Kindergärtnerin: „Die Bürokratie frisst unsere Zeit“

40 Jahre Kindergarten: Jutta Kormann (64) spricht über die Veränderungen und aktuelle Probleme. Trotz allem würde sie wieder in diesen Beruf gehen.
Eglharting – „Der Kindergarten ist zum Spielen da.“ Das sagt Jutta Kormann (64). 35 Jahre leitete sie die katholische Kita St. Maria in Eglharting (Gemeinde Kirchseeon), 40 Jahre ist sie im Beruf. Wegen einer schweren Erkrankung tritt sie derzeit kürzer, hat die Leitung abgegeben, war länger krank geschrieben und ist jetzt wieder in Teilzeit zurück.
Der Kindergarten ist zum Spielen da
Ihr Herzblut gehört nach wie vor dem Kindergarten. Sie selbst war als Kind nie in einem, hat sich jedoch schon sehr früh für diesen Beruf entschieden. Und mit all ihrer Erfahrung hat sie eine klare Meinung. Die aktuelle Entwicklung im Umgang mit kleinen Kindern sieht sie kritisch, unter anderem wegen der immer stärker werdenden Forderungen zu Vorbildung vor dem Schuleintritt. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns von der Schule nicht zu sehr unter Druck setzen lassen.“
Studie macht nachdenklich
Sehr bedenklich findet Kormann die jüngst veröffentlichte Studie, nachdem jeder vierte Viertklässler in Deutschland nicht richtig lesen kann. Da würden die Kinder nach dem Kindergarten mit dem jetzt schon bestehenden Bildungsangebot in die Schule kommen und schon mehr können als später dann in der vierten Klasse, meint sie verwundert. Allein beim Spielen im Kindergarten würden die Kleinen viel lernen, beispielsweise Sozialkompetenz. In der Bauecke beispielsweise gehe es um Physik. „Warum fällt etwas um?“ Da brauche man dann keine weiteren Vorgaben.
Einschritt vor zwei Jahren
Kormann wurde jetzt mit einem Sommerfest als Leiterin verabschiedet. Der Einschnitt war vor zwei Jahren. Diagnose: Brustkrebs. Sie hat ihre Erkrankung öffentlich gemacht, auch einen Zettel für die Eltern im Kindergarten aufgehängt. Operation, Chemotherapie. Dazu noch Probleme mit der Hüfte. „Rausgerissen werden war schwierig“, sagt sie. „Aber es war kein Abschied.“
Zurück im Kindergarten
Inzwischen geht es der 64-Jährigen wieder gut, sie ist zurück im Kindergarten, wöchentlich für sechs Stunden. Ihre bisherige Stellvertreterin hat, wie Kormann es wollte, inzwischen ihre Position eingenommen. „Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie jemanden von außen eingesetzt hätten, wäre ich nicht zurück gekommen“, sagt Kormann. Sie habe immer auf ein „gut funktionierendes Team“ gesetzt. Nur so könne man gemeinsam die Aufgaben bewältigen. Vor allem der Verwaltungsaufwand habe in den vergangenen Jahren zugenommen. „Früher hatten wir für jedes Kind eine Karteikarte.“ Heute sei es viel mehr. „Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch“, Zeit die für die Betreuung der Kinder fehle. „Eigentlich bräuchte jede Einrichtung für ein paar Stunden pro Wochen eine Sekretärin.“
Das wichtigste Kriterium sei, wie man mit dem Personal umgehe. Dahinter steckt auch der Fachkräftemangel. „Früher hatten wir Bewerbungen ohne Ende, heute kommt nichts mehr.“ In den vergangenen Jahren seien viele Kindergärten und Krippen gebaut worden. Aber das Personal fehle. Früher habe es noch geheißen, um Kindergärtnerin zu werden, sei ein Hochschulstudium notwendig. Wenn es künftig eine Schnellausbildung gebe, dann könne man die offenen Stellen zwar besetzen. „Aber darunter leidet die Qualität.“
Wichtige Wertschätzung
Ein Problem, so Kormann, sei die Bezahlung der Fachkräfte. Aber es gehe auch um die Wertschätzung. „Da heißt es in der Diskussion, die tun ja nichts außer Spielen und Kaffeetrinken.“ Das Problem der Wertschätzung gelte für viele sozialen Berufe, auch in der Pflege, in denen auch vor allem Frauen beschäftigt seien. Wie das Problem zu lösen sei, wisse sie auch nicht, sagt Kormann. „Vielleicht geht es mit vielen kleinen Ansätzen.“
Leicht verwundert blickt Kormann auf die Veränderungen in den pädagogischen Vorgaben für die Kindergärten in ihrer beruflichen Laufbahn zurück. Da habe es unter anderem die antiautoritäre Erziehung gegeben, die spielzeugfreien Kindergärten, die Waldkindergärten und noch viel mehr Vorgaben. „Ich habe mir aus allem etwas herausgepickt. Komplett umgesetzt habe ich nichts, ganz egal woher es kam.“
Entspannter arbeiten
Derzeit ist sie entspannter: „Ich finde es ganz schön, in die Arbeit zu gehen und nicht mehr so viel Verantwortung zu haben.“ Inzwischen macht Jutta Kormann viel Sport. Und sie reist wieder. Ihr großes Hobby. Sie ist in ihrem bisherigen Leben schon weit rumgekommen, war unter anderem in Australien, Südostasien, Amerika und viel in Afrika. Kürzlich hat sie Urlaub in Ägypten gemacht.
Liebe, Verständnis und Aufmerksamkeit für jedes Kind
Ihre Einschätzung zur Zukunft der Kindergärten: „Es ist schwierig, jedem Kind gerecht zur werden. Die Rabauken setzen sich eher durch, Die Leisen brauchen mehr Zuwendung, mehr Unterstützung.“ Es werde immer wieder neue Ansätze geben. „Das Wichtigste ist aber, Liebe, Verständnis und Aufmerksamkeit für jedes Kind.“ Und trotz allem sagt sie. „Ich würde wieder in diesen Beruf gehen.“
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