Und plötzlich fällt dem Gleiswächter das Glück vor die Füße

Wegen der Pandemie durften nur wenige Zuschauer ins Bürgerhaus, dafür wurde daheim gestreamt. Das Stück „Der Tunnel“ feierte ein besonderes Eching-Debüt.
Eching - Nach einer langen kulturellen Durststrecke war dem Echinger Publikum, dem Bühnenensemble der Münchner Lichtbühne und auch dem anwesenden Autor Bernhard Ganter beim Zweipersonenstück „Der Tunnel“ im Bürgerhaus Eching ein besonderer Theaterabend vergönnt. Es handelte sich zudem um eine Heimspielpremiere für den Schriftsteller aus Dietersheim. Dank Live-Stream konnten nicht nur vereinzelte Gäste im Saal dabei sein, sondern auch weitere interessierte Zuschauer in ihren eigenen vier Wänden.
Der von Regisseur Guido Terstegen adaptierten Bühnenfassung liegt Ganters viel beachteter gleichnamiger Roman aus dem Jahr 2013 zugrunde. Das Schauspiel ebenso wie die Buchvorlage, beides skurril und tiefgründig, anspruchsvoll und nachdenkenswert, machen deutlich, dass die Schwachen in ihrer jeweiligen Gesellschaft abgewertet und ausgegrenzt werden. Dies trifft in der westlichen Welt auf den von Peter Bosch gespielten, etwas einfältigen Joseph Staudinger zu. Als Gegenpart verkörpert Yasmin Afrouz in der Gestalt von Aisha als Zweitfrau eines reichen arabischen Touristen eine typische Frauenrolle in der arabischen Welt.
Misshandlungen, Missverständnisse und Missgeschicke
Wie Aisha in einem eindringlichen Monolog ausführt, werden Musliminnen nur allzu oft als blutjunge Mädchen zwangsverheiratet und führen ein Schattendasein hinter ihren Schleiern. Von klein auf ist das Leben des mittlerweile erwachsenen Dorfbubs und Schienenwächters Joseph eine Folge von Misshandlungen, Missverständnissen und Missgeschicken. Mit großer Scheu vor dem weiblichen Geschlecht, das ihn fasziniert wie abstößt, wird der Außenseiter schikaniert. Als Erwachsener leidet er unter den Späßen seiner ausländerfeindlichen Stammtischbrüder, die nicht mit ihm lachen, sondern über ihn. Er fühlt sich nur wohl in seiner eigenen Welt der Gleise und Waggons, verfügt über eine besondere Gabe, kann anhand von Klopfgeräuschen hören, ob Schienen defekt sind.
Eindrucksvoll untermalt Percussionist Amadeus Bodis die Bühnenhandlung nicht nur mit lauten und rhythmischen Klopfgeräuschen, sondern lässt es vor einer Filmkulisse im Hintergrund rascheln oder tuscheln, pfeifen oder rattern. Eine schicksalhafte Wendung nimmt Staudingers einsames Leben, nachdem dem 50-Jährigen erst der Job gekündigt wird und dann Aisha ihm – ganz wörtlich – aus einem durch den Tunnel fahrenden Zug vor die Füße fällt. Mit ihr kann er sich ganz wunderbar unterhalten über sein Leben, aber auch ihres. „Ich kann gut zuhören“, charakterisiert sich die Muslimin.
Aisha kann einfach gut zuhören
„Aisha ist anders“, erklärt auch der in Liebe entbrannte Schienenwärter. Wie „anders“ sie tatsächlich ist und wozu der Gleiswächter auf seinem Berg eine große Tiefkühltruhe braucht, erschließt sich für diejenigen Zuschauer, die die Romanvorlage nicht kennen, erst ganz am Ende.
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