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Fraunhofer IVV hat Methode entwickelt, die das Recycling revolutionieren könnte

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Von: Manuel Eser

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Reiner Kunststoff: Im Labor löst Renate Leizinger das Material, das als Recyclat gewonnen werden soll, mit einem chemischen Mittel aus der Multi-Material-Verpackung. Die Lösungsflüssigkeit kann wiederverwendet werden. © Lehmann

Vor rund 20 Jahren sind die Forscher des Fraunhofer IVV für ihre Idee noch belächelt worden. Jetzt könnte diese Methode das Recycling revolutionieren und damit die Umwelt schützen.

Freising – Die gesamte Branche ist in Aufruhr. Das neue, seit Januar 2019 in Deutschland geltende Verpackungsgesetz fordert mehr Recyclingfähigkeit bei Verpackungen, zugleich aber sollen diese Verpackungen weiter die Lebensmittelsicherheit gewährleisten. Eine Gratwanderung. 

Entsprechend angespannt sind Lebensmittel- und Verpackungshersteller, aber auch Recycler. Das Fraunhofer IVV in Freising sucht nun nach einem gangbaren Weg, bei dem keiner auf der Strecke bleibt. Die Wissenschaftler am Institut in der Domstadt tüfteln nicht nur an neuen Verpackungsdesigns, sondern haben auch ein völlig neues Recycling-Verfahren entwickelt, das für die Branche bahnbrechend sein könnte.

Das neue Verpackungsgesetz fordert viel

Das neue Verpackungsgesetz ist seit 2019 gültig. Ziel ist es, die Belastung der Umwelt durch Verpackungsmüll zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Für die Wiederverwendung oder Entsorgung der Verpackungen werden die Inverkehrbringer von Endverbraucher-Produkten in die Pflicht genommen. „Es gilt das Prinzip der Eigenverantwortung“, erklärt Andrea Liebmann (58), die am Fraunhofer IVV für die Geschäftsfelder Verarbeitungsmaschinen und Verpackung zuständig ist und sich in erster Linie mit recyclingfähigen Verpackungen beschäftigt.

Im Zuge des neuen Gesetzes gibt es erstmals eine zentrale Stelle, an der sich jeder Inverkehrbringer registrieren muss. Zwar gab es vorher schon Lizenzierungsverfahren, doch die waren zu weitmaschig. „Bis dato hat sich nicht jeder an der Lizenzierung und damit an den Entsorgungskosten beteiligt“, berichtet Liebmann. „Das neue zentrale Verpackungsregister, das von der Bundesregierung eingeführt wurde, kümmert sich darum, dass die Anmeldung funktioniert, und verfolgt nach, wenn jemand nicht angemeldet ist. Das führt zu einer gerechten Verteilung der Entsorgungskosten an die Verursacher.“

Die neuen Quoten sind ein Quantensprung

Kern des noch neuen Gesetzes aber ist, dass die Recyclingfähigkeit der Verpackungen erhöht wird. Und da erwartet der Gesetzgeber von der Branche einen Quantensprung: Schon jetzt soll die Quote bei 59 Prozent liegen, ab 2022 bei 63 Prozent.

Davon aber ist man in der Realität noch ein gutes Stück entfernt, wie Dr. Martin Schlummer (49), stellvertretender Leiter der Abteilung für Kunststoff-Recycling, erklärt. „In Europa liegen die Recyclingquoten bisher gerade mal bei knapp über 30 Prozent.“ Immerhin: Deutschland erreicht schon über 50 Prozent. Das große Aber: Die Zahlen sind letztlich schön gerechnet. Denn die Quoten werden anhand der Zulieferung gemessen, nicht am erzeugten Recyclat. 

Heutige Recycling-Produkte sind eher minderwertig

„Wir gaukeln uns hier etwas vor“, sagt Schlummer. „Denn wenn etwa aus dem Müll eines Gelben Sacks der Stoff PE recycelt werden soll, dann gehen in das Recyclat auch etwa 20 bis 30 Prozent andere Stoffe mit rein, weil die Sortiermaschinen nur bis zu einem gewissen Grad trennen können.“ Das heißt: Die tatsächlichen Recyclingquoten liegen niedriger als die bisher errechneten.

Ein weiteres Problem: „Die heutigen Recycling-Produkte sind eher minderwertig“, sagt Schlummer. „Meist werden schlechte Kugelschreiber oder Outdoor-Materialien wie Blumentöpfe hergestellt, weil man es mit Problemen wie Geruch, Unreinheiten und brüchigen Polymeren zu tun hat.“ Künftig aber sollen auch aus Recyclaten „Highend-Produkte“ hergestellt werden, wie es der 49-jährige Wissenschaftler ausdrückt. „Im besten Fall kann aus einer alten Verpackung eine neue entstehen.“ Um dahin zu kommen, müssen aber die Verpackungen generell recyclingfähiger werden.

Jetzt muss an der Verpackung geschraubt werden

Es gibt mehrere Gründe, warum heutige Verpackungen schwer wiederverwertbar sind. So gibt es etwa Materialien, für die gar keine Recycling-Infrastruktur existiert. „Biopolymere scheitern beispielsweise daran“, sagt Schlummer. „PLA etwa ist ein tolles Material, aber es gibt keinen PLA-Recycler da draußen.“ Ein anderes Problem: Verpackung besteht zum Schutz von Lebensmitteln aus mehreren Schichten mit meist unterschiedlichen Materialien. „Solche Verbunde sind jedoch schwer recycelbar.“

Eine Möglichkeit, die Recyclingquoten zu verbessern, besteht also darin, am Verpackungsdesign zu feilen. Dabei kommt man jedoch schnell in Konflikt mit der Grundfunktion einer Verpackung – dem Schutz des Lebensmittels. „Über Jahrzehnte wurden Verpackungsmaterialien dahingehend optimiert, gute Barrieren zu erreichen und die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten“, erklärt Liebmann. „Jetzt kommt eine neue Anforderung dazu: Recyclingfähigkeit.“ Und dafür wiederum sind die vielen Schichten störend. Weil nun also in einem jahrelang eingespielten System an einer Schraube gedreht werden müsse, seien überall neue Lösungen gefragt.

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An Verpackungen, die hauptsächlich aus einem Material bestehen und sich leichter als Verbundverpackungen recyceln lassen, forscht Andrea Liebmann. © Lehmann

Schlummer erklärt es plastisch: „Wenn Sie den Recycler fragen, wie er es gerne hätte, wird er sagen: Verpacken Sie bitte alles in reine PE-Folie. Der Lebensmittelhersteller wird Ihnen sagen, dass das Fleisch halt dann – überspitzt gesagt – weniger als drei Stunden haltbar ist.“ Der will lieber mehr Sicherheit um den Preis, dass Verpackung heutzutage auch überdimensioniert sei – um den Faktor 2 oder 3. Auf der anderen Seite betont Schlummer auch: „Jedes verdorbene Stück Fleisch, das wir wegschmeißen müssen, hat viel negativere Umweltauswirkungen als die dazugehörige Verpackung, die wir verbrennen statt sie zu recyceln.“

Liebmann berichtet von einem Fiasko, das die Supermärkte erst kürzlich mit unverpackten Gurken erlebt hätten. „Viele regen sich darüber auf, dass die Dinger in Folie eingepackt sind, aber jeder will immer Gurken essen.“ Die kommen im Winter aber nicht aus Deutschland, sondern aus Südeuropa – oder aus noch ferneren Regionen. Durch die langen Lieferwege verderben die unverpackten Gurken jedoch früher als verpackte Ware. Tonnen verdorbener Ware mussten weggeworfen werden.

Einstofflösungen sind nur bedingt machbar

Eine Lösung in diesem Dilemma sind sogenannte Monomaterial-Multi-Layer. Verpackungen, die zwar aus mehreren Schichten, größtenteils aber aus demselben Material bestehen. „Ich kann etwa verschiedene PE-Typen übereinander kleben und dazwischen ganz dünne Barriereschichten aufbringen, die sich im Nanometerbereich bewegen“, erklärt Schlummer und nennt zum Beispiel Siliciumoxid-Schichten. „Dabei handelt es sich im Grunde um nanoskaligen Sand, der beim Recycling nicht stört. So habe ich die Stoffvielfalt aufgehoben.“

Derartige Einstofflösungen sind aber nicht überall machbar, betont Liebmann. „Es muss für das jeweilige Lebensmittel passen.“ Sie dürfen die Haltbarkeit der Lebensmittel nicht signifikant einschränken und müssen sich auf den gängigen Maschinen herstellen lassen. Viele Fragezeichen bleiben, also müssen auch andere Lösungen her. Das Fraunhofer IVV hat eine gefunden.

Neues Verfahren könnte die Lösung bringen

Bisherige Verfahren laufen über maschinelle Sortierung des angelieferten Mülls sowie anschließende Zerstückelung und Reinigung. Ein System, das nicht nur bei Verbundsystemen scheitert, sondern dem ab einer bestimmten Partikel-Größenordnung Grenzen gesetzt sind, und das dementsprechend nie zu einem 100 Prozent reinem Recyclat kommt.

Die Methode, die das Fraunhofer IVV in langjähriger Arbeit seit dem Millennium entwickelt hat, könnte nun zu einer Zeitenwende in der Branche führen. „Wir sind in der Lage, Verbunde mithilfe eines Lösemittels zu trennen und so das gewünschte Zielpolymer in reiner Form zu erhalten, zum Beispiel PE“, berichtet Schlummer. Die kunststoffhaltigen Fremdmaterialien, die dabei herausgesiebt wurden, können im nächsten Schritt ebenfalls gelöst werden. Im Prinzip kann das Verfahren bis zum Kleinstanteil an Materialien weiterbetrieben werden. „Allerdings gibt es irgendwann eine Grenze, wo es sich nicht mehr lohnt“, sagt Schlummer. „Wir sind zufrieden, wenn wir 60 bis 80 Prozent des Materials verarbeitet bekommen.“

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Beim CreaSolv-Prozess werden unerwünschte Fremdmaterialien heraussortiert, sodass der gewünschte Verpackungskunststoff als reines Recyclat zurückbleibt. Dr. Martin Schlummer hat diese Methode in vielen Jahren der Forschungsarbeit mitentwickelt. © Lehmann

Die chemische Flüssigkeit, die selektiv für das jeweilige Material verwendet wird, fährt ebenfalls im Kreis. Sie bleibt nicht im Recyclat, sondern kann wiederverwendet werden. Stör- und Schadstoffe in Materialien, seien es Druckfarben, Lebensmittelgerüche oder Reststoffe, können beseitigt werden.

Damit greift das Verfahren an zwei Enden: „Zum einen können wir Fraktionen recyceln, die bisher keiner verarbeiten kann. Zum anderen entfernen wir alles, was bei der Produktnutzung in das Material hineindiffundiert ist, und das klassische Recycling nicht rauskriegt. Das hat eine unheimlich gute Auswirkung auf die Qualität.“ Und die sei wichtig für eine Kreislaufwirtschaft. „Denn jetzt kann ich aus den Recyclaten nicht nur Blumentöpfe herstellen, sondern mir auch Gedanken über neue Verpackungen machen.“ So hat Nivea zusammen mit dem Fraunhofer IVV Duschgel-Flaschen entwickelt, die aus hochwertigem Kunststoffrezyklat bestehen.

Erste Anlagen werden gebaut - auch in Bayern

Der sogenannte CreaSolv-Prozess ist bereits praxiserprobt. So hat das Fraunhofer IVV mit dem Unternehmen Unilever in Indonesien eine Anlage aufgestellt, die aus Kunststoffabfällen ein hochwertiges Recyclat herstellt, das heute schon zur Herstellung neuer Verpackungen verwendet wird. Warum Indonesien? „Weil die Märkte in Südostasien für die Branche immer interessanter werden. Dort wächst der Konsum.“ 

Aber auch in Europa wird gebaut. In Bayern werden zwei weitere Anlagen für Kunststoffe errichtet, eine davon soll noch dieses Jahr in Betrieb gehen. In den Niederlanden entsteht eine Anlage für Dämmstoffe, berichtet Schlummer. „Denn wir gehen mit der Technologie nicht nur auf Verpackungsabfälle, sondern auch auf Baumaterialien oder Elektroschrott.“

Die einst belächelte Idee hat revolutionären Charakter

„Vor 20 Jahren sind wir für unsere Technologie belächelt worden“, erinnert sich Schlummer. „Inzwischen nimmt man die Technologie sehr ernst.“ Wird das CreaSolv-Verfahren das Recycling revolutionieren? „Das globale Interesse an der Technik zeigt uns, dass die Idee dahinter revolutionären Charakter hat“, sagt Schlummer. „Aus der Nische einer verrückten Idee sind wir jedenfalls längst raus.“

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