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Vom „Chemo-Kaspar, der aus Versehen die Haare frisst“: Anna (6) kämpft gegen die Leukämie - und siegt am Ende

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Von: Dorita Plange

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Ein starkes Kind: Anna (heute 6 Jahre alt) hat ihre schwere Leukämie-Erkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit besiegt. 
Ein starkes Kind: Anna (heute 6 Jahre alt) hat ihre schwere Leukämie-Erkrankung mit großer Wahrscheinlichkeit besiegt.  © privat; José-Carreras-Stiftung

Mama, Papa, sechs Geschwister und ein Pony namens Nonni gaben der kleinen Ebersbergerin Anna die Kraft zum Überleben. Das Mädchen war an Leukämie erkrankt. Eine bewegende Geschichte.

Ebersberg – Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 600 Kinder und Jugendliche an Leukämie. Eine Erkrankung, die die ganze Familie trifft und Ehen und Freundschaften auf eine harte Probe stellt. Stellvertretend für das Schicksal aller Betroffenen lesen Sie hier die bewegende Geschichte der Großfamilie Redl, deren jüngste Tochter Anna (6) die schwere Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit überwunden hat. Die Liebe ihrer Familie, der hartnäckige Kampf der Ärzte in der München Klinik Schwabing, ein Pony namens Nonni und das Engagement des Startenors José Carreras und seiner Leukämie-Stiftung halfen Anna, diese schwere Zeit zu überstehen.

Wenn hoffentlich bald wieder etwas Normalität eingekehrt ist und die Corona-Regeln es zulassen, wird auf dem Hof der Redls richtig gefeiert. Mit Freudenfeuer und Musik, mit allen Verwandten, Freunden, Nachbarn und Vereinen, den Schulen, dem Kindergarten und der Stadt – eben all jenen, die der Familie sehr geholfen haben. Dabei werden viele orangefarbene Luftballons in den Himmel steigen. Denn orange ist Annas Lieblingsfarbe.

Diagnose Leukämie: Plötzlich war Anna so blass und müde

Anna lebt mit ihren Eltern und sechs Geschwistern in Neuhausen bei Ebersberg auf dem großen landwirtschaftlichen Hof der Familie. Sie liebt Pferde über alles, kann schon reiten und hat viele Freunde. In der Gegend kennt jeder die fröhliche Großfamilie des Landschaftsgärtners Thomas Redl (53), seiner Frau Stefanie (47) und den sieben Kindern Jona (24), Louis (22), Laurin (16) und Lotta (14). Mit den drei Jüngsten Maximilian (8), Anna (6) und Anton (3) war das Glück der Redls perfekt.

Schwere Momente: Während der Chemotherapie in der Klinik hing Anna oft Stunden an den Maschinen.
Schwere Momente: Während der Chemotherapie in der Klinik hing Anna oft Stunden an den Maschinen. © Privat

Bis zum Herbst 2019. Da ist Anna plötzlich ständig erkältet, blass, kurzatmig und müde. Am 6. Dezember nimmt der Kinderarzt Anna wieder Blut ab. Die Werte lassen nichts Gutes erahnen: „Er schickte uns sofort in die Kinderklinik der München Klinik Schwabing“, erzählt Mutter Stefanie.

Zwei Tage später die Diagnose: Akute lymphatische Leukämie (ALL). „Es war, als täte sich der Boden auf. Ich war kaum noch in der Lage, zu sprechen“, sagt die Mutter. Erst einen Monat zuvor hatte Stefanie Redl ihren Vater verloren, der nach einem schweren Sturz nicht mehr aus dem Koma erwachte.

Nach der Diagnose Leukämie stand das Leben der Familie Redl Kopf

Nach Annas Diagnose stand das Leben der Redls Kopf. „Unsere Älteste Jona übernahm sofort wie selbstverständlich den ganzen Haushalt“, erinnert sich Stefanie. „Mein Mann und ich gaben uns wochenlang die Klinke in die Hand. Einer von uns war ja immer bei oder mit Anna in der Klinik.“ Die anderen Kinder mussten oft zurückstecken. Mutter Stefanie plagte ein schlechtes Gewissen: „Nachts nahm ich Anton oft mit ins Bett. Er war doch erst ein Jahr alt und brauchte seine Mama auch.“

Von allen Seiten kam Unterstützung, die das Ehepaar Redl tief bewegte. Im Kindergarten und in der Schule wollten alle Anna Mut machen: „Sie schickten uns hunderte Briefe, Postkarten, Geschenke und WhatsApp-Videos. Anna hat noch heute ein ganzes Regal voller Schutzengel“, sagt die Mutter tief berührt. Eine Musikgruppe sammelte Geld für ein Geschenk, Menschen zündeten in der Kirche ein Licht für Anna an. Sogar im fernen Kölner Dom brannte für sie eine Kerze – gestiftet von ihrer Tante. Und als Anna am 14. Juni 2020 fünf Jahre alt wurde, wurde der Ebersberger Aussichtsturm zwei Tage lang rot angestrahlt: Ein Gruß für Anna auf ihren Fahrten in die Klinik.

Glückliche Momente: Anna besucht ihre Pony Nonni ganz oft und schmust und spricht mit ihm. 
Glückliche Momente: Anna besucht ihre Pony Nonni ganz oft und schmust und spricht mit ihm.  © Privat

„Wie schaffen das eigentlich Familien in der Großstadt, die nicht das Glück haben, so wie wir in einer so eng vernetzten Gemeinschaft auf dem Land leben zu dürfen?“, fragt sich Stefanie Redl noch heute. Doch auch die Facebook-Community war zur Stelle. Eine einzige Bitte der Redls im Netz um medizinische Schutzmasken wurde 3000 Mal geteilt und sorgte für eine Päckchen-Flut. Den Masken-Überschuss spendeten die Redls an die München Klinik Schwabing.

Leukämie: 66 Tage und Nächte am Klinikbett der Tochter

Anna war in dieser Zeit oft bei der Chemotherapie in der Klinik. 66 Tage und Nächte verbrachten die Eltern am Bett ihres Kindes. Manchmal wurde Anna für eine Lumbalpunktion in den Dämmerschlaf versetzt. Dabei werden Zytostatika in den Spinalkanal der Wirbelsäule gespritzt, um den Krebsbefall des Hirns zu unterbinden. In der Intensivphase der Chemotherapie, als Anna oft Stunden an Maschinen hing, schlief sie viel. „Ihr Immunsystem war stark geschwächt. Das war alles extrem anstrengend für sie. Sie hatte immer Heimweh. Und trotzdem hat sie noch gelächelt.“

In diese schwere Zeit fiel der erste Corona-Lockdown: „Selbst die kleinste Infektion hätte Anna gefährlich werden können“, sagt die Mutter. Also krempelte die Großfamilie ihren Haushalt und ihr Leben um. Kein Redl-Kind ging mehr zur Schule. Freunde durften nicht mehr kommen. Vater Thomas stellte seine Arbeit ein und blieb daheim. Alle Pflanzen und Tiere – Hund, Hasen, Katzen – wurden aus dem Haus gebracht. Der hölzerne Familien-Esstisch wurde täglich desinfiziert. Anna bekam ein neues Bett, eine eigene Toilette. Vater Thomas baute eigenhändig ein Riesen-Holzdach als Sonnenschutz über die Veranda, denn auch Sonne belastete Annas Immunsystem. Die große Küche wurde täglich möglichst keimfrei geschrubbt. Nicht schälbare oder rohe Lebensmittel waren tabu für alle – auch die Salami, die Anna so gern mag. Gegessen wurde ab sofort um 18 Uhr – weil Anna jeden Abend um 20 Uhr ihre Tabletten auf leeren Magen nehmen musste.

Anna wusste, dass sie schwer krank war. „Ich bekam den Chemo-Kaspar,“ erzählt die Kleine. „Er hat meine Krebszellen gefressen. Manchmal verlor er seine Brille. Dann hat er aus Versehen meine Haare gefressen.“

Die Eltern Stefanie und Thomas Redl schauen jetzt wieder voller Zuversicht in die Zukunft. 
Die Eltern Stefanie und Thomas Redl schauen jetzt wieder voller Zuversicht in die Zukunft.  © Privat

Der Verlust ihrer Haare ist ein Thema, über das Anna nicht gern spricht. Jeden Morgen lagen sie büschelweise auf ihrem Kopfkissen. Die Mutter: „Sie weigerte sich, sie abrasieren zu lassen. Wenn ich ihre Haare kämmte, musste aus Hygienegründen immer der Staubsauger danebenstehen.“ Als keine Haare mehr da waren, erklärte Anna ihren Kopf zur „Glücksglatze“. Die Mutter kaufte bunte Kopftücher. „Sie hat nie eines getragen. Sie hat diese Fähigkeit, das alles einfach so hinzunehmen.“

Auch heute lässt Anna noch niemanden an ihre Haare heran. Sie hat Verlustängste entwickelt, will nicht alleine sein. Und sie zeigt nicht mehr, wenn es ihr nicht gut geht: „Das ist nicht einfach für uns. Vermutlich will sie uns schonen. Und sie hat natürlich Angst, dass wir wieder in die Klinik fahren.“

Diagnose Leukämie: Fohlen Nonni ist Annas große Freude

Das schöne Lächeln aber haben all die dunklen Tage Anna nicht nehmen können. An ihrem Lebensmut hat auch Nonni einen großen Anteil, ihr heiß geliebtes Fohlen, das letztes Jahr an Annas fünftem Geburtstag am 14. Juni 2020 auf dem Islandpferdehof Etzenberg zur Welt kam. Die Oma schenkte ihr den kleinen Hengst an diesem sehr besonderen Tag. „Anna war in dieser Zeit sehr schwach und anfällig“, sagt Mutter Stefanie. Nur kurz durfte sie damals geschützt durch Maske und Gummihandschuhe ihr Fohlen streicheln. Aber das Glück über den neuen Freund überstrahlte für einen Moment alle Sorgen.

Am 8. Dezember 2021 nahm Anna unter dem Jubel ihrer Familie zum letzten Mal ihre Tabletten. Sie ist zwar noch infektanfällig, aber ihre Werte sind stabil. Der Krebs ist aus ihrem Körper gewichen. Fast ist sie schon wieder das unbeschwerte Mädchen, das Pferde und Einhörner liebt, so gerne reitet und malt, sich auf die Einschulung im Herbst freut („Ich mag Mathe“) und immer voller Pläne steckt.

Die Großfamilie Redl mit ihren sieben Kindern und Jonas Freund Philip (ganz rechs). Im Kreise dieser starken Familie findet Anna immer Halt und ganz viel Liebe. 
Die Großfamilie Redl mit ihren sieben Kindern und Jonas Freund Philip (ganz rechs). Im Kreise dieser starken Familie findet Anna immer Halt und ganz viel Liebe.  © Privat

Der Weg zurück in die „neue Normalität“, wie Stefanie Redl es nennt, war nicht so einfach. Die Mutter hat für sich selbst Tagebuch geführt. Auch eine Statistik findet sich darin, zum Beispiel die 20 300 Autokilometer Klinikfahrten oder die 300 Blutabnahmen aus Annas schmalen Ärmchen. Nun aber richtet sich der Blick nach vorne. In einer mit Fotos geschmückten Nachricht an die engsten Wegbegleiter schreiben die Eltern: „Anna ist unser größtes Vorbild. Unser Stolz gilt aber auch Anton, Maxi, Lotta, Laurin, Louis und Jona. Geschwister voller Liebe, Verständnis, Rücksicht und grenzenloser Zuversicht.“

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