Gela Allmann stürzte 800 Meter in die Tiefe - und ist zurück im Leben

Indersdorf/Grasbrunn - Komplett kaputt. Ihr Körper war zertrümmert. Vor zwei Jahren ist die Extremsportlerin Gela Allmann in Island abgestürzt. 800 Meter in die Tiefe. Heute steht sie wieder mitten im Leben.
Steil nach oben. Das war die Richtung von Gela Allmanns Erfolgskurve. Vor drei Jahren jagte ein Gipfel den nächsten. Ein Sieg den anderen. Die Bergsportlerin pendelte zwischen Modelshootings und Profirennen im Skitourengehen hin und her. „Es hat sich angefühlt wie der Höhepunkt meines Lebens“, sagt die 32-Jährige heute. Bis zu jenem Tag im April 2014, der alles veränderte.
Die Sonne scheint, das Wetter ist herrlich. Ein Modeljob in den verschneiten Bergen Islands. Gela Allmann will für ein letztes Bild posieren, geht mit den Skiern auf dem Rücken einen schmalen Grat entlang. Der Hang ist vereist. Gela Allmann verliert den Tritt und stürzt, schlittert den 40 Grad steilen Hang hinab – schneller und schneller. Sie überschlägt sich. Prallt gegen Felsen und Eis. Ihr Kopf ist völlig klar, sie bekommt alles mit. Erst bricht das rechte Knie, dann die linke Schulter, das linke Knie. Ihr Körper zerbricht.
Heute, mehr als zwei Jahre später, sitzt sie in einem Café in ihrem Heimatort Indersdorf (Kreis Dachau). Über den Unfall hat sie schon oft gesprochen – viel lieber spricht sie aber über die Zeit nach dem Sturz. Darüber, wie ein junger Mensch so ein Erlebnis überwinden kann. Über den Kampf zurück ins Leben. Gela Allmann lacht viel – laut und herzlich. Ein ansteckendes Lachen. Sie ist eine schöne junge Frau. Aber nicht nur model-schön. Sie sieht glücklich aus.
In Indersdorf ist sie aufgewachsen, heute lebt die 32-Jährige in Grasbrunn (Kreis München). An diesem Freitag wird sie in ihrem Heimatort ihre Geschichte erzählen, ihren Film und ihr Buch vorstellen (19.30 Uhr, Aula der Mittelschule, 10 Euro Eintritt). Das Buch, in dem auch die Gedanken aufgeschrieben sind, die ihr während des Absturzes durch den Kopf gingen. Damals war sie sich sicher, dass es ihre letzten Gedanken sind.
Der Unterschenkel fliegt ihrem Gesicht entgegen – so als wäre er längst nicht mehr mit ihrem Körper

verbunden. Ihre Haut platzt auf, die Hauptarterie im rechten Oberschenkel reißt. Gela Allmann hat nur noch einen Wunsch: endlich bewusstlos werden. Doch sie wird nicht bewusstlos. In den dunkelsten Momenten ihres Lebens sind ihre Gedanken voller Liebe. Sie sind bei Mann Marcel, der immer drauf bestanden hat, dass sie nie im Streit auseinandergehen. Der immer Angst hatte, ihr würde etwas Schlimmes zustoßen. Sie sind bei ihren Eltern. Der Gedanke, dass sie sie nie wiedersehen wird – er zerreißt ihr das Herz.
Ihr Absturztag ist ihr zweiter Geburtstag
800 Meter unterhalb der Absturzstelle bleibt sie an einer flachen Stelle liegen. Eine senkrechte Kante zum Abgrund, keine hundert Meter entfernt. Sie hätte den sicheren Tod bedeutet. Hätte. Ihre Begleiter alarmieren damals sofort Hilfe. Es kommt ihnen wie eine Ewigkeit vor, bis endlich der Hubschrauber da ist und Allmann ins Krankenhaus geflogen und operiert wird. Ihr Absturztag ist für sie inzwischen so etwas wie ein zweiter Geburtstag. Der Tag hat ihr eine neue Sicht aufs Leben gebracht. „Ich bin so unendlich dankbar.“ Dankbar, dass sie leben darf. Und demütig. „Ich wollte immer höher, schneller, weiter. Heute weiß ich: Man muss die kleinen Dinge im Leben schätzen.“
Mit kleinen Dingen meint sie zum Beispiel jeden noch so winzigen Fortschritt, den sie seit ihrem Unfall erreicht hat. Sie hat vieles hinter sich. Neun Stunden Not-OP. Die Ärzte sprachen von einem Wunder. Weil sie ihr rechtes Bein retten konnten. Und weil Gela Allmann nicht innerlich verblutet ist. Ein halbes Jahr lang war sie nach dem Absturz stationär in Kliniken. Und hat für sich einen Weg gefunden, sich zurück zu kämpfen. Es gibt kaum ein Foto aus dieser Zeit, auf dem sie nicht ihr mitreißendes Lächeln zeigt. Mit gebrochenen Knochen ans Bett gefesselt: sie lächelt. Im Rollstuhl: sie lächelt. Später im Bikini und eingeschienten Beinen: ein Sommerlächeln. Die Unterstützung von Freunden und Familie gab ihr Kraft. Jeden Tag rang sie um Fortschritte, trainierte hart. Nur abends kamen oft die Tränen. Es waren Tränen, die ihr bei der Verarbeitung geholfen haben. Runterziehen lässt sie sich nie. „Ich hab mir dann glückliche Fotos angeschaut und mich wieder motiviert.“
Noch heute geht sie dreimal die Woche für drei Stunden zur Reha und zweimal zur Physiotherapie. Seit diesem Mai kann sie dank eines transplantierten Nervs wieder normal gehen. „Und ich bin einfach nur mega mega mega froh darüber.“ Wieder dieses ansteckende Lachen. Das rechte Knie ist immer noch eine Baustelle: keine Bänder, kein Meniskus, der Knorpel „hochgradig kaputt“. Wenn sie länger als eine Stunde geht, hat sie Schmerzen. Rennen geht nicht. Keine 50 Meter weit. Nicht leicht, für ein Energiebündel wie Gela Allmann. In Gedanken hat sie sich immer wieder zu ihrem Lieblingsort gebracht. Sie wollte das Gefühl haben, das nur Berggipfel in ihr auslösen können. Sich frei fühlen. Diese Vorstellung hat ihr Kraft gegeben in ihrem Krankenbett, gefangen in ihrem zertrümmerten Körper. Es hat sie beim Training in der Reha angetrieben. Für die Extremsportlerin war es keine Frage, ob sie wieder auf einem Gipfel stehen wird – es ging nur um das Wann.
Gela hat ihren Frieden geschlossen
Nur vier Monate nach dem Unfall ist es so weit: Sie steht zusammen mit ihrem Mann wieder auf dem Taubenstein im Kreis Miesbach. Die Gipfel um den Spitzingsee sind ihre liebsten. Ihren Ärzten hatte sie davon nichts erzählt. „Ich wollte es mir beweisen.“ Geglaubt hätte das nach ihrem Sturz niemand. Nur sie selbst. Das

ist es auch, was sie jetzt anderen mit auf den Weg geben will. Bei ihren Vorträgen zum Beispiel: „Wenn man wirklich etwas will, findet man immer einen Weg.“ Sie will Menschen ermutigen, an sich zu glauben.
Vor ein paar Monaten, im Juli, stellt sich Allmann dem Ort, an dem sie beinahe gestorben wäre. Sie reist mit ihrem Mann nach Island. „Ich wollte mit dem Ort Frieden schließen.“ Und sie wollte sich bedanken. Bei dem Bergführer und bei der Krankenschwester, die sich damals um sie kümmerten. „Natürlich war es hart, da zu sein.“ Ihr Körper zeigt ihr das. Einen ganzen Tag schmerzt das Knie so sehr, dass sie nicht laufen kann. „Da hat die Seele wahrscheinlich gesagt, heute sitzt du mal nur und lässt das mal alles sacken.“ Zusammen mit dem Bergführer steht sie wieder an der Stelle, an der sie damals liegenblieb. „Das war arg.“ Sie hat sich ein paar Steinchen von dem Berg mitgenommen, um eine Kette draus zu machen. Was Schönes eben, Optimistin wie sie ist. Und so wie sie es mit ihrer Schicksalsgeschichte auch gemacht hat.
Noch dreimal die Woche geht Gela Allmann heute auf einen Gipfel, trotz kaputten Knies. Sie kann nicht anders, will nicht anders. Hier oben ist sie frei. Runter bringt sie allerdings die Gondel.
Das Buch
„Sturz in die Tiefe“ von Gela Allmann ist im Piper Verlag erschienen. 288 Seiten, 19,90 Euro; ISBN: 978-3-89029-465-0.