Die Krise nach dem Boom: Bioladen-Besitzer bangen um Existenz, Landwirte sind verunsichert

In den härtesten Corona-Zeiten waren sie so etwas wie Oasen: Bio-Läden und Direktvermarktern wurde die Bude eingerannt. Jetzt müssen sie um Kunden kämpfen.
Freising – Seit 32 Jahren ist Brigitte Waldhauser in der Bio-Branche. So einen Boom wie in der Pandemie hat die Geschäftsführerin des Tagwerk-Biomarkts in Freising in all der Zeit nie erlebt. „Zur Corona-Hochphase hat es so ausgeschaut, als wäre bio, fair und regional endlich in der Gesellschaft angekommen“, berichtet sie. „Plötzlich war es das Logischste der Welt, bei uns einzukaufen.“
Doch das ist passé. „Momentan sieht es tragisch aus“, berichtet Waldhauser. Die Umsätze sind drastisch zurückgegangen, seit die Lebenshaltungskosten in Folge des Kriegs in der Ukraine deutlich gestiegen sind, und keiner mehr weiß, wohin die Preisspirale noch hinführt.
„Wir haben keine Steigerung wie im konventionellen Handel“
„Ich glaube, dass da etwas Psychologisches bei den Menschen abgelaufen ist“, sagt Brigitte Waldhauser. Eine Kundin habe ihr erzählt, dass sie von Bekannten gefragtworden sei, warum sie immer noch im teuren Biomarkt einkaufe. „Dabei stimmt das einfach nicht“, betont die Ladeninhaberin.
Zwar seien die Preise etwas hochgegangen, weil auch die Produktionskosten der Landwirte gestiegen seien. „Aber wir haben keine Steigerung von 30 Prozent, wie das im konventionellen Handel der Fall war.“ Und so kaufen bei ihr auch weiterhin Menschen ein, die Sozialhilfe-Empfänger sind.
Tagwerk-Biomarkt kämpft mit finanziellen Problemen
Dass Discounter auf den Bio-Zug aufgesprungen sind, findet Brigitte Waldhauser grundsätzlich gut. Dass allerdings die Verbraucher glauben, dass dort ökologisch produzierte Lebensmittel – vermeintlich – günstiger angeboten werden, sei fatal für Direktvermarkter und kleine Läden. „Das führt nur dazu, dass die reichsten Männer Deutschlands noch reicher werden.“
Sie und ihr Team fürchten inzwischen um die Existenz des Biomarkts. „Es ist nicht leicht für mich, darüber zu sprechen. Aber wir haben ernsthafte finanzielle Probleme, und darüber informieren wir auch unsere Kunden.“ Deren Reaktionen gibt ihr neue Kraft. „Sie machen Mund-zu-Mund Werbung für uns.“
Biomarkt-Inhaberin hofft auf Rückkehr der Kunden
Auch Kathi Zanker, Inhaberin von „Kathis Lebenskunst“ in Freising, muss den harten Aufprall vom Boom zur Krise verkraften. Der Umsatz im September etwa, als es ungewöhnlich kalt war, und niemand wusste, wie es mit den Energiekosten weitergehen würde, sei „megagrottenschlecht“ gewesen. „Aber ich finde es nachvollziehbar, dass die Leute da eingespart haben.“ Auch jetzt ist der Umsatz nicht vergleichbar mit dem der vergangenen Jahre.
Dennoch blickt Kathi Zanker optimistisch nach vorne: „In dem Moment, in dem die Menschen sich wieder sicherer fühlen, kommen sie auch wieder zu uns.“ Denn zum einen seien Kunden in der Bio-Branche sehr treu. „Und wertvolles Essen gehört einfach zu einem glücklichen Leben.“
Gestern Halleluja, heute Stille
Ralf Huber sieht es ähnlich. „Wir Bauern sind uns sicher, dass alles wieder wird, wenn sich die Wirtschaft gefangen hat“, betont der Kreisobmann der Freisinger Landwirte und Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands. Er sagt aber auch: „Die Verunsicherung unter den Landwirten ist aktuell riesengroß.“

Die Frage, die sich Huber stellt: „Wie kann es sein, dass Verbraucher gestern noch Halleluja schreien und schon heute nicht mehr kommen?“. Für ihn ist es schizophren, dass die Gesellschaft von den Landwirten einerseits fordere, naturnah zu produzieren, dann aber einen anderen Weg gehe.
Kreisobmann appelliert an Verbraucher
Dabei betont auch er, dass die Produkte der Bio-Bauern nicht viel teurer geworden seien, in manchen Fällen sogar günstiger als im konventionellen Handel. „Das liegt daran, dass im Öko-Sektor langfristige Verträge abgeschlossen werden. Der Preis entwickelt sich daher langsam, Preissprünge gibt es nicht.“
Huber gibt zu, dass die Landwirte momentan froh darüber seien, mit den Discountern einen Kanal für ihre Absätze zu haben. Und wolle Bayern sein Ziel erreichen, die ökologisch betriebenen landwirtschaftlichen Flächen von 10 auf 30 Prozent zu erhöhen, sei man auf konventionellen Handel auch angewiesen. Ihm selbst aber liegen die Direktvermarkter und kleinen Läden am Herzen.
Deshalb geht sein Appell an die Verbraucher. „Die Kunden haben es durch ihr Kaufverhalten in der Hand, wo Produkte in Zukunft hingehen.“ Was den Kreisobmann Mut macht: „Corona hat bewiesen, dass die Menschen eigentlich bio wollen – einfach weil ihnen ihre Gesundheit, aber auch das Klima und die Umwelt am Herzen liegt.“