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Vertical Farming: TUM forscht an der Landwirtschaft der Zukunft

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Der Blick in die Zukunft: Professor Senthold Asseng von der TUM School of Life Sciences und Claudia Luksch, Geschäftsführerin des Hans-Eisenmann-Forums, analysieren den Indoor-Weizen.
Der Blick in die Zukunft: Professor Senthold Asseng von der TUM School of Life Sciences und Claudia Luksch, Geschäftsführerin des Hans-Eisenmann-Forums, analysieren den Indoor-Weizen. © Eser

Die TU München forscht daran, Weizen künftig unabhängig von Wetter & Klima zu produzieren. Indoor-Pflanzenanbau könnte eine Lösung für globale Probleme sein.

Freising – Mit aufmerksamem Blick beugt sich Professor Senthold Asseng über den Weizen, der unter gleißend hellem LED-Licht in einer Klimakammer der TUM School of Life Sciences wächst. Prüfend nimmt der Inhaber des Lehrstuhls für Digital Agriculture der TUM und Direktor des Hans-Eisenmann-Forums für Agrarwissenschaft der TUM in Freising einen Halm zwischen Daumen und Zeigefinger, streicht zärtlich über die Spitzen und meint mit einem Lächeln: „Schaut gut aus. Mal sehen, wo uns das noch hinführt?“

Wohin das führt? Direkt in die Zukunft. Denn Professor Asseng forscht am Beispiel von Weizen an wirtschaftlicher Pflanzenproduktion, die unter Gewächshausbedingungen stattfindet – ein Weg, der zu einer besseren Welternährung und viel mehr Klimaschutz führen könnte.

„Der Weizen ist die wichtigste Nahrungsmittelpflanze der Welt. Er wird auf über 200 Millionen Hektar weltweit angebaut – eine riesige Fläche“, betont Asseng. Und doch würden die rund 700 Millionen Tonnen, die jährlich an Weizen produziert werden, jetzt schon nicht ausreichen. „Und in Zukunft erst recht nicht – angesichts einer stetig wachsenden Bevölkerung.“

In den Klimakammern der TUM sind die Forscher in der Lage, alle relevanten Parameter für das Pflanzenwachstum zu steuern – im Gegensatz zur Landwirtschaft auf dem Feld.
In den Klimakammern der TUM sind die Forscher in der Lage, alle relevanten Parameter für das Pflanzenwachstum zu steuern – im Gegensatz zur Landwirtschaft auf dem Feld. © TUM

„So können wir nicht weitermachen“

Ein weiteres Problem ist die Verschmutzung des Grundwassers und der Gewässer, die bei der Pflanzenproduktion im Feld durch die Verwendung von Pestiziden, Herbiziden und Dünger entsteht. Assengs Fazit: „Der Ackerbau produziert nicht genug und auch nicht umweltfreundlich genug. So können wir nicht weitermachen.“

Hier kommt das TUM-Projekt ins Spiel. „Wenn wir Pflanzen, etwa Weizen, in entsprechend präparierten Gebäuden anbauen, dann lassen sich hohe Erträge erzielen, weil wir alle Parameter steuern und alle negativen Einflüsse auf die Umwelt rausnehmen können.“ Und verlässlich ist der Indoor-Anbau auch, sagt der Professor. „Es gibt keinen Hagel und keinen Hitzestress. Keinen Regen, der alles überschwemmt, und keinen Sturm, der die Felder verwüstet.“

Weil man unabhängig von Klima ist, lässt sich der Weizen indoor dort produzieren, wo er gebraucht wird. „Wir können Anlagen in Grönland bauen oder in die Sahara.“ Aber auch bayerische Landwirte könnten von der neuen Technik profitieren und etwa im Winter Früchte anbauen, die hierzulande nicht wachsen.

Unter Dach sind 6.000 Mal höhere Erträge als im Feld möglich

Weil sich alle Parameter steuern lassen, fallen die Erträge unter Dach pro Hektor viel höher aus als auf dem Feld. Mehr noch: Während unter freiem Himmel weltweit nur eine Ernte pro Jahr möglich ist, sind indoor laut Asseng im gleichen Zeitraum bis zu fünf Ernten machbar. „Und das ist nur eine Schicht“, betont der Professor. In einem 120 Meter hohen Gebäude könnten etwa 100 Schichten von Weizen übereinander angebaut werden. Deshalb spricht man hier auch von Vertical Farming.

Beim Vertical Farming kann der Weizen Schicht für Schicht übereinander gelagert in einem Gebäude wachsen.
Beim Vertical Farming kann der Weizen Schicht für Schicht übereinander gelagert in einem Gebäude wachsen. © TUM

„Wir haben berechnet, dass in einer solchen Anlage durchschnittlich bis zu 6000 Mal höhere Erträge entstehen als im Feld. Eine Ertragssteigerung von 60 000 Prozent.“ Ein Riesensprung betont Asseng und nennt einen Vergleich: „Die Züchter arbeiten daran, dass sie den Ertrag im Feld jedes Jahr um wenigstens ein Prozent steigern können.“

Klingt alles sehr vielversprechend, einen Haken gibt es aber. Die Sonne, die dem Landwirt im Feld quasi gratis zur Verfügung steht, muss indoor künstlich erzeugt werden – mit großem finanziellen Aufwand. Die benötigten LEDs kosten viel Geld, hinzu kommt ein hoher Energieaufwand für Licht, Temperaturregelung, Bewässerung und Lüftung. Eine weitere Herausforderung für die Zukunft, so Asseng, sei es daher, kostengünstigen Strom zu kreieren. Allerdings habe auch der Ackerbau seinen Preis, wenn man an die gewaltigen Kosten denke, die die Beseitigung von Umweltschäden, etwa die Veralgung von Flüssen und Meeren, verursache.

TUM-Forscher wollen auch die Inhaltsstoffe verbessern

Um eine Vertical-Farming-Anlage zu errichten, müssten 1,5 bis 2 Hektar Fläche versiegelt werden, schätzt Asseng. Gleichzeitig könnten so aber auch 6000 Hektar freigesetzt werden. Ackerflächen, die (landwirtschaftlich) anders genutzt werden könnten „So nimmt Vertical Farming auch Druck raus, der auf dem Regenwald lastet.“

Seit etwa zehn Jahren wird Vertical Farming, dort wo es lukrativ ist, etwa beim Anbau von Salat, kommerziell genutzt. Doch die Technik steckt noch in den Kinderschuhen, betont Asseng. Seit einem halben Jahr finden Experimente in den Klimakammern der TUM in Dürnast statt: Bei welchen Lichtverhältnissen gedeiht die Pflanze am besten? Wie viel Wasserzufuhr benötigt sie, damit sie sich wohlfühlt? „Wir wollen zunächst schauen, welchen Einfluss die verschiedenen Parameter auf den Ertrag haben“, erklärt der Professor. „Danach wollen wir auch an Stellschrauben drehen, um die Inhaltsstoffe zu verbessern.“

Der Indoor-Weizen wird nur 50 Zentimeter hoch – ein großer Vorteil beim Vertical Farming.
Der Indoor-Weizen wird nur 50 Zentimeter hoch – ein großer Vorteil beim Vertical Farming. © TUM

Was die TUM beim Weizen lernt, kann künftig auch auf andere Grundnahrungsmittel angewendet werden. „Wir wollen Forschungskapazität aufbauen und Studierende ausbilden, die in diesen Anlagen gebraucht werden“, betont Asseng. „Hier entsteht ein Riesenzukunftsmarkt für Expertinnen und Experten, die es noch nicht gibt.“ (Manuel Eser)

Gut zu wissen

Das Hans-Eisenmann-Forum, in dem alle agrarwissenschaftlichen Lehrstühle und Institutionen der TUM vernetzt sind, veranstaltet am 23. und 24. September ein Symposium zum Thema „Vertical Farming“. Der erste Tag richtet sich an ein Fachpublikum und findet in englischer Sprache statt. Am zweiten Tag sind alle Interessierten herzlich willkommen. Die Vorträge an diesem Tag finden in Deutsch statt. Die Anmeldung kann per E-Mail an hans-eisenmann-forum@tum.de vorgenommen werden.

Verwandte Themen:

Viele Forscherinnen und Forscher beschäftigen sich damit, wie wir dem Klimawandel begegnen können. So forschen sie unter anderem an klimaangepassten Pflanzen:

Der Mais etwa gehört weltweit zu den wichtigsten Kulturarten zur Erzeugung von Lebensmitteln, Viehfutter und Biogas. Allerdings bringt sein Anbau in Mitteleuropa ökologische Probleme mit sich: Weil er spät ausgesät wird und anfangs wegen seines hohen Wärmebedürfnisses langsam wächst, drohen Bodenerosion und die Auswaschung von Nährstoffen. Zudem werden die jungen Maispflänzchen leicht von Wildkräutern überwachsen, was den Einsatz von Herbiziden notwendig macht. Forschende um Prof. Chris-Carolin Schön an der TUM School of Life Sciences in Freising arbeiten an neuen, kältetoleranten Züchtungen, die früher ausgesät werden können und früher blühen, um sommerlichen Trockenzeiten zu entgehen.

Auch an der Verbesserung der Sonnenblume als Ölpflanze wird in Weihenstephan geforscht. Prof. Brigitte Poppenberger forscht gemeinsam mit ihrem Team dazu. Als Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit und -vielfalt in Subsahara Afrika untersucht Prof. Poppenbergers Forschungsteam ein dort vorkommendes vitamin- und mineralstoffreiches Blattgemüse, das in Kultur genommen werden soll.

Kontakt

TUM School of Life Sciences
Alte Akademie 8
85354 Freising
Telefon: 08161 710
Web: https://www.wzw.tum.de/

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