Corona: „Man muss die Gefährdung ausblenden“ – Allgemeinarzt im Interview

Ärzte und Klinikpersonal sind in der Corona-Krise besonder gefordert. Dr. Emil Rudolf, Ärztlicher Leiter des MVZ spricht über seinen Alltag in diesen schwierigen Zeiten.
Dorfen – Die Corona-Krise stellt die Bürger vor große Belastungen und Herausforderungen. Ärzte, Klinikpersonal, Pflegekräfte und einige andere Berufsgruppen sind besonders gefordert. Wie sich der Arbeitsalltag in einer Arztpraxis in Zeiten der Pandemie gestaltet, darüber haben wir mit Dr. Emil Rudolf gesprochen. Der 66-Jährige ist Ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums Dorfen (MVZ) und Facharzt für Allgemeinmedizin. Er erzählt auch, wie das Katastrophenmanagement funktioniert.
Herr Dr. Rudolf, was denken Sie morgens, wenn Sie in die Praxis radeln?
Ich denke daran, welche neuen Verlautbarungen ich für den heutigen Tag in den Mails finden werde. Der Ablauf in der Praxis wird nämlich ständig neu abgestimmt, manchmal sogar mehrmals täglich. Und ich denke daran, welche Verdachtsfälle auftreten werden, ob wir Patienten zum Test schicken müssen.
Haben Sie selbst Angst vor einer Infektion? Schließlich stehen Sie und Ihr Team an vorderster Front.
Ich bin seit 41 Jahren Arzt. Man muss als Mediziner die Gefährdung immer ein Stück weit ausblenden, das ist auch bei Covid-19 so. Aufmerksame Gelassenheit ist das, was ich empfinde. Es geht darum, die besten Entscheidungen für die Patienten zu treffen, Verantwortung zu übernehmen. Da wäre Angst ein schlechter Ratgeber.
Machen Sie sich Sorgen um Ihre Familie, Ihr Team?
Natürlich. Es wäre für mich eine Katastrophe, wenn ich meine Frau mit dem Virus infizieren würde. Es gibt aber keine Sicherheit. Eine Infektion kann man sich auch außerhalb der Praxis holen. Auch weiß ich, dass die Mitarbeiter an vorderster Front stehen. Ich weiß, was alle hier leisten.
Rufen viele Patienten an und klagen über Erkältungssymptome?
Ja, eine Kollegin macht ausschließlich Telefon- und Videosprechstunde. Auch ich bin immer telefonisch erreichbar. Bis vorige Woche hatten wir dazu auch noch viele Influenza-Fälle.
Was unterscheidet eine Erkältung oder „normale“ Grippe von einer Infektion mit Covid-19?
Husten, Fieber, Halsweh, Schnupfen – das sind jeweils die gleichen Symptome. Letztlich gibt nur ein Abstrich Sicherheit.
Hatten Sie schon Patienten in der Praxis, die mit dem Virus infiziert waren?
Ja, die Verdachtsfälle haben wir dann zum Test geschickt. Besonders dann, wenn Kontakt zu infizierten Familienmitgliedern oder Freunden besteht, ist es wichtig, sofort zu reagieren – ebenso bei allen systemrelevanten Berufen, etwa Krankenschwestern oder Verkäufer, die über Symptome klagen.
Ist der Landkreis für die Pandemie gerüstet?
Das Katastrophenmanagement ist sehr gut organisiert. Wir sind gut aufgestellt. Das Dorfener Krankenhaus wird als Covid-freies Haus geführt, hier sind die Patienten untergebracht, die eine stationäre Behandlung brauchen. Im Erdinger Krankenhaus liegen auch jene Patienten, die mit dem Virus infiziert wurden. Dort gibt es Beatmungsgeräte und Intensivbetten.
Social Distancing ist aktuell die einzige Möglichkeit, um das Virus einzudämmen. Hat das Folgen für die Psyche?
Viele Menschen bekommen dieser Tage psychische Probleme. Sie haben Angst und Panik, manche neigen zu Hysterie. Allein schon weil man die Bedrohung ja nicht sehen kann, das Virus wenig greifbar ist. Wir versuchen, in Gesprächen zu helfen, zu beruhigen. Manchmal hilft aber nur eine medikamentöse Behandlung.
Was empfehlen Sie den Menschen, um ihr Immunsystem zu stärken und eine Infizierung zu vermeiden?
Nicht rauchen, kein Alkohol, eine gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse. Zink ist ebenfalls gut für die Abwehrkräfte. Viel Bewegung in der freien Natur. Außerdem stärkt Lachen das Immunsystem – also trotz allem eine Portion Humor. Und natürlich die Basics: Distanz, regelmäßiges Waschen der Hände, kein Händeschütteln und natürlich keine Bussis zur Begrüßung.
Es heißt, der Krankheitsverlauf habe sich verschärft.
Die ersten Infizierten brachten das Virus aus den Faschingsferien mit, oft vom Skifahren. Die meisten Patienten waren jung und fit. Jetzt bekommen Senioren oder Menschen mit Vorerkrankungen Corona. Mit zunehmendem Alter sind die Krankheitsverläufe wesentlich kritischer.
Was, wenn sich Covid-19 im Marienstift ausbreiten würde?
Das wäre eine Katastrophe. Wir sind mit den Bewohnern in ständigem Kontakt. Oft fahren wir auch zur Behandlung raus, aber unter strengsten Hygienemaßnahmen.
Glauben Sie an Verschwörungstheorien?
Es ist möglich, dass die Chinesen die Bedrohung durch Covid-19 erst zu spät realisiert haben. Aber alles andere ist Käse.
Sind die Arztpraxen für die Pandemie gerüstet?
Das ärgert mich ein bisschen. Obwohl alle wussten, was auf uns zukommt, hat man nicht für eine adäquate Schutzausrüstung gesorgt. Vor ein paar Tagen meldete sich ein Dorfener Malerbetrieb und bot uns Schutzkittel und Atemmasken an.
Was machen Sie abends, wenn Sie heimkommen?
Für uns Mediziner ist die Pandemie anstrengender als der übliche Praxisalltag, schließlich muss die ärztliche Versorgung gewährleistet bleiben. Ich entspanne mich, versuche abzuschalten.
Michaele Heske