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Abgeschobene Familie Esiovwa: „Völlig allein“ in Nigeria

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Von: Christiane Breitenberger

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Große Sorgen bereitet der abgeschobenen Familie Esiovwa ihr neues Leben in Nigeria. Die Kinder leiden unter Durchfall und vermissen ihre Freunde.
Große Sorgen bereitet der abgeschobenen Familie Esiovwa ihr neues Leben in Nigeria. Die Kinder leiden unter Durchfall und vermissen ihre Freunde. © privat

Im Juli wurde die Familie Esiovwa mit drei Kindern nach Nigeria abgeschoben. Was aber passiert, nachdem der Flieger gelandet ist – in einem der Familie völlig fremden Land? Ein Gespräch mit Vater und Tochter zeigt, mit welchen Problemen sie vor Ort zu kämpfen haben.

Karlsfeld/Lagos – „Wir kommen nach wie vor nicht gut zurecht, wir kämpfen jeden Tag“, so beschreibt Nicolas Esiovwa die Situation für seine Familie in Nigeria – ein Land, das seine drei Kinder Claudia (6), Gabriel (10) und Stefanie (11) nicht kennen und er selbst vor über 20 Jahren verlassen hat. Die Kinder seien müde. Ständig. Und nicht mehr fröhlich.

76 Tage ist es her, dass Familie Esiovwa nachts aus ihrer Wohnung in Karlsfeld abgeholt und nach Nigeria abgeschoben wurde. Der Fall der Familie sorgte für viel Aufregung im Landkreis Dachau, Hunderte Menschen demonstrierten, eine Spendenaktion wurde ins Leben gerufen. Das Ziel: die gut integrierte Familie zurückzuholen.

Doch während die Empörung im Landkreis groß war, war die Familie gezwungen, sich in Nigeria zurechtzufinden. Die Familie konnte in Lagos, wo sie gelandet war, keine Wohnung finden. „Das war viel zu teuer“, erzählt Nicolas Esiovwa. Weil es sich die Familie nicht anders leisten konnte, musste sie ins Delta ausweichen. „Das dauert ungefähr so lange wie von München nach Berlin zu kommen“, beschreibt es Esiovwa. Das Hauptproblem sei die „katastrophale Straße, auf der sie auch öfter Menschen kidnappen. Diese Straße kann man nur mit der Gnade Gottes passieren, ohne gekidnappt zu werden“.

Fast alle Familienmitglieder krank, ärztliche Versorgung schlecht

Unglücklich: Familie Esiovwa lebt nach ihrer Abschiebung in einem Haus in Nigeria. Eine sichere Stromversorgung gibt es dort nicht, ebenso wenig Internet.
Unglücklich: Familie Esiovwa lebt nach ihrer Abschiebung in einem Haus in Nigeria. Eine sichere Stromversorgung gibt es dort nicht, ebenso wenig Internet. © Privat

Ihre Wohnung, in der die Esiovwas jahrelang in Karlsfeld gelebt haben, bezeichnen sie als Zuhause. In dem Haus, das sich die Esiovwas nun im Delta gemietet haben, fühlen sie sich nicht wohl. Das große Problem: Es gibt keinen Strom. „Wir mussten uns einen Generator kaufen, der war sehr teuer,“ so Esiovwa. Das Stromproblem wirkt sich auch auf Gabriels Gesundheit aus: Er hat Schwierigkeiten wegen seines Asthmas. Wenn er nachts aufwacht, „können wir ihm nicht so helfen wie in Deutschland“. Es fehlt für alles der Strom. „Wir mussten jetzt schon zwei Inhalatoren kaufen, weil er so Schwierigkeiten hat, zu atmen.“

Doch auch dem Vater selbst geht es schlecht, was er erst nach vielen Nachfragen zugibt. Die Medikamente, die ihm in Deutschland wegen seiner Autoimmunerkrankung „so gut geholfen haben, bekomme ich hier nicht“. Seine Beine seien teils so geschwollen, dass es ihn „in die Knie zwingt“. Zum Arzt zu gehen, könne er sich nicht leisten, eine Krankenversicherung gebe es dort – wie vieles andere, das er aus Deutschland kennt – nicht. Die Medikamente, die Schmerzmittel, die er dort bekommt, „sind gefährlich für meine Leber“.

Ein Grund, wieso er nicht gerne über sich selbst spricht, ist, dass er sich „viel mehr Sorgen um seine Frau und seinen Sohn macht“. Seine Frau habe nach wie vor starke Schmerzen im Bauchraum. Bereits in Deutschland war sie deswegen in Behandlung. „Dreimal in der Woche geht sie zur Behandlung. Vielleicht wollen sie sie hier operieren. Das macht uns Angst“, so beschreibt Nicolas Esiovwa den Zustand seiner Frau.

Seit zwei Wochen gehen die Kinder nun zur Schule. Doch auch das bereitet Nicolas Esiovwa mehrere Sorgen. Der Schulweg ist etwa dreieinhalb Kilometer lang, einen Bus oder Ähnliches gibt es nicht. Weil die Straße „unfassbar gefährlich ist“, begleitet Nicolas Esiovwa seine Kinder jeden Tag zur Schule. Doch dort gefällt es Tochter Stefanie nicht. In Deutschland hatte sie gute Zeugnisse, ihre Lehrer lobten sie für ihr Engagement im Unterricht, sie ging gern zur Schule. In Nigeria sei alles anders, erklärt die Elfjährige am Telefon. „Dort kann man gar nichts richtig lernen, die Kinder hören nicht zu, es ist sehr schwer, sich zu konzentrieren.“ Zudem „kostet die Schuluniform so viel Geld. Das macht mir Sorgen.“

Nicolas Esiovwa: „Die Menschen in Deutschland sind gute Menschen“

Doch nicht nur die Uniform für seine Kinder muss Nikolas Esiovwa bezahlen, auch die Schule selbst kostet Geld. Hinzu kommt, dass es keine geeignete Schule für seinen Sohn Gabriel gibt, der in Karlsfeld in einer heilpädagogischen Tagesstätte Betreuung bekam, die seinen Bedürfnissen entsprach. „Jeden Abend beten wir, dass wir wieder heim können“, sagt Stefanie. Wenn ihre jüngeren Geschwister traurig sind und schlimm Heimweh haben, tröstet die Elfjährige sie. „Sei nicht traurig, Du wirst deine Freunde bestimmt wiedersehen“, sage sie ihnen immer. Sie selbst schreibe manchmal mit ihren Freunden, „die mich sehr vermissen“.

Der Bayerische Flüchtlingsrat hatte nach der Abschiebung für die Familie ein Spendenkonto eingerichtet. Doch lange reicht das Geld nicht mehr. „Es wird nicht mehr bis zum Jahresende gehen“, sagt die ehrenamtliche Helferin Nanette Nadolski. Alle Ausgaben, die die Familie zu tätigen hat, würden zur Zeit über dieses Spendenkonto gedeckt. „Wir wissen, ohne die Menschen zuhause, die uns unterstützen, wäre das Leben für uns hier nicht möglich. Wir könnten kein Essen kaufen, hätten keinen Strom, kein Haus, die Kinder könnten nicht in die Schule gehen – deshalb beten wir jeden Tag für alle, die uns helfen“, sagt Nikolas Esiovwa.

Wenn er in diesem Zusammenhang von Zuhause spricht, meint er Deutschland und die Freunde, die er hier zurücklassen musste. „Die Menschen in Deutschland sind gute Menschen“, sagt Esiovwa. Er mochte seine Gemeinschaft in Karlsfeld, man kannte und mochte sich in der Nachbarschaft. In Nigeria dagegen „sind wir völlig allein“. Nikolas Esiovwa vermisst auch seine Arbeit in Deutschland. Sein Arbeitgeber hatte vor der Abschiebung mehrmals betont, wie sehr er Nikolas Esiovwa schätzt. Dort, in Nigeria, „finde ich einfach keinen Job. Ich könnte nur Taxi fahren, doch das geht nur, wenn man ein Auto hat. Ich habe schon alles versucht.“

Viele Menschen im Landkreis haben die Familie keineswegs vergessen. Ein Netzwerk aus Helfern versucht derzeit, eine Lösung zu finden, dass die Esiovwas wieder zurückkehren können.

Unterstützung für die Familie

Wer für die Familie Esiovwa spenden möchte, kann dies über folgenden Link tun: www.betterplace.org/de/projects/111557-familie-e-aus-karlsfeld-soll-wiederkommen.

Übrigens: Alles aus der Region gibt‘s auch in unserem regelmäßigen Dachau-Newsletter.

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