1. Startseite
  2. Lokales
  3. Freising
  4. Freising

„Corona ist nur die Spitze des Eisbergs“: Wissenschaftler sehen Pandemie als Chance zum Umdenken

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Wie sieht der Rahmen für ein gutes Leben aus? Dazu lieferten Ökonomie-Professor Niko Paech (r.) und der aus Ecuador zugeschaltete Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta im ausverkauften Lindenkeller Impulse.
Wie sieht der Rahmen für ein gutes Leben aus? Dazu lieferten Ökonomie-Professor Niko Paech (r.) und der aus Ecuador zugeschaltete Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta im ausverkauften Lindenkeller Impulse. © Rainer Lehmann

Wirtschaftswissenschaftler sehen die Corona-Pandemie als Chance zum ökonomischen Umdenken. Impuls zu einem guten Leben gab es nun in der Luitpoldhalle.

Freising – Kann der Mensch dem Hamsterrad von Arbeit und Konsum entfliehen? Sind neue soziale Verbindungen, die Abkehr von digitalen Grundformen und die Rückbesinnung auf eigene Fähigkeiten der Schlüssel, Krisen wie die Corona-Pandemie unbeschadet zu überstehen? Und überhaupt: Was ist eigentlich ein „gutes Leben“? Im ausverkauften Lindenkeller begaben sich Niko Paech und Alberto Acosta mit einem Vortrag vom Fairen Forum Freising und Eine Welt Freising e. V. auf eine Spurensuche nach dem Glück des Lebens.

Pandemie deckt alte Probleme auf

Für den Wirtschaftswissenschaftler Acosta, der live via Skype aus Ecuador zugeschaltet war, ist die Corona-Krise nur die Spitze des Eisbergs, denn schon zuvor sei ersichtlich gewesen, dass etwas gewaltig schief laufe: beispielsweise Luft- und Wasserverschmutzungen oder Hungersnöte. Doch trotz des Lockdowns sei kein politischer Richtungswechsel ersichtlich – ganz im Gegenteil: Die Welt dränge zurück in jene Normalität, die seiner Meinung nach allerdings alles andere als normal sei – sondern vielmehr nur eine Wirtschaftswachstumsspirale.

Die Pandemie, so auch der Professor für Plurale Ökonomie, Niko Paech, sei vor allem ein Prozess der Aufdeckung von alten Problemen – in der Krise stecke seiner Meinung nach aber auch eine große Chance für Veränderungen. Ökologisch und ökonomisch habe die Gesellschaft nämlich über ihre Verhältnisse gelebt, und auch die psychische Wachstumsgrenze sei nun endgültig erreicht. Durch den Wohlstand, so Paech, sei der Mensch unfrei, ja sogar zu einer Marionette der Industrie geworden: Die Corona-Krise habe dies sichtbar gemacht.

Starke Gemeinschaft fundamental wichtig

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, seien laut Acosta Alternativrouten notwendig: Eine starke Gemeinschaft zwischen den Menschen sollte fundamental sein wie auch eine harmonische Beziehung zur Natur statt einer weiteren Ausbeutung – um Entschleunigung, mehr Freizeit und mehr Freude am Leben erreichen zu können. Paech plädierte auch auf geringere Wochenarbeitszeiten, das Recht auf eine analoge Kindheit und die Förderung von Regional-Ökonomie. Zudem wichtig sei eine Bildungsreform hin zur Stärkung von Handwerks- und Landwirtschaftsberufen.

Paech tendiert auch zur freiwilligen „Entsagung“, um das Leben von unnötigem Konsum-Ballast zu entrümpeln und sich zu befreien – im Zusammenspiel mit der Idee der Selbstversorgung und dem Umbau der Industrie. Heißt im Klartext: eine Waschmaschine für das ganze Wohnhaus, die man im besten Fall dann auch selbst reparieren kann. Für eine Rückkehr zur sogenannten Normalität via „Brechstange“ fand Paech klare Worte: „Das ist Konkurs-Verschleppung!“

Menschen mit Vorbild-Charakter notwendig

Aber wie kann nun dieses „gute Leben“ für alle erreicht werden? Diesbezüglich waren sich Paech und Acosta einig: Dafür seien immer Menschen mit Vorbild-Charakter nötig. Mit der Politik, so Paech, käme man nicht weiter. Für Veränderungen bräuchte es seiner Meinung nach immer zuerst eine Avantgarde und „Widerstandsnester“.

Die Anmerkung aus dem Publikum, dass mit reduzierter Wochenarbeitszeit eben auch das Gehalt fehle für ein eigenes Heim, ließ Paech nicht gelten: Überall verfalle Wohnraum, die Zunahme von immer mehr Wohnflächen-Bedarf sei sowieso kritisch zu betrachten – wie auch der Konsum-Individualismus.

Den kongenialen Soundtrack des Abends lieferte Grupo Sal. Die bekannte Formation spielte Lieder, die vom Widerstand und der Sehnsucht nach einem anderen Leben handeln.

Richard Lorenz

Auch interessant

Kommentare