Als erster durfte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ans Rednerpult: „Sein bürgerschaftliches Engagement war stets von Leidenschaft geprägt, es war immer ein Gewinn, mit ihm zu reden“, erinnerte CSU-Politiker an Vogel. Dessen starke Stimme fehle doch sehr, sagte Herrmann.
Bernhard Vogel, CDU-Mitglied und einst in Thüringen und Rheinland-Pfalz Ministerpräsident, dachte gerne an seinen sieben Jahre älteren Bruder zurück. „Hans-Jochen war mein Vorbild, der sich immer für Demokratie eingesetzt hat. In einem seiner letzten, sehr markanten Sätze mahnte er unsere Gesellschaft: Sorgen wir dafür, dass Deutschland so bleibt, wie es ist, wir haben lange genug dafür gekämpft.“ Es gelte, aus solchen Worten Mut zu schöpfen für die Zukunft.
An Vogels hohe ethische Ansprüche sowie an seine stets menschliche Haltung fühlte sich Rita Süssmuth erinnert, ehemals Bundestagspräsidentin und Bundesfamilienministerin. „Als ich, noch jung in der Politik, mich einmal mit dem Vorwurf des Dienstwagen-Missbrauchs konfrontiert sah, kam er zu mir ins Büro, spät abends. Er sagte, ich solle durchhalten, solche Widerstände drohten Politikern immer mal wieder“, erzählte sie. „Beeindruckt hat mich auch sein großes Engagement gegen das Vergessen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Und jetzt sind wir wieder in einer Zeit, in der wir entschlossen gegen Radikalismus von Rechts handeln müssen.“
Im Kampf um den Paragrafen 218, in dem es um Frauen und die Problematik des Abtreibens ging, erlebte die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt ihren Parteikollegen Hans-Jochen Vogel sehr eifrig. „Da ich eng mit ihm zusammen gearbeitet habe, lernte ich ihn als unglaublichen Kämpfer für eine Sache kennen. Er hat mich über lange Strecken meiner Karriere sehr geprägt, er war schon ein rares politisches Exemplar.“
Die Veranstaltung war nicht nur von einzelnen Statements geprägt. Zwei Studierende der Literaturwissenschaften, Fabiana Bertram und Leonhard Scherer, rezitierten zusammen mit Peter Popp, Leiter des Franz-Marc-Gymnasiums, in einem unterhaltsamen Dreier-Gespräch mehrere Stellen aus jenem Buch, das Hans-Jochen Vogel zusammen mit seinem Bruder Bernhard geschrieben hatte („Deutschland aus der Vogel-Perspektive“). Da ging es um eine „Große Koalition im Kleinen“ genauso wie um ein Interview über „Weisheit im Alter“. Viel Stoff zum Schmunzeln.
Schließlich durften, aus sehr intimer Familien-Sicht, auch Hans-Jochen Vogels Kinder Beiträge über ihren berühmten Vater vortragen. Tochter Sabine Köhler etwa verlas einen kurzen Brief ihres Vaters an dessen Großmutter, in dem er sich – zwar noch mit kindlicher Ausdrucksform, aber doch schon clever ausgedacht – für sein Versäumnis entschuldigte, ihr nicht schon früher geantwortet zu haben. „Ihm hätte die heutige Veranstaltung sicher sehr gefallen“, meinte die Tochter.
Ihr Bruder Bernd indes zeichnete den Vater ganz anders für das gespannt lauschende Publikum. „Er war, auch wenn wir ihn selten sahen, ein Familienmensch, durch und durch. Ich habe nie vergessen, wie wir einmal ein altes Sofa aus unserer Wochenendwohnung entfernten. Eigentlich wollten wir das Möbel durchs Treppenhaus nach unten tragen, aber mein Vater fand es lustiger, es über den Balkon in den Garten zu entsorgen. Danach trugen wir es zu einem nahen Bach und zündeten es an – aus heutiger Sicht ein unglaublicher Umwelt-Frevel. Doch er lachte nur und sagte: Man muss Kindern auch etwas bieten können.“
Nach über zwei Stunden hatten die rund 70 Gäste, die coronabedingt mit Abstand in der Aula verteilt saßen, einen spannenden und zugleich bewegenden Vormittag geboten bekommen. Organisator und Initiator der Veranstaltung Bernhard Winter gab dem Publikum mit, dass „wir nicht an irgendjemand erinnert haben: Hans-Jochen Vogel hat wesentlich dazu beigetragen, unsere heutige Welt mit zu gestalten. Und er sagte stets: Nicht jammern hilft, sondern das Tun“.
Friedbert Holz