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Justiz kaputt gespart? „Krank werden sollte niemand“

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Von: Katharina Bromberger

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Dr. Benjamin Lenhart lässt sich von Statistiken nicht verrückt machen.
Dr. Benjamin Lenhart lässt sich von Statistiken nicht verrückt machen. © Privat

226 Richterstellen fehlen im Freistaat. Die Regierung habe die Justiz kaputt gespart, wurde kritisiert. In Garmisch-Partenkirchen ist die Lage in Ordnung, das System aber auf Kante genäht.

Garmisch-Partenkirchen – Pebbsy – klingt liebevoll, nett, zutraulich. Einen Hund würde man danach benennen, eine Katze auch. Mit nett und liebevoll aber hat Pebbsy nichts zu tun. Es kalkuliert knallhart. Nach Fällen und Bearbeitungszeit in Minuten. Danach bekommen die Amtsgerichte ihre Richterstellen.

Viel zu wenige. Das kritisierte der Bayerische Richterverein. 226 Stellen sollen demnach bayernweit fehlen, hieß es. Am Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen ist die Situation einigermaßen in Ordnung, sagt Sprecher Dr. Benjamin Lenhart. Das System aber ist anfällig. Und Pebbsy bereitet dort auch so manche Probleme.

Sein richtiger Name ist Personalbedarfsberechnungssystem. Und das sagt beispielsweise: Für eine Strafsache hat der zuständige Richter 157 Minuten Zeit ab dem Moment, in dem die Anklage das Gericht erreicht. Sich mit der Materie vertraut machen, Zeugen laden, eventuell einen Dolmetscher organisieren, die Verhandlung ansetzen, verhandeln, ein Urteil fällen oder einen Vergleich erreichen, das Ganze für die Erfassung diktieren – alles in zweieinhalb Stunden. 39 Minuten bleiben für Verkehrsordnungswidrigkeiten – in einem Land, in dem fast jeder eine Rechtsschutzversicherung hat, die Betroffenen zum Teil 100 Seiten Gutachten vorlegen und „um nichts so gekämpft wird wie um den Führerschein“, sagt Lenhart.

15-Jähriger sitzt auf der Anklagebank: Er hat Mitschüler in Mittenwald mit dem Messer bedroht und ausgeraubt

Dann sind da die Fälle vor den Jugendschöffen. 423 Minuten bleiben. Jugendrichter Lenhart denkt an den 15-Jährigen auf der Anklagebank. Er hat in Mittenwald Mitschüler mit dem Messer bedroht und ausgeraubt. Die Verhandlung allein – ohne viele Vorgespräche, Zeugenbetreuung und mehr – dauerte von 10 Uhr bis 15.30 Uhr. Lenhart stand vor der Frage: Steckt er einen 15-Jährigen ins Gefängnis? „Eine solche Entscheidung trifft man nicht einfach so und schnell schnell.“ Sieben Stunden für einen solchen Fall – nicht zu machen.

Ein Grundsatzproblem. Denn Pebbsy gilt deutschlandweit. Wenn das System sagt: Die Stellen reichen aus – reichen sie noch lange nicht. Zudem fehlt Lenhart der Aspekt, der seine Arbeit ausmacht. „Man will den Menschen gerecht werden.“ Nur: Pebbsy interessieren Einzelschicksale nicht. Genauso wenig, wie es sich für Krankheitsfälle interessiert. Das macht die Situation für ein kleines Amtsgericht wie Garmisch-Partenkirchen schwierig. Denn ein Ausfall lässt sich kaum auffangen.

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Aktuell läuft’s. Zumindest einigermaßen. Zwar bräuchte das Gericht dringend einen Rechtspfleger mehr – den es nicht bekommen wird. Mit den 52 Mitarbeitern, darunter sieben Richtern, lassen sich Fälle dennoch innerhalb von Fristen bearbeiten, die Lenhart für vertretbar hält. Solange keiner fehlt – wie im Januar 2018, als der Münchner nach Garmisch-Partenkirchen kam. Zuvor war eine Kollegin längere Zeit ausgefallen. Für die Fälle, die er allein im Bereich der Ordnungswidrigkeiten bewältigen musste, hätte man sechs Richter gebraucht. So viel war liegen geblieben. Pebbsy aber berechnete keine einzige neue Stelle.

Doch Lenhart lässt sich von Statistiken nicht verrückt machen. Er arbeitet, so schnell es eben geht. Wie viele unbearbeitete Fälle momentan auf seinem Tisch liegen, hat er nicht überprüft. Pebbsy weiß Bescheid.

Etwa 20 Ordnungswidrigkeitsverfahren erreichen einen Richter pro Monat

Etwa 20 Ordnungswidrigkeitsverfahren – den Rückstand hat Lenhart inzwischen aufgearbeitet – erreichen einen Richter pro Monat am Amtsgericht in Garmisch-Partenkirchen, macht insgesamt 40. Denn diesen Bereich decken sie zu zweit ab, für alle anderen ist ein Richter zuständig. Bei den Strafsachen erreichen ihn monatlich 37 neue Anklagen, zivilrechtlich 48. Die positive Nachricht aus jedem Ressort: Genauso viele Fälle wie reinkommen werden in etwa erledigt. Ein Strafverfahren dauert bei den Garmisch-Partenkirchnern im Schnitt 2,6 Monate, ein Zivilverfahren 4,8. Legt man den bayernweiten Schnitt als Maßstab zugrunde, liegt man im Soll.

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Lenhart bereiten andere Dinge Kopfzerbrechen. „Das Ganze steht auf tönernen Füßen.“ Man stelle sich vor, die Zahl an Abschiebeverfahren aus der Erstaufnahmeeinrichtung im Abrams steige an – „wir haben keine Möglichkeit, das aufzufangen“. Diese komplizierten Fälle bearbeitet Richterkollege Andreas Pfisterer, er fehlt dann an anderen Stellen. Lenhart will „nicht auf Vorrat jammern“. Fest steht aber: Es wird eng, wenn einer ausfällt. Und, wenn die Zahl an komplexen Verfahren steigt.

Langwierige Zivilverfahren bereiten Lenhart ohnehin Sorgen. 8,9 Prozent dauern länger als ein Jahr – 3,41 sind es im Landesdurchschnitt. Zum Teil müssen schriftliche Gutachten eingeholt werden, das dauert in der Regel Monate, zum Teil über ein Jahr – Pebbsy berechnet das nicht ein. In der Masse der Verfahren fehlt Lenhart zufolge oft die Zeit, derartige Gutachten in Ruhe zu lesen. So bleibt manches manchmal liegen.

Es fehlt auch an Servicekräften im Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen

Ein weiteres Problem sieht der Richter bei den Grundbuchsachen. 29 Tage dauert ein Fall am Amtsgericht – 19 Tage im Landesdurchschnitt. Mag nicht so lange klingen, doch ein Notar will Einträge ins Grundbuch möglichst schnell abschließen, ein Betroffener möglichst schnell seinen Erbschein erhalten. Vier Woche zu warten, „sorgt für Ärger – das verstehe ich“, sagt Lenhart. Hier machen sich krankheitsbedingte Ausfälle bemerkbar. Ebenso die Tatsache, dass ein Rechtspfleger fehlt.

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Ein dritter Bereich treibt Lenhart um. Er betrifft die Mitarbeiter, die es ihm überhaupt erst ermöglichen, Verfahren zeitnah zu beenden. Die Servicekräfte. 26 sind am Amtsgericht beschäftigt. Seit einigen Jahren werden fast alle aber immer nur befristet angestellt. Petra Pritzl etwa arbeitet seit fast vier Jahren dort – ständig muss sie bangen, ob sie ihre Stelle behält. Denn die Verlängerung des Vertrags – mal um ein Jahr, mal nur um ein halbes – ist keineswegs reine Formsache. Das Problem: Die haushaltsvertraglichen Regelungen der Regierung sehen keine unbefristeten Stellen vor. „Das sorgt auf Dauer für Frust“, sagt Lenhart. Und er gibt zu bedenken: „Wir sind nur so gut wie unsere Mitarbeiter.“

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