Dank fremd.
Stellt sich die Frage: Was kommt jetzt? Dem Geflüchteten ist eine Duldung nach der sogenannten 3-plus-2-Regelung erteilt worden. Das heißt, er hat einen Anspruch darauf, nach seiner Ausbildung mindestens zwei Jahre lang als Fachkraft weiterbeschäftigt zu werden. Dennoch macht er sich Sorgen, ob er sein Leben in Deutschland verbringen darf. Er würde sehr gerne bleiben. „Jetzt möchte ich erst mal arbeiten“, sagt er. „Und später vielleicht eine Familie gründen.“

Eine Art Ersatzfamilie hat er bereits gefunden – bei den Dlasks. Dort ist er oft zu Gast. „Meine Tochter Lisa sagt, sie hat jetzt einen großen Bruder“, so Marion Dlask. Weil Jakub „handwerklich alles drauf hat“, erledigt er im Haushalt kleinere Reparaturarbeiten oder schaut im Garten nach dem Rechten. „Ich möchte gerne etwas zurückgeben und mich auf diese Weise für das bedanken, was die Dlasks für mich getan haben“, so der 32-Jährige.
Die Dlasks wiederum haben die große Sorge, dass ihr Freund irgendwann abgeschoben wird. Marion Dlask schüttet diesbezüglich ihr Herz aus: „Ich kann nicht verstehen, weshalb wir Menschen abschieben, die sich hier integriert haben und die unserer Gesellschaft einen echten Mehrwert bieten, indem sie Lücken im Handwerk schließen, die wir Deutsche nicht mehr füllen können. Dass viele Geflüchtete ihre Ausbildung nicht schaffen, ist meiner Meinung nach nicht in erster Linie ihr Verschulden, sondern das liegt auch an hohen Hürden und mangelnder Unterstützung. Und wenn unser Recht fordert, dass ausgerechnet solche Menschen abgeschoben werden müssen, dann ist das für viele Mitbürger in diesem Land nicht mehr nachvollziehbar. Hier schneiden wir uns doch ins eigene Fleisch.“