Radhändler sammelt 23 Jahre lang alte Reifen für den Klimaschutz – „beeindruckend und einzigartig“

Für den Klimaschutz hat ein Radhändler mehr als 20 Jahre lang ausgediente Reifen gesammelt. Jetzt hat er eine Lösung für seinen riesigen Reifenberg gefunden.
Freising – Von einem Tag auf den anderen ist aus dem Müllberg, den Ingo Ruhland auf seinem Anwesen hortet, ein Schatz geworden. Lange hat der Inhaber des Freisinger Fahrradgeschäfts Radl Ruhland auf diesen Moment gewartet. Mindestens 23 Jahre ist es her, dass er eine einschneidende Grundsatzentscheidung getroffen hat: Stopp damit, ausgediente Fahrradreifen auf die Deponie zu bringen und dort verbrennen zu lassen! Seitdem bewahrt er sie auf, um das Klima nicht mit den CO₂-Ausstößen zu belasten.
Er hat rund 10.000 Fahrradreifen gehortet
„Ganz genau weiß ich nicht mehr, wann ich damit angefangen habe, die alten Reifen zu sammeln“, berichtet er. „Aber es war auf jeden Fall noch im alten Jahrtausend.“
Möglich war Ruhland das, weil er den Platz hat. Unterhalb seiner Radwerkstatt liegt ein Tonnengewölbe, das im Zweiten Weltkrieg noch als Luftschutzkeller gedient hat. „250 Menschen aus der Region haben hier zeitweise ausgeharrt“, berichtet er. Jetzt erhält das historische Gemäuer eine weitere geschichtsträchtige Facette. Denn die rund 10.000 Reifen, die dort inzwischen lagern, werden als Material für ein neues Recycling-Verfahren verwendet.
Neues Verfahren spart 80 Prozent CO₂
„Was wir hier haben, ist ein wahrer Schatz“, sagt Steffen Jüngst von der Firma Bohle. Das Unternehmen produziert nicht nur die beliebten Schwalbe-Reifen, sondern hat gemeinsam mit der Technischen Hochschule Köln und der Pyrum Innovations AG in jahrelanger Arbeit die Methode entwickelt, die auf Pyrolyse beruht. „In einem einzigartigen Verfahren kommt das Material in einen überdimensionierten Backofen“, erklärt Jüngst.
Bei der thermischen Spaltung entstehen Pyrolyse-Öl, Ruß und Gas. Während das entstehende Gas für den Betrieb des Ofens verwendet wird, gelangt der entstandene Schmierstoff als Ersatz für Rohöl in die chemische Industrie. Der Ruß wiederum wird für die Fertigung neuer Reifen verwendet, sagt Jüngst. „So entsteht nullkommanull Abfall, und wir sparen 80 Prozent an CO₂-Ausstoß ein.“
Die Entwicklung der Methode hat unter anderem auch deshalb jahrelang gedauert, weil die Forscher sicherstellen wollten, dass die recycelten Reifen genauso haltbar und pannensicher sind wie herkömmliche. Im kommenden Jahr sollen die ersten Räder mit recycelten Reifen verkauft werden.

Wie viele recycelte Reifen aus dem von Ruhland zur Verfügung gestellten Material genau produziert werden können, vermag Jüngst nicht zu beziffern. „Aber es ist in jedem Fall eine immense Zahl.“ Als nach einer Umfrage des Unternehmens bei den Abnehmer-Firmen der Anruf aus Freising kam, sei das daher wie ein Lottogewinn für den Reifenhersteller gewesen. „Nicht nur die gesammelte Menge ist beeindruckend und einzigartig“, sagt Jüngst. „Es ist vor allem krass, dass sich jemand bereits vor so langer Zeit gedacht hat: Ich blase die Reifen nicht in der Luft, sondern ich bewahre sie auf, bis jemand mit einer guten Idee um die Ecke kommt.“
Auf die Sammelaktionfolgt Schwerstarbeit
Als Pionier will sich Ruhland dennoch nicht bezeichnen lassen. „Schreiben’s das bitte nicht“, sagt er zum FT. Der Club of Rome habe auf die Gefahr des Klimawandels schon in den 1970er-Jahren hingewiesen. Aber natürlich sei es befriedigend, dass sich das jahrelange Sammeln nun gelohnt habe. Vor allem hofft er, dass er kommendes Jahr auch auf die nachhaltige Ware zurückgreifen kann. „Es wäre schön, wenn davon was in neuer Form zurückkommt.“
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Für dieses Ziel floss am Mittwoch reichlich Schweiß. In Schwerstarbeit wurden die Reifen von früh bis spät aus dem Keller geholt und in den Lkw verfrachtet. „Wir trinken uns schon Mut an“, sagte Christian Haller, Werkstattleiter bei Fahrrad Ruhland, am Morgen lachend mit Blick auf seine Kaffeetasse. Aber in Wirklichkeit war das für ihn zutiefst befriedigend. „Ich habe jetzt 18 Jahre lang dabei zugeschaut, wie der Berg wächst. Jetzt bin ich dabei, wenn er innerhalb weniger Stunden abgebaut wird.“