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Schwerkranke Frau baut ein Haus für vier Asylbewerber

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Von: Timo Aichele

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Respekt und gegenseitige Hilfe: die MS-kranke Vermieterin und ihre vier eritreischen Mitbewohner.
Respekt und gegenseitige Hilfe: die MS-kranke Vermieterin und ihre vier eritreischen Mitbewohner. © Aichele

Eine Frau aus dem Landkreis Erding hat vier junge Eritreer bei sich aufgenommen. Nicht nur das: Sie lässt ein Haus bauen, in dem die anerkannten Asylbewerber einziehen sollen.

Landkreis Erding – Menschen aus Eritrea und Bayern werden Nachbarn. Nachbarn werden eine Familie. So erzählt Angelika S. (Namen geändert) ihre Geschichte. Die 50-Jährige ging bisher alleine durchs Leben. Vor ein paar Monaten zogen vier Burschen aus Eritrea bei ihr ein, und jetzt entsteht auf dem Siedlungsgrundstück irgendwo im Landkreis Erding ein zusätzliches Wohnhaus. Es soll ein eigenes Zuhause für die vier anerkannten Asylbewerber im Alter von 19 und 20 Jahren werden. Die Eigentümerin nebenan will ihnen das Fertighaus mit je einem Zimmer für jeden zu einem vergünstigten Preis vermieten.

Zu viel Angst vor Anfeindungen

Ihre echten Namen wollen Angelika S. und ihre vier Untermieter nicht verraten, auch nicht, wo genau sie wohnen. Dazu haben sie zu viel Angst vor Anfeindungen. Aber nicht vor den Nachbarn, betont die Frührentnerin. Von denen höre sie mittlerweile nur freundliche Kommentare. Die Geschichte dieser Freundschaft wolle sie dennoch erzählen, „damit man zu dem Thema auch mal was Positives hört“.

Die Annäherung begann vor etwa drei Jahren, als die ersten der vier Eritreer nebenan in eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zogen. Angelika S. leidet seit 20 Jahren an Multipler Sklerose und hat deswegen keine eigenen Kinder. Die zierliche 50-Jährige geht langsam und gebückt, ihre Arbeit musste die gelernte Bauzeichnerin vor kurzem aufgeben. „Man fühlt sich ungebraucht und überflüssig“, sagt sie. Zum Glück habe sie das elterliche Grundstück geerbt, erzählt die Frührentnerin. Und die vier jungen Eritreer hätten ihr Glück perfekt gemacht. „Ich habe ein total schönes Leben gekriegt.“ Das könnten nicht viele MS-Kranke von sich behaupten.

Früher, als es gesundheitlich noch ging, sei sie viel gereist, erzählt die 50-Jährige – besonders gerne auf die Philippinen. „Jetzt ist die Welt zu mir gekommen.“

Drei sind schon Ausbildung

„Da lag ein Riesensteinhaufen“, erinnert sich die 50-Jährige an die Reste des Hauses der Großeltern. Die neuen Nachbarn seien immer wieder herübergekommen und hätten geholfen: beim Abklopfen der alten Ziegelsteine, aus denen jetzt Gartenmäuerchen gebaut werden, oder bei der Gartenarbeit. Jetzt in der Fünfer-WG mit Angelika S. putzen die Burschen, tragen die Einkäufe herein und die Wäsche in den Keller, fahren mit zum Altglascontainer, helfen bei der Gemüseernte und vieles mehr.

Die handwerklichen Fähigkeiten der jungen Männer werden derzeit immer besser. Alle vier sind anerkannte Asylbewerber, sie dürfen also arbeiten. Einer besucht noch die Integrationsklasse der Berufsschule, die anderen drei haben schon Ausbildungen begonnen: als Schreiner, Glaser und Steinmetz. Daher ist auch geplant, dass alle bei der Fertigstellung des neuen Hauses mitanpacken, etwa beim Verfugen der Gipsplatten in dem Fertighaus, beim Bodenlegen oder Streichen.

„Ich werde total respektiert, auch als Frau“

Am Wochenende, wenn alle Zeit haben, kocht die bayerisch-eritreische Familie gemeinsam. Dann gibt es Gaat zum Frühstück, ein Brei aus geröstetem Mehl, der wie ein Vulkan aufgetürmt wird, in der Mitte ein See ausgelassener Butter mit scharfen Gewürzen plus gerösteten Zwiebeln, Paprika und Joghurt außen herum. Das ist die Spezialität von Hamid. Er lacht, wenn er davon erzählt, wie einer seiner Freunde mal beim anstrengenden Teigstampfen aufgab. Idris ist für die Injeras zuständig, Fladen aus Sauerteig.

„Ich werde total respektiert, auch als Frau“, erzählt Angelika S., um oft geäußerten Vorurteilen zu begegnen. „Sie hören auch auf meine Ratschläge.“ Zum Beispiel seien die Burschen anfangs nicht so begeistert gewesen, über eine Lehre ins Arbeitsleben zu starten. „Kürzlich haben sie sich bei mir bedankt.“ Den jungen Eritreern sei aufgegangen, dass sie ohne eine Ausbildung immer Hilfsarbeiter geblieben wären.

Im Alltag gebe es keinen Ärger. Und das, obwohl ihr altes Haus, in dem alle noch leben, für fünf Erwachsene nicht genug Raum und Privatsphäre bietet. Sie sei sich nicht sicher, ob das Zusammenleben so problemlos wäre, wenn sie vier junge Deutsche aufgenommen hätte, meint die Hausherrin am Ende des Gesprächs. Dann geht es zum Fototermin nebenan. Drei der vier Burschen schlüpfen durch die Terrassentür. Angelika S. schlurft in die andere Richtung, in die Diele, wo sie sich umständlich die Schuhe anzieht. Ohne Kommentar steht Idris daneben, wartet, hält ihr den Arm hin. Eingehakt gehen die beiden langsam in den Rohbau des neuen Hauses.

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