Sittenbild der Weimarer Republik: Isener mit neuem Roman über lokalen Wegbereiter des Faschismus

Leonhard F. Seidl schreibt in seinem Buch „Vom Untergang“, basierend auf wahren Begebenheiten, über den Isener Forstrat Escherich.
Isen – Es ist zwar nur eine kurze Straße. Aber immerhin: Mitten im historischen Ortskern von Isen gibt es die Georg-Escherich-Straße. Hier lebte Forstrat Escherich, einer der Wegbereiter des Faschismus. Aus Isen stammt auch Leonhard F. Seidl. Sein neuer Roman „Vom Untergang“ basiert auf realen Geschehnissen.
Ortstermin. Leonhard F. Seidl, der in Isen aufgewachsen ist, aber seit vielen Jahren in Mittelfranken lebt, geht an der alten Linde vorbei, vis à vis die Stiftskirche St. Zeno. Den Apothekerweg hinunter. So wie vor 100 Jahren Georg Escherich und Oswald Spengler. Auf dem Weg erzählt Seidl von den beiden Protagonisten seines neuen Romans.
Faschisten treffen sich zum Fischen in Isen
Bayern, 1922: Oswald Spengler, rechtskonservativer Erfolgsautor, hasst die Weimarer Republik und wünscht sich einen Diktator, der ihr ein Ende setzten würde. Sein Hauptwerk heißt „Der Untergang des Abendlandes“. Gemeinsam mit dem Isener Forstrat Escherich, dem Gründer einer militanten Bürgerwehr, will Spengler die öffentliche Meinung zielgerichtet beeinflussen und lenken. Und so treffen sich die beiden geistigen Brandstifter in Isen, gehen Forellen fischen im Schinderbach.
Eine kurze Stichstraße führt vom Marktplatz zum ehemaligen Forsthaus, dem früheren Wohnhaus Escherichs. Seidl ist es unbegreiflich, dass diese Straße heutzutage immer noch nach Escherich benannt ist. Schließlich sei dieser Leiter des bayerischen Landesverbands der Einwohnerwehren gewesen und hatte die Organisation Escherich („Orgesch“) 1920 in Regensburg gegründet. Unterstützt wurde er dabei vom späteren SA-Führer Ernst Röhm. „Die Einwohnerwehren waren einer der Wege zum Nationalsozialismus“, so Seidl.
Jahrelange Nachforschungen in Archiven
Für den Schriftsteller ist die reale Beziehung und Kooperation von Escherich und Spengler ein Glücksfall. Zumal Spengler in München wirkte. Der dritte Protagonist in seinem Roman ist nämlich Gumbrecht, ein mächtiger Fürther Spiegelfabrikant, der ebenfalls die öffentliche Meinung in der jungen Republik beeinflussen will.
Isen, München, Fürth: Das sind alles Lebensmittelpunkte Seidls. „Ein Dreieck, das sich geschlossen hat – zu einem spannenden Sittenbild der Weimarer Republik.“ Mehrere Jahre hat der Autor in zahlreichen Archiven geforscht, Originaldokumente gesichtet und Briefe und Schriftstücke gelesen. Das Ergebnis: Ein spannendes Stück Geschichte.
Das Motto „Wehret den Anfängen“ bleibt immer noch aktuell
Und wieder fällt der Satz: „Wehret den Anfängen.“ Seidl stellt sich seit seiner Jugendzeit gegen Rechtspopulismus. Gerade in der heutigen Zeit, in der rechte Kräfte immer stärker werden, zu Monatgsspaziergängen aufrufen und sich Judensterne anstecken – da sei es wichtiger denn je, Fakten zu nennen. Verpackt in einer fiktiven Geschichte. Schließlich sei die große Geschichte immer auch im Kleinen zu finden.
Die nationale und globale Dimension in lokalen Ereignissen und Begegnungen nachzuspüren und aufzuzeigen, ist Seidls Methode. Schon in früheren Büchern hat er Realität und Fiktion verwoben. Zuletzt in seinem Schelmenroman „Der falsche Schah“, der in Rothenburg ob der Tauber spielt, oder im Kriminalroman „Fronten“, in dem er den mörderischen Amoklauf in Dorfen 1988 aufgegriffen hat. „Vom Untergang“ ist ein spannendes Machwerk komplexer Beziehungen, eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, die nicht spurlos verschwunden ist, sondern spürbar nachwirkt. Der 45-jährige Leonhard F. Seidl hat für seine Arbeit schon zahlreiche Preise und Stipendien erhalten, unter anderem von der Romanwerkstatt Literaturforum im Brecht-Haus oder der Bayerischen Akademie des Schreibens im Literaturhaus München.
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