Ein großer Gewinn für die Lokalgeschichte

Dachau - Das Buch „Nach der ‚Stunde Null’ II. Historische Nahaufnahmen aus den Gemeinden des Landkreises Dachau 1945 bis 1949“ ist jetzt in Bergkirchen vorgestellt worden: Vor rund 100 Gästen gab es Geschichten rund um Freiheit, Arreste, Musik - und einem schrecklichen Klackern.
Die Jugend traf sich im Dachauer Café Ludwig Thoma in der Münchner Straße. Mit konventioneller Tanzmusik und den neuen, von den Amerikanern mitgebrachten Musikstilen des Jazz, Swing, Blues und Dixieland entwickelte sich das Café zum angesagten Treffpunkt der Nachkriegszeit, zu einem Symbol für Freiheit und Lebensfreude. Auch Max Baumüller verfiel der kraftvollen Musik aus den Staaten: „Glenn Miller, Benny Goodman, das war ein Traum“, erinnert sich der 85-Jährige.
Es sind Geschichten wie diese, lustige wie erschütternde, die das Buch „Nach der ‚Stunde Null’ II. Historische Nahaufnahmen aus den Gemeinden des Landkreises Dachau 1945 bis 1949“ erzählt. Der Anstoß für das „Gemeinschaftsprojekt“, wie Mitherausgeber Norbert Göttler das über 520 Seiten starke Werk bezeichnet, kam aus den Gemeinden. Nach dem ersten, 2008 erschienenen Band, der einen Überblick über die Nachkriegszeit in Dachau lieferte, äußerten viele Geschichtsinteressierte den Wunsch, auch aus ihren Heimatgemeinden berichten zu dürfen.
Herausgeberin und Mitautorin Annegret Braun bündelte die Beiträge und fasste sie zu einem gemeinsamen Buch zusammen. „Als die Idee entstanden ist, war noch nicht klar, ob überhaupt genügend Aufsätze und genügend Stoff da sind“, gibt Braun zu. Doch am Ende steht ein Werk mit 28 Autoren, die auf vielfältige Art und Weise Aspekte der Nachkriegszeit aus ihren Gemeinden schildern.
Eine der Autorinnen ist Ursula Kohn. Sie liest am Abend der Buchvorstellung aus ihrem Aufsatz über die Nachkriegszeit in Odelzhausen, den sie unter Mitarbeit von Simbert Greppmair verfasst hat. Sie berichtet über den kommissarisch von den Amerikanern als Bürgermeister eingesetzten Michael Renner, der später wegen Waffenfunden kurzzeitig inhaftiert wurde. Da die GIs nicht wussten, wohin mit dem Mann, baten sie ihn um einen Vorschlag für seine Arrestierung. Renner schlug den Huber-Wirt vor - und verbrachte seinen dreitägigen Arrest beim Schafkopf in der Wirtsstube, ehe er in das Amt des Bürgermeisters zurückkehrte.
Franz Thaler, Jahrgang 1936, berichtet von seinen Kindheitserinnerungen in Röhrmoos. Vom Tabak, den seine Familie unerlaubterweise im Garten anbaute, um ein Tauschmittel für den Schwarzmarkt zu besitzen. Von der Odyssee zur Beschaffung neuer Dachplatten, die erst nach unzähligen Tauschgeschäften den Weg aufs Dach fanden. Und von der Kohle, die er als Schüler für den Ofen mit ins Klassenzimmer brachte, um im Winter nicht bei Minusgraden pauken zu müssen.
Die Beiträge des Sammelbandes sind in jeder Hinsicht unterschiedlich. Manche sind verfasst von Historikern, andere von interessierten Laien. Manche basieren auf Zeitzeugen-Interviews und persönlichen Erinnerungen, andere wagen eine analytische Gesamtbetrachtung. „Doch gerade von dieser Vielfalt lebt das Buch“, betont Braun. Auch Bernhard Schossig, Herausgeber der Reihe Dachauer Diskurse, in der das Werk veröffentlicht wurde, bezeichnet das multiperspektivische Ergebnis als „großen Gewinn für die Lokalgeschichte“.
Dazu gehören auch die negativen Erinnerungen, von denen Inge Bortenschlager aus Feldgeding berichtet. Sie hat mit Zeitzeugen aus ihrem Heimatort gesprochen, denen besonders das „merkwürdige Klackern“ in Erinnerung geblieben ist, mit dem sich die Häftlingszüge nach Dachau ankündigten. Es handelte sich um das Geräusch von Holzschuhen, das die Zeugen von damals nach dem Anblick der ausgehungerten KZ-Insassen und der gefürchteten SS-Wachen nie wieder vergessen konnten.
Cornelia Reim beschäftigte sich mit einem positiveren Aspekt: dem Musikleben in der Nachkriegszeit. Nach ihrem Vortrag spielen die Dachauer Hausmusikanten. An der Quetschn sitzt einer von Reims Protagonisten: Max Baumüller. Er hat sich seine Musikalität bis heute bewahrt. Auch Dank Glenn Miller, Benny Goodman und Kneipen wie dem Café Ludwig Thoma.
(dg)