Kreis Freising: Kriminalfälle des 19. Jahrhunderts

Kreis Freising: Heimatforscher Ernst Keller greift in seinem Buch- und Filmprojekt „Vergessene Geschichten aus unrühmlichen Zeiten“ Historisches auf.
Fürholzen/Massenhausen – Im Wald bei Massenhausen kann die Polizei eine Diebesbande dingfest machen, als diese gerade am Lagerfeuer erfolgreiche Raubzüge feiert und das Diebesgut untereinander aufteilt, das sie in umliegenden Gehöften und Anwesen erbeutet hat. „Auf einen Streich“ wird das gute Dutzend der Spießgesellen von den Gendarmen verhaftet. Als einer der beiden Täter davonrennen will, wird ihm bei seinem Fluchtversuch ins Bein geschossen.
Keine erfundene Räuberpistole
Was sich anhört wie eine erfundene Räuberpistole, ist Bestandteil eines authentischen Kriminalfalls aus den Jahren 1854/55, den der Fürholzener Heimatforscher Ernst Keller für sein neuestes Buch- und Filmprojekt „ausgegraben“ und akribisch recherchiert hat. Inhaltlich geht es dabei um historische Kriminalgeschichten, die sich vorwiegend im 19. Jahrhundert in Freising und umliegenden Gemeinden zugetragen haben. Der gleichlautende Titel für die parallel produzierte Doppel-Doku in Text und Bild: „Vergessene Geschichten aus unrühmlichen Zeiten.“
Die abenteuerlichen und spannenden Gegebenheiten, darunter zwei bis zum heutigen Tag unaufgeklärte Morde und eine Geisterscheinung, sind also echte Kriminalfälle und basieren auf Quellen staatlicher, kirchlicher und privater Archive, die weitgehend noch nie veröffentlicht wurden. Ein Glücksfall stellte dabei auch der Fund einer größeren Anzahl von Originalpolizeibriefen dar.
Mit den von ihm geschilderten Geschichten aus der Geschichte möchte Keller die Vergangenheit lebendig halten. Große Unterstützung bei seiner historischen Detektivarbeit erfuhr er auch diesmal wieder durch Florian Notter. Der Freisinger Stadtarchivar und dessen Mitarbeiter gaben ihm wertvolle Hinweise bei der Erforschung der Tatzusammenhänge.
Gegenüber seinem viel beachteten (Anti)-Kriegsfilm „Als der Luftkrieg in unsere Heimat kam“ über den Bombenangriff der Amerikaner auf Freising (18. April 1945) bindet Keller bei seinen historischen Kriminalfällen nun erstmals exemplarisch nachgespielte Passagen ein – wie auch das eingangs geschilderte Szenario.
Bühne frei für die Maibaumfreunde Giggenhausen
So werden die menschlichen Schicksale und dramatischen Vorkommnisse im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich gemacht. Für die Verkörperung der Charaktere konnte er zu seiner großen Freude eine komplette Schauspielertruppe aus der Umgebung gewinnen, nämlich die eingespielten Bühnendarsteller der Maibaumfreunde Giggenhausen. Die Theatergruppe, die coronabedingt einen Tag vor der Premiere im März alle ihre ausverkauften Aufführungen absagen musste, war sehr ambitioniert und mit viel Spaß bei der Sache. Mit den Regisseuren Markus Loibl und Walter Thumann, die für die Szenen die Drehbücher geschrieben haben, brachten sie eine Menge Knowhow und gute Ideen ein. Für die Ausstattung der einzelnen Protagonisten, vom Strauchdieb bis zum Gendarm, konnten sie auf den eigenen Fundus zurückgreifen, den Rest besorgten sie sich in einem auf historische Gewänder und Uniformen spezialisierten Kostümverleih in Eggenfelden.
Professionelle Unterstützung erfährt Keller vor allen durch die Kameraleute Wilfried Winklmeier und Georg Barth, mit deren Hilfe sich auch spektakuläre Szenen umsetzen lassen. Dazu zählt beispielsweise die erfolgreiche Flucht der beiden Brüder und Diebe, Georg und Xaver Geiger, 28 und 30 Jahre alt, aus einem schwäbischen Zuchthaus Anfang September 1854. So gibt es eine mit einer Drohne aufgenommene Sequenz, bei denen die „Sträflinge“ – noch in ihrer Gefängniskluft – beim Durchqueren der Moosach gefilmt werden.
Das Ziel der beiden war Massenhausen: Dort lebte und arbeitete die clevere Josepha Wimmer als Oberdirn bei einem großen Bauern. In deren Rolle schlüpft Vereinsvorsitzende Verena Schuhbauer. Josepha, die Geliebte von Georg, und des Lesens und Schreibens kundig, avancierte zum Kopf der gesetzlosen Bande. Während die Ausbrecher überall von der Gendarmerie gesucht wurden, traf sich das Trio in den heimischen Wäldern und fand neun Gleichgesinnte, die sich ihnen anschlossen.
Brüderpaar kommt hinter Gitter
Ein weiterer Dreh- und Tatort stellte in der vergangenen Woche eine Lichtung in einem kleinen, zwischen Fürholzen und Massenhausen auf Privatgrund gelegenen Wäldchen dar. Dort hieß es bei sternenklarem Himmel „Film ab“ für die „Räuber und drei Gendarmen“, sprich die Giggenhauser Laienschauspieler. Das weitere Schicksal der Täter hat Keller ebenfalls recherchiert: Rund eineinhalb Jahre später werden sie vom Schwurgerichtshof in München verurteilt. Die Brüder gehen ins Zuchthaus und müssen zehn und zwölf Jahre hinter Gitter. Josepha kommt – vergleichsweise – glimpflich davon. Sie wird für acht Jahre ins Arbeitshaus verbannt, weil sie bei den Überfällen „nur Schmiere gestanden“ hat.
Keller hofft, dass die Premiere für die Buchvorstellung (Band eins des zweiteilig angelegten Werks soll im Freisinger Fink-Media-Verlag erscheinen) und die Erstaufführung des Films Ende des Jahres stattfinden können – und zwar im Historischen Rathaussaal der Stadt Freising. Für diese Vorschau gilt den Worten des Autors nach freilich die dieser Tage oft gehörte Einschränkung: „falls uns Corona nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht.“
Ulrike Wilms