Als Erster rein, als Letzter wieder raus

Der Flughafen München erlebt in der Corona-Pandemie eine seiner schwersten Krisen. Der Luftverkehr ist nahezu vollkommen zum Erliegen gekommen, die Lufthansa als größter Kunde und Partner der FMG schwächelt. Drei Viertel der knapp 10 000-köpfigen Belegschaft sind in Kurzarbeit. Über den Lockdown und die Folgen sprachen wir mit Flughafenchef Jost Lammers.
Flughafen - Herr Lammers, die letzte große Veranstaltung am Flughafen war der Starkbieranstich am 2. März – ein humoriger Vormittag. Ist Ihnen das Lachen inzwischen vergangen?
(lacht) Da haben Sie schöne Erinnerungen bei mir geweckt. Das war eine tolle Veranstaltung. Dazu muss ich gestehen, dass ich wegen Corona mein Versprechen bis jetzt noch nicht einlösen konnte, mir einen Janker zuzulegen. Die Welt hat sich gerade für die Luftfahrt, aber auch am Flughafen München dramatisch entwickelt und gedreht. Die Chronologie der Ereignisse seit März ist wirklich unglaublich. Es ist eine ganz andere, neue Situation.
Hadern Sie manchmal damit, kurz vor einer der größten Krisen der jüngeren Luftfahrtgeschichte die Geschäftsführung am Münchner Flughafen übernommen zu haben?
„Die ersten 100 Tage hätte ich mir anders vorgestellt
Nein, überhaupt nicht. Es ist unverändert ein großartiger Flughafen. Die Pandemie trifft die ganze Branche, wie auch die Gesellschaft, ja, die ganze Welt. Es ist eine globale Krise. Andererseits habe ich mir meine ersten 100 Tage natürlich anders vorgestellt. Aber es ist weiter eine tolle Aufgabe hier im Erdinger Moos.
Wie viele Maschinen starten und landen zurzeit noch täglich?
Es sind nur noch 40 bis 50 Starts und Landungen täglich. Das ist natürlich ein Minimalprogramm. Gut die Hälfte sind Passagierflüge. Die andere Hälfte ist Frachtverkehr, darunter viele Transporte mit medizinischen Hilfsgütern.
Wie viele waren es vorher?
In Spitzenzeiten hatten wir bis zu 1200. Es sind gerade noch vier bis fünf Prozent der sonst üblichen Flugbewegungen. Das Passagieraufkommen ist auf ein Prozent gesunken.
Wer fliegt denn heute überhaupt noch?
Starts & Landungen: Nur noch Rumpfprogramm
Die Rückholaktionen, bei denen wir als kritische Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen durften, sind weitgehend abgeschlossen. Es gibt noch ein Rumpfprogramm innerdeutscher Verbindungen nach Berlin, Frankfurt, Köln, Düsseldorf und Hamburg vor allem durch die Lufthansa. Das soll ab dem 18. Mai erweitert werden. Hinzu kommen einige grenzüberschreitende Flüge anderer Airlines, beispielsweise nach Rom, Amsterdam oder Helsinki.
Wann sind Sie das letzte Mal geflogen?
Das war Anfang März. Als Präsident des Europäischen Flughafenverbandes bin ich nach Brüssel geflogen. Da fing das alles gerade an. Das Fliegen fehlt mir schon.
Wie viele Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt?
Mit Augenmaß und viel Verantwortung haben wir gemeinsam mit dem Betriebsrat die Vereinbarung für mehr als 70 Prozent der Belegschaft über Kurzarbeit abgeschlossen. Es geht um etwa 7000 von 10 000 Mitarbeitern. Alle Bereiche sind betroffen – Verwaltung, Betrieb, Technik. Die kritische Infrastruktur ist aber ausgespart, etwa die Feuerwehr.
Gab es auch Entlassungen?
Nein, wir haben niemanden entlassen, allerdings einen Einstellungsstopp verhängt.
Wie viel Leben gibt es noch im öffentlichen Teil des Airports?
Gesundheit hat höchste Priorität
Oberste Priorität haben für uns die Gesundheit der Passagiere und der Mitarbeiter, aber auch die wirtschaftliche Stabilität. Beides haben wir mit unseren Maßnahmen in der ersten Phase gut gemeistert. Jetzt kehrt das öffentliche Leben allmählich wieder zurück. Einige Geschäfte waren immer auf, etwa die Lebensmittelmärkte und die Apotheke. Jetzt können weitere Läden wieder öffnen. Ich war gestern selbst mit Maske im Terminal. Die ersten Läden nutzen die Möglichkeit, wieder aufzusperren. Von einer Trendwende will ich aber noch nicht sprechen.
Wann, glauben Sie, wird der Luftverkehr wieder durchstarten?
Das ist die Gretchenfrage. Ich rede viel mit anderen Flughäfen und Airlines. Aber es wäre vermessen, jetzt eine Prognose abzugeben. Wir sind als eine der ersten Branchen in die Krise geraten und werden sie vermutlich als eine der Letzten wieder verlassen. Aufgrund der Reisebeschränkungen über Grenzen findet kaum Luftverkehr statt. Konzeptionell und gedanklich bereiten wir uns natürlich darauf vor, dass und wie es wieder losgeht. Aber wann das sein wird, darüber kann man nur spekulieren – und sollte das nur vorsichtig tun.
FMG-Boss Lammers: Anders aus der Krise als hinein
Wie lange wird es dauern, bis Sie das Niveau der Vor-Corona-Zeit wieder erreicht haben?
Wir müssen aus der Krise anders herauskommen als wir hineingeraten sind. Das Herunterfahren ging ja sehr schnell. Für uns Flughäfen ist es wichtig, dass es orchestriert und synchronisiert ist, wie man Reisen ins Ausland wieder durchführen kann. Es wird davon abhängen, welche und wie viele Länder man ab wann wieder bereisen kann. Wichtig ist, dass wir in Europa wieder zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum kommen. Erst danach wird man an Interkontinentalverkehre denken können. Das wird aber sicher ein Prozess über Monate sein. Ihre Frage ist deshalb derzeit seriös noch nicht zu beantworten.
Am Flughafen gibt es zurzeit 15 größere Bauvorhaben. Mussten welche ganz gestoppt werden?
Für die Liquidität ist das ein ganz wichtiges Thema, das Sie da ansprechen. Die großen, wichtigen Projekte haben durch die Pandemie ja nicht an Bedeutung für die Entwicklung des Flughafens eingebüßt.
Große Bauprojekte laufen weiter
Was meinen Sie konkret?
Das ist zum einen die Erweiterung des Terminals 1 um einen Flugsteig. Für uns unverändert wichtig ist auch die Verlängerung des Bahn-Tunnels nach Osten im Rahmen des S-Bahn-Ringschlusses in Richtung Erding. Da geht es ebenso mit Volldampf weiter wie am Hochtechnologie-Standort Lab Campus an der Nordallee. Dazu zählt aber auch der Straßenbau, etwa der neue Südring.
Sie setzen bei der Infrastruktur nirgends den Rotstift an?
Es gibt Projekte, die aktuell nicht zwingend notwendig sind und mit denen wir noch nicht begonnen haben, etwa die neue FMG-Verwaltung, aber auch zusätzliche Parkhäuser oder ein weiteres Hotel. Das schieben wir erst einmal. Gestrichen sind diese Projekte aber nicht. Wichtiger ist es aber jetzt, die Liquidität im Unternehmen zu halten.
Und wie sieht es mit der Erweiterung des Terminal-2-Satelliten aus, den Ihr Vorgänger Michael Kerkloh gemeinsam mit der Lufthansa noch vereinbart hat?
Die Weiterentwicklung des Terminals 2 ist strategisch ein ganz wichtiges Projekt. Es ist gut und wichtig, in langen Zeitachsen zu denken. Deswegen ist der Flughafen München ja da, wo er ist, ein Five-Star-Airport, das beste Drehkreuz in Europa – gemeinsam mit der Lufthansa als fantastischem Partner. Diese Geschichte werden wir fortschreiben. Das bleibt unsere Perspektive. Aber im Moment steht die Krisenbewältigung im Vordergrund.
Flughafen weiter liquide - „Wir sind gut gerüstet“
Bei Ihrer Amtseinführung hat Ihnen Aufsichtsratschef Albert Füracker aufgetragen, weiter Millionengewinne zu erwirtschaften. Den Wunsch werden Sie ihm heuer nicht erfüllen können?!
Wir haben erst Mai, das Jahr dauert ja noch ein bisschen. Aber Spaß beiseite. Wir profitieren heute von den Grundlagen, die sich der Flughafen mit seiner seriösen und stabilen Wirtschafts- und Finanzplanung in den vergangenen Jahren geschaffen hat. Deshalb haben wir jetzt ein sehr starkes Rückgrat in der Krise. Wir verfügen über Reserven und Rücklagen. Das hilft uns jetzt enorm. Es wird für alle ein ganz außergewöhnliches Jahr, aber das Wirtschaftsergebnis 2020 lässt sich heute noch nicht seriös prognostizieren.
Macht Ihnen die Entwicklung der Lufthansa Sorgen?
Lufthansa ist für uns ein ganz wichtiger Systempartner, der mit uns gemeinsam das weltweite Drehkreuz entwickelt. Da gibt es noch viele Gestaltungsmöglichkeiten. In der aktuellen Situation sehen wir natürlich, dass alle Flughäfen und Fluggesellschaften besonders betroffen sind. Corona hat uns, aber auch die gesamte Touristik früh und besonders intensiv erwischt. Hinzu kommt weltweit ein scharfer Wettbewerb. Der Druck, der auf allen lastet, ist enorm. Ich bin zuversichtlich, dass wir stabil und zukunftsorientiert weiter mit unserem sehr wichtigen Systempartner arbeiten werden. Da habe ich keinen Zweifel.
Lufthansa bleibt ein wichtiger Partner
Gefährdet die Krise den gemeinsamen Betrieb und Ausbau des Terminals 2?
Wie gesagt, wir planen hier auf sehr langfristigen Achsen. Das Projekt ist genauso wichtig wie gestern, wir arbeiten intensiv daran. Es geht um die Weiterentwicklung des Drehkreuzes gerade für Lufthansa und Star Alliance. Von der Perspektive hat sich die Lage durch die Corona-Krise nicht verändert. München zeichnet sich als außergewöhnlich attraktive und effiziente Drehscheibe aus. Da haben wir im Wettbewerb die besten Voraussetzungen. Wir haben eine fantastische Infrastruktur sowie eine hohe Service- und Aufenthaltsqualität. Das hilft uns jetzt.
Könnte der Münchner Flughafen als öffentliche Einrichtung theoretisch pleitegehen?
Wir haben schnell die richtigen Maßnahmen getroffen. Wir verfügen über Liquidität und haben diese im Unternehmen gehalten. Deswegen sind wir für die nächsten Monate gut aufgestellt.
Dritte Startbahn nicht betroffen
Die Frage zielte eher darauf ab, dass der Flughafen zur kritischen Infrastruktur gehört – mit Bund, Land und Stadt München als Eigentümer. Ist das Ihre Lebensversicherung?
In der Tat sind wir Schlüsselinfrastruktur für Bayern wie für ganz Deutschland. Wir sind nach wie vor voll funktionsfähig und verfügen über die nötige Liquidität für die nächsten Monate. Zudem werden unsere Einnahmen auch wieder steigen, wenn die Menschen wieder fliegen können.
Haben die Startbahngegner jetzt endgültig Ihr Ziel erreicht?
Für die dritte Startbahn verändert sich durch Corona zunächst einmal nichts. Denn das Moratorium der Staatsregierung gilt weiter. Das heißt: Alle Planungen ruhen bis Ende der Legislaturperiode 2023. Es gibt keinen neuen Sachstand. München wird ein wichtiges Drehkreuz bleiben. Das heißt, wir werden deshalb die Weiterentwicklung des Flughafens im Auge behalten.