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Fliegerhorst-Bauschutt in Erding sinnvoll nutzen: „Jedes Gebäude ist eine Materialbank“

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Von: Friedbert Holz

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Sie erklärten, wie Recycling am Bau funktionieren kann (v. l.): Professorin Mikala Holme Samsoe, Baudirektorin Kathrin Fändrich, Moderator Mathieu Wellner und Student Thomas Rojas Sonderegger.
Sie erklärten, wie Recycling am Bau funktionieren kann (v. l.): Professorin Mikala Holme Samsoe, Baudirektorin Kathrin Fändrich, Moderator Mathieu Wellner und Student Thomas Rojas Sonderegger. © Peter Bauersachs

Was tun mit 1,55 Millionen Tonnen Bauschutt, die einmal beim Abbruch der Fliegerhorst-Gebäude in Erding anfallen? Der Vorschlag von Experten: wiederverwerten und -verwenden.

Erding – „Wir brauchen richtig Wagemut. Es wird beim Bauen der Zukunft um eine ganz neue Art des Umgangs mit Material gehen müssen, quasi um eine Kreislaufwirtschaft.“ Das war die Kernaussage des Vortragsabends im Rahmen des Reihe „Rundflug Fliegerhorst“, zu dem am Mittwoch rund 50 Gäste ins Museum Erding gekommen waren. Drei Experten aus dem Bau- und Recyclingsektor erklärten, wie aus Altem Neues entstehen könnte –auch in Erding.

„Es gibt mehrere Möglichkeiten, beim Bauen der Zukunft vorzugehen“, schilderte Mikala Holme Samsoe, eine dänische Architektur-Professorin, die mittlerweile an der Hochschule Augsburg lehrt. Neben höherer Effizienz, also günstigeren oder besseren Materialien, sei die andere Konsistenz eine Alternative, zum Beispiel Beton aus Recyclingstoffen. Schließlich spiele auch Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, also der sparsame Umgang mit Material und Energie.

„Die Bauindustrie muss sich neu erfinden, künftig sind auch kulturelle und soziale Belange zu beachten.“ Holme Samsoe erklärte anhand der Alten Stadtbücherei in Augsburg, wie Abbruchmaterial weiterverwendet werden kann. „Wir haben im Inneren des maroden Gebäudes alles mit dem Zollstock genau vermessen, was irgendwie noch gebraucht werden könnte“, erklärte die Professorin. Dazu gehörten nicht nur Fenster oder Türen, sondern auch alle Fliesen, Waschbecken – sogar die Urinale in den Toiletten. „Dann haben wir alles fotografiert und auf die Plattform Concular gestellt, haben somit eine Art Ebay für Baumaterial geschaffen“, so Holme Samsoe. Dieser Einsatz sollte sich lohnen: 80 Prozent aller ausgeschriebenen Teile fanden schnell neue Besitzer.

Auch Kathrin Fändrich, Direktorin im Staatlichen Bauamt Augsburg, war an diesem Projekt beteiligt. „Bei der größten Bauteilbörse Europas griffen in erster Linie private Hausbauer zu, aber auch kommunale Baugesellschaften und Architekturbüros, die für ihre Kunden einkauften“, erklärte sie. So sei etwa eine Stahl-Außenfluchttreppe, deren Entsorgung 7000 Euro gekostet hätte, an einen Bauherrn in der Oberpfalz gegnangen. „Die Höhe entsprach genau seinem Haus, und er transportierte sie auch sofort ab“, sagte Fändrich.

Als Favoriten hätten sich vor allem Lampen, Heizkörper sowie auch Türblätter herausgestellt. Und: „Eine Firma am Bodensee kaufte uns Kellergitter ab, zum Bau einer Rampe für deren Mountainbike-Park.“ Selbstverständlich habe man gefährliche Baustoffe aussortiert und entsorgt. Der Rest sei ein „Austausch mit ideellem Wert“ gewesen.

Bei dieser Verkaufsaktion sei nicht nur viel Material erhalten geblieben, man habe auch Kosten gespart. „Es erfordert aber gute Nerven und hat uns auch manchen Kampf mit Ämtern gekostet.“ Denn dort herrsche vielfach noch eine Bedenkenträger-Mentalität vor, „gespickt mit althergekommenen Scheinargumenten, warum etwas nicht klappen könne. Darum gebe ich ihnen in Erding den Ratschlag: einfach machen“, sagte die Bauamtsleiterin.

Wie dies am Beispiel der Konversion des Fliegerhorst-Areals aussehen könnte, zeigte Student Thomas Rojas Sonderegger mit konkreten Zahlen auf. Er studiert an der TU München und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Baustoff-Recycling. „Dabei geht es darum, Aufbereitungsschritte bestehender Baustoffe für eine Wiederverwendung in Hoch- und Tiefbau, so genanntes Upcycling, zu erarbeiten“, erklärte er. Gerade im Fliegerhorst gebe es Bestandsgebäude, deren Baumaterial teilweise wiederverwendet werden könne.

Nach Sondereggers Berechnungen wird es bei den Abbrucharbeiten zu 1,55 Millionen Tonnen Bauschutt kommen. Ein unvorstellbar großer Materialberg, „mit dem Erdings komplette Altstadt mit einer vier Meter hohen Schicht bedeckt werden könnte.“ Von dieser Menge seien vermutlich 600 000 Tonnen zu entsorgen, weil mit Pestiziden oder Asbest verseucht. 950 000 Tonnen jedoch könnten eine Wiederverwendung in späteren Neubauten finden. Sondereggers Idee: „Das Gelände ist so groß, dass beispielsweise bei den bestehenden Flugzeug-Sheltern eine Materialdeponie entstehen könnte – mit kurzen Wegen, denn Erding würde sich so rund 70 000 Lkw-Fahrten zu anderen Deponien sparen.“

Im neuen Jahr wird Sonderegger seine Berechnungen im Erdinger Stadtrat präsentieren. In der Diskussion kamen konkrete Fragen zu Bauten im Fliegerhorst, ob etwa bestehende Hallen dort umgenutzt werden könnten, oder was überhaupt abgerissen werden müsse. Die Referenten empfahlen schließlich, vor dem Großprojekt kleinere Versuche in der Stadt zu starten, „denn jedes Gebäude ist eine Materialbank. Wir müssen in Zukunft wieder lernen, schneller und einfacher zu bauen, vielleicht auch etwas abzuspecken im Aufwand“, so ihr Fazit.

Rundflug Fliegerhorst: Die nächste Veranstaltung der Reihe findet am Mittwoch, 18. Januar, um 19 Uhr im Museum statt. Dann ist das Thema: „Günstig Wohnen geht - Das Modell Wien“.

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