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Jede Perle ein Stück Hoffnung

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Von: Veronika Macht

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Während der Behandlung muss Benni einen Mundschutz tragen.
Während der Behandlung muss Benni einen Mundschutz tragen. © privat

Ottenhofen – Der 30. August 2016 hat das Leben der Familie Schamarek komplett auf den Kopf gestellt. Der damals zweieinhalbjährige Benni bekommt die Diagnose Leukämie. Seitdem kämpft der tapfere Bub um sein Leben.

Auf seine bunte Perlenkette ist Benni richtig stolz. Wenn sie nicht am Infusionsständer baumelt, nimmt er sie immer wieder in die Hand und dreht die Perlen zwischen den Fingern. Kleine lachende Gesichter sind dabei, blaue Sternchen, rote Kugeln, Würfel in Regenbogenfarben. Die hübschen Perlen sind Mutmacher, Belohnung und Therapiebegleiter zugleich. Denn Benni, der Ende Januar drei Jahre alt wird, ist schwer krank. Er leidet an Leukämie.

Seine Mama Steffi Schamarek (30) fädelt für ihn die Schmuckstücke auf die Schnur. Mit einen Anker auf einer blauen Perle fängt Bennis Mut-Kette an. Der Anker steht für den Beginn seiner Behandlung, und damit auch für den 30. August 2016.

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Die Familie aus Ottenhofen war gerade noch im Urlaub. Mama Steffi, Papa Fritz, Benni und sein heute eineinhalbjähriger Bruder Lukas genossen die Sommerferien. Kurz danach, an einem Mittwoch Ende August, bekommt Benni Fieber. Er will nicht mehr spielen, liegt schlapp auf dem Sofa. „Das kannten wir von ihm gar nicht, er war immer so aufgeweckt“, erzählt Steffi Schamarek.

Lesen Sie dazu: Auch die kleine Mathilda aus dem Landkreis Freising erkrankte 2015 an Leukämie. Damals war sie drei Jahre alt. Nun haben ihre Eltern in einem rührenden Brief ihren Dank an alle Helfer ausgesprochen. Für Mathilda gibt es Hoffnung.

„Man weiß nicht, wo oben und unten ist“

Sie geht mit ihm zum Kinderarzt, der zunächst auf Streptokokken testet. Negativ. Als Benni am nächsten Tag hinkt und Schmerzen beim Gehen hat, fährt die Familie ins Kinderkrankenhaus nach Landshut. Die Ärzte vermuten harmlose Ursachen seiner Symptome. Hüftschnupfen oder eine arterielle Gelenkentzündung. Die Ultraschalluntersuchungen von Hüfte, Sprunggelenke und Knie bleiben ohne Ergebnis.

Benni während der Therapie: Sein Gesicht ist deutlich angeschwollen – eine Nebenwirkung des Medikaments Kortison.
Benni während der Therapie: Sein Gesicht ist deutlich angeschwollen – eine Nebenwirkung des Medikaments Kortison. © privat

Benni wird stationär aufgenommen, man nimmt ihm Blut ab, „dann ging es plötzlich ganz schnell“, erinnert sich seine Mama. Der Bub ist blass, schwitzt stark, bekommt am ganzen Körper auffällig blaue Flecken.

Steffi Schamarek sucht nach diesen Symptomen im Internet. Das Wort Leukämie taucht auf. Kurz darauf äußern auch die Ärzte diesen Verdacht. „Man denkt immer, das passiert nur ganz weit weg, aber nicht bei einem selbst. Da weiß man erst nicht, wo oben und unten ist“, erzählt sie.

Jährlich erkranken 500 Kinder neu

Benni kommt sofort in die Kinderonkologie nach München. „Wir waren alle total neben uns und haben geweint. Benni wusste gar nicht, was los ist. Er hatte Angst und das viele Blutabnehmen war schlimm für ihn“, erinnert sich Papa Fritz Schamarek (32). Am 30. August schließlich die Diagnose Leukämie, genauer Akute lymphoblastische Leukämie (ALL).

Sie ist laut www.kinderkrebsinfo.de, einem Informationsportal für Leukämien und Tumorerkrankungen im Kindesalter, mit 80 Prozent die häufigste Leukämieform bei Kindern und Jugendlichen. Nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters erkranken deutschlandweit pro Jahr etwa 500 Kinder zwischen 0 und 14 Jahren neu daran. Seltener ist die Akute myeloische Leukämie (AML), die 15 bis 20 Prozent der Leukämien bei Kindern und Jugendlichen ausmacht.

Mit seiner Mama bleibt Benni zunächst für fünf Wochen stationär auf der kinderonkologischen Station. Das Zimmer dürfen sie kaum verlassen, Besuch muss Schutzkleidung tragen, um Infektionen zu verhindern.

Benni Schamarek ist ein lebenslustiger Bub. Das Bild zeigt ihn vor seiner Erkrankung.
Benni Schamarek ist ein lebenslustiger Bub. Das Bild zeigt ihn vor seiner Erkrankung. © privat

Anstatt die letzten Sommertage zu genießen, beschäftigt sich die Familie mit Einverständniserklärungen, Nebenwirkungen der Chemotherapie, Krankenkassenanträgen, Hygienemaßnahmen und Ernährungsumstellungen. „Es war heftig, wie viel kompliziertes Material wir durchlesen und unterschreiben sollten“, sagt Fritz Schamarek.

Benni bekommt hoch dosiertes Kortison und einen festen Zentralen Venenkatheter, einen Hickman-Katheter. „Hicki“ nennt ihn Benni. „Auch wenn es seltsam ist, dass Schläuche aus meinem Kind kommen, war ich froh, weil Benni nicht mehr so oft gestochen werden musste. Er hatte dadurch richtig Panik vor den Ärzten und dem Krankenhaus“, beschreibt Steffi Schamarek.

In den vergangenen vier Monaten hat Benni schon unzählige Untersuchungen, Lumbal- und Knochenmarkspunktionen, Bluttransfusionen und Chemotherapien hinter sich. Dazu bekommt er jeden Tag eine Thrombosespritze und muss Medikamente nehmen, unter anderem um Lungenentzündungen vorzubeugen.

„Man denkt positiv, aber ein Restrisiko ist da.“

Das Kortison hat Bennis Gesicht anschwellen lassen und zu Stimmungsschwankungen geführt, die Medikamente machen ihn extrem hungrig. „Doch die Nebenwirkungen sind zum Glück einigermaßen erträglich“, sagt Steffi Schamarek. Die gelernte pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA), die derzeit in Elternzeit ist, verbindet den Katheter alle zwei Tage frisch. „Das macht er brav mit und schreit nicht. Er macht das sehr gut“, sagen seine Eltern stolz.

Weil Bennis Immunsystem im Keller ist, muss er Menschenmengen meiden – kein Weihnachtsmarkt, kein Spielplatz, kein Schwimmbad. Weihnachten und Silvester jedoch darf er zuhause verbringen. Und kurz vor dem Fest bekommt die Familie das wohl beste Geschenk der Welt: Bei einer Knochenmarkspunktion kann keine Leukämie mehr nachgewiesen werden. Die Familie freut sich, bleibt aber realistisch: „Das heißt leider noch nicht, dass nichts mehr da sein könnte. Es ist so, als würde man ein Glas Wasser aus dem Meer nehmen. Irgendwo darin kann ja immer noch was schwimmen, das man nicht erwischt hat.“

Die Heilungschancen jeddoch stehen sehr gut. 80 bis 90 Prozent der Patienten können fünf Jahre nach der Diagnose krankheitsfrei leben. Familie Schamarek ist froh über diese Prognosen. „Doch was ist mit den anderen zehn bis 20 Prozent? Man denkt positiv, aber ein Restrisiko ist da“, sagt die Mama.

Bennis Behandlung dauert insgesamt zwei Jahre, die Intensivtherapie sechs Monate. Dafür sieht das Behandlungsprotokoll mehrere Chemo-Blöcke mit jeweils zwei Woche Pause vor. Seit Montag stehen wieder Lumbalpunktionen und Chemo über 24 Stunden im Protokoll. „Weil das so giftig ist, bekommt er im Anschluss einige Tage lang Infusionen, damit die Organe nicht zu sehr geschädigt werden“, erzählt Steffi Schamarek. Nach der Intensivphase muss Benni den Katheter noch einen Monat behalten, bevor er entfernt und die Chemotherapie mit Tabletten fortgesetzt wird.

Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) – auch akute lymphatische Leukämie genannt – ist wie die akute myeloische Leukämie (AML) eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. Sie entsteht im Knochenmark, dem Ort der Blutbildung, und geht im Allgemeinen mit einer Überproduktion unreifer weißer Blutzellen einher. Sie verdrängen zunehmend die normale Blutbildung, sodass gesunde weiße Blutzellen (Leukozyten), rote Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) nicht mehr im notwendigen Umfang gebildet werden. ALL nimmt einen raschen Verlauf. Ohne Behandlung kommt es durch die Ausbreitung der Leukämiezellen und der damit einhergehenden Schädigung der Organe zu schweren Erkrankungen, die unbehandelt innerhalb weniger Monate zum Tod führen.

Quelle: Informationsportal  www.kinderkrebsinfo.de

Die teure Behandlung bezahlt die Krankenkasse, ebenso den Großteil der Fahrtkosten. Zusätzliche Angebote wie Mal- oder Musiktherapie übernimmt der Förderkreis für tumor- und leukämiekranke Kinder Ulm, wo Benni derzeit behandelt wird.

Weitere finanzielle Belastungen aber muss die Familie selbst tragen. Papa Fritz arbeitet als Kommunikationselektroniker, seine Frau wird wegen Bennis Erkrankung länger nicht arbeiten können. Immerhin muss sie selbst ihrem Sohn auch zuhause Medikamente geben – eine zeitaufwändige Prozedur, die an die Nerven geht. „Es ist hart, aber man wächst in diese Aufgaben hinein und lernt, damit umzugehen“, sagt Bennis Mama.

Doch die Schamareks stehen nicht alleine da. „Es ist Wahnsinn, wie viel Menschlichkeit uns entgegen gebracht wird. Familie, Freunde und Fremde unterstützen uns und schicken uns einfach gute Gedanken. Dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Steffi Schamarek.

Dankbar ist die Familie auch, dass es Benni den Umständen entsprechend gut geht. Denn auf der Kinderonkologie hat sie in den vergangenen Monaten viele Fälle erlebt, „da hätte ich nie gedacht, dass es so etwas Schlimmes überhaupt gibt. So viele Kinder warten auf eine Stammzellenspende.“ Die Schamareks sind froh, dass ihr Sohn vermutlich keine solche Transplantation brauchen wird. Unabhängig von Bennis Schicksal ist seine Mama schon seit Jahren bei der DKMS als potenzielle Stammzellspenderin registriert.

Lebenslange Folgen der Chemotherapie

Ist sein Immunsystem aufgebaut, kann Benni wieder mit anderen Kindern spielen. Die erste Zeit wird er noch einmal pro Woche ins Krankenhaus müssen, danach sein Leben lang zu regelmäßigen Kontrollen, denn die Chemo kann neuen Krebs entstehen lassen oder die Organe schädigen. Das merkt man aber oft erst nach vielen Jahren. Die Folgen der Behandlung werden den Buben also sein Leben lang begleiten.

Auch wenn Benni noch keine drei Jahre alt ist, begreift er doch schon, dass er krank ist. Aber er ist nach wie vor ein fröhliches, aufgewecktes Kind und lacht viel. „Es ist erstaunlich, wie gut er das alles wegsteckt“, sagt Fritz Schamarek.

„Er wird sich später hoffentlich nicht mehr an viel von der Therapie erinnern“, hofft seine Mama. „Aber es wird ihn sicher interessieren, wie es damals war.“ Außerdem prassele gerade am Anfang so viel auf einen ein, „dass man heute schon nicht mehr weiß, was gestern war“.

Die nächste Perle ist ein Smiley

Die 30-Jährige hat deshalb angefangen, ein Behandlungstagebuch mit Fotos zu schreiben, damit sie ihm später alles genau erklären kann.

Dabei wird auch die Mut-Perlenkette helfen, die seine Mama für ihn knüpft. Anhand der Perlen kann man sehen, wie viele Chemos, Punktionen und Untersuchungen Benni schon hinter sich gebracht hat. Muss er wieder ins Krankenhaus, ist die Kette immer dabei und hängt für alle sichtbar am Infusionsständer.

Sie ist schon ganz schön bunt. Viele weitere Perlen werden sich dort in den nächsten Monaten noch einreihen. Am 25. Januar kommt ein gelber Smiley dazu, der Bennis Geburtstag symbolisiert. Darauf freut sich der tapfere Bub schon sehr. Noch mehr aber sehnt er die blaue Blume herbei. Sie steht für das Ende seiner Behandlung.

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit der Erdingerin Kathi Heilmaier, die die Leukämie besiegt hat. 

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