Bayerische Musikantin darf nicht auftreten - weil sie kurze Haare hat

Drei junge, musikalische Plattlerkinder aus dem Isartal wollten am Gaujugendsingen im Oktober auftreten – die Teilnahme ist ihnen allerdings verwehrt worden. Der Grund: Ihre Musiklehrerin, die ebenfalls auf der Bühne gestanden wäre, hat kurze Haare. Das passt nicht mit der Satzung der Oberländer Trachtenvereinigung überein. Im März 2023 soll eine Grundsatzentscheidung im Gau fallen.
Landkreis – Falsche Zöpfe? Das kommt für sie nicht in Frage. Sie sei kein aktives Trachtler-Madl mehr. Außerdem würde die Haartracht nicht darüber entscheiden, wie gut man auf der Bühne musiziert. „Warum also sollte ich mich verkleiden müssen?“ Die Frau mittleren Alters aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist passionierte Musikantin, zählt zu den Besten an ihrem Instrument, unterrichtet auch. Drei ihrer Schülerinnen aus dem Isartal, alles Plattlerkinder im Verein, wollten mit ihr als Lehrerin beim traditionellen Gaujugendsingen in Farchant auf der Bühne stehen.
Garmisch-Partenkirchen: Musikantin darf nicht auftreten - weil sie kurze Haare hat
Wochenlang haben die vier die Stücke eingeübt, die Vorfreude war groß. Bis wenige Tage vor ihrem Auftritt am 7. Oktober die Absage eintrudelte: Mit ihren kurzen Haaren geht’s für die Lehrerin nicht auf die Bühne. Sie entsprechen nicht der Satzung, die sich die Oberländer Trachtenvereinigung vor Jahrzehnten selbst auferlegt hat. Entweder Perücke oder kein Auftritt für sie. Damit war die Sache erledigt. Denn nach der Ansage hatten auch die drei Mädchen keine Lust mehr, das Einstudierte zu präsentieren.
Bayern: Musikantin darf nicht auftreten - weil sie kurze Haare hat
Die Musiklehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, weiß, wie traurig Kinder und Eltern das macht. Sie sorgt oft für Unterhaltung, sei es bei Heimatabenden oder sonstigen Brauchtumsveranstaltungen. Dass Kurzhaarige aber nicht auftreten dürfen, gebe es nur beim Gausingen oder Gaujugendsingen. Über 50 Kinder auf vier Instrumenten unterrichtet sie. Zehn wären gerne mit ihr als Unterstützung auf der Bühne gestanden. Doch lassen das die Statuten nicht zu. Es könnte nicht einmal eine sonst geförderte Familienmusik gemeinsam auf der Bühne stehen, wenn die Mama beispielsweise eine Pagen-Frisur trägt. Eine Kompromisslösung würde der Musiklehrerin schon reichen. „Dass zumindest Mütter oder Lehrerinnen mit kurzen Haaren auf die Bühne dürfen.“ Den Kindern zuliebe.
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Gausängerwart sind wegen strenger Satzung die Hände gebunden
Doch Peter Egner sind die Hände gebunden. „Es gibt Regeln, an die wir uns einfach halten müssen“, sagt der Gausängerwart der Oberländer Trachtenvereinigung. In der Satzung der Trachtenvereinigung, welche die 31 Vereine einst abgesegnet haben, steht klar beschrieben, wie ein Trachtler auszusehen hat. Eben auch, dass Buben einen Hut tragen und die Frisuren der Mädchen „aufgeräumt“ sein müssen. „Es dürfen keine Zotteln runterhängen, nicht ungepflegt ausschauen.“ Ein Kurzhaar-Schnitt sei ebenfalls nicht satzungskonform.
Das Frisurenproblem ist seit der Gründung der Vereinigung 1946 immer wieder aufgetaucht. Zuletzt im Jahr 2003, als einer 18-jährigen Geigenspielerin aus Mittenwald der Auftritt beim Gausingen verwehrt wurde. Egner, seit 1999 im Amt, betont: „Die Statuten sind nicht in Stein gemeißelt.“ Doch stimmten die Trachtler damals bei der Versammlung mehrheitlich gegen eine Änderung des Kurzhaar-Verbots.
Im März 2023 soll entschieden werden, ob Satzung gelockert wird oder nicht
Nun kommen sie wieder zum Zug. In der Gaufrühjahrsversammlung im März 2023 soll demokratisch entschieden werden. 62 Stimmberechtigte plus die Mitglieder des Gauausschusses haben es in der Hand, ihr eigenes Regelwerk umzuschreiben. „Wenn die einfache Mehrheit sagt, die Satzung ist nicht mehr zeitgemäß und soll gelockert werden, dann wird das selbstverständlich so akzeptiert“, stellt Egner klar. Er betont aber auch, „dass eine Entscheidung zum Erhalt der jetzigen Satzung dann ebenfalls akzeptiert werden muss“.
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Deutlich für eine Lockerung der internen Vorschriften hat sich unter anderem Franz Lipp bei der Gauherbstversammlung ausgesprochen. „Die Frisur hat nichts mit musikalischer Leistung zu tun“, sagt der Chef des Mittenwalder Gebirgstrachtenvereins. Solch „mittelalterliche Statuen“ brauche heutzutage kein Mensch mehr. Er hofft, dass sich im Frühjahr eine deutliche Mehrheit findet, um die strengen Auflagen zu ändern. Denn auch er fürchtet, dass das Engagement und die Leidenschaft für die Musik durch veraltete Statuten eingebremst, im schlimmsten Falle verloren gehen könnten. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Handy oder Videospiel-Konsole einen Gros der Freizeit einnehmen und man froh sein müsse, Kinder und Jugendliche für Tradition und Brauchtum überhaupt noch begeistern zu können.