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Weihnachten nach der Flucht: Ukrainerin erzählt von heimischen Traditionen

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Von: Katharina Bromberger

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Ein geschmückter Baum steht in einem großen Saal. Ukraine-Krieg - Weihnachtszeit in Kiew
Ein wenig Freude in schweren Zeiten: Ihr Weihnachtsfest wollen sich die Kiewer nicht nehmen lassen. Ein Christbaum ziert den Hauptbahnhof während der Nikolausfeier am 19. Dezember (Foto), auch wurde ein Baum in den Nationalfarben geschmückt. © Vasilisa Stepanenko/dpa

Ihr Mann ist in Kiew, seit Tagen hat sie ihn nicht gesprochen. Ihr Vater ist wegen des Krieges gestorben. Doch Dana Vynychenko hat Hoffnung. Und schenkt die in Garmisch-Partenkirchen auch Kindern.

Garmisch-Partenkirchen – Dana Vynychenko versteht die Deutschen nicht. Warum nur werfen sie ihren Christbaum so schnell weg? In der Ukraine bleibt er den ganzen Winter stehen. Von Mitte Dezember bis gern den ganzen März. Sie lacht. Der sei doch wundervoll. Immer wieder sagt sie’s. Auf Englisch, auf Deutsch. „So nice. So schön.“ Wenn in der dunklen, kalten Zeit die Lichter am Baum die Wohnung erhellen. „Wonderful.“ Wie im Märchen. Und Märchen, sagt sie, lieben die Ukrainer. In Garmisch-Partenkirchen schreibt sie selbst an einem Kapitel. Frauen wie Dana Vynychenko erschaffen glückliche Momente. An Weihnachten und darüber hinaus. Für sich und andere.

Eine junge Frau mit dunklen Jahren und lila Pulli sitzt an einem Tisch.
Weihnachten ist für Dana Vynychenko der wichtigste Tag im Jahr. © FOTOPRESS THOMAS SEHR

Im August wandte sich die 35-Jährige an das örtliche Rote Kreuz (BRK) um Sprecher Jörg Jovy. Sie kannte so viele ukrainische Kinder, die gerne mit anderen Kindern spielen würden. Die sich alleine fühlten. Gerne wären ihre Mütter arbeiten gegangen, sofern möglich. Doch fanden sie niemanden, der ihre Buben und Mädchen betreut. Eine deutsche Einrichtung konnten sie nicht besuchen. In ihrer Heimat Kiew leitete Dana Vynychenko vor dem Krieg selbst einen Kindergarten. Warum nicht auch hier?

Dana Vynychenko baut in Garmisch-Partenkirchen ukrainischen Kindergarten auf

Bei Jovy und seinem Team rannte sie mit ihrer Idee, einen Kindergarten für ukrainische Flüchtlingskinder aufzubauen, offene Türen ein. Der BRK-Kreisverband organisierte einen Raum im Containerdorf an der Bahnhofstraße, in dem auch Hort, Krippe und Offene Ganztagsschule untergebracht sind. Er kaufte kleine Tische, Stühle, Spielsachen. Viele Spenden kamen. Seit September lesen, malen, lachen und singen nun Mädchen und Buben zwischen zweieinhalb und sechs Jahren montags bis freitags von 8 bis 12 Uhr in dem liebevoll eingerichteten und winterlich geschmückten Raum. Die Papiersterne, Schneeflocken und Schneemann Olaf aus der Eisprinzessin haben die Kinder gebastelt. Etwa 15 Mütter wechseln sich in der Betreuung ab. Alle ehrenamtlich, alles organisieren sie selbst. Das sei ihnen wichtig, sagt Jovy. „Dass sie nicht immer etwas geschenkt bekommen, sondern selbst etwas aufbauen.“ Und das laufe richtig gut.

Zwei Jungen spielen mit Bauklötzen, eine Frau sitzt daneben.
Unbeschwerte Stunden erleben Kinder wie Ivan (l.) und Nazar im ukrainischen Not-Kindergarten, hier mit Betreuerin Tatjana Bratyshko. © FOTOPRESS THOMAS SEHR

Der Haken: Als Not-Einrichtung darf das BRK diese in dieser Form nur maximal sechs Monate betreiben. Zum 15. Februar ist Schluss. „Und die Kinder sitzen auf der Straße.“ Im schlimmsten Fall. Jovy ist überzeugt, dass es eine Lösung geben wird. Nur wie sie aussieht, weiß er aktuell nicht. Bis dahin genießen Dana Vynychenko und mit ihr alle Kinder und Mütter jeden Moment miteinander.

Für den 23. Dezember haben sie ein Weihnachtsfest geplant. Doch von 22 Kindern kamen am Morgen nur 2, der Rest war krank. Nun wird nächste Woche gefeiert. Gemeinsam singen sie ihr traditionelles Kolyadka, „ein Lied, das Energie gibt“. Geschenke bekommen die Mädchen und Buben auch. Tüten mit Buntstiften, Schokolade, Obst hat das BRK gepackt. „Ein bayerisches Weihnachtssackerl eben“, sagt Jovy und lächelt. Für ein bayerisch-ukrainisches Weihnachtsfest. So sehr unterscheiden sich die Tage nicht. Nicht mehr.

„Sie wollten uns unsere Traditionen nehmen“: Ukraine feierte lange Weihnachten am 7. Januar

1922 wurde die Ukraine Teil der Sowjetunion. Damit kamen neue Regeln. „Sie wollten uns unsere Traditionen nehmen, unseren Geist“, sagt Vynychenko. Weihnachten am 24. Dezember, dem Tag von Jesu Geburt, wurde abgeschafft und auf den 7. Januar gelegt. Nach Neujahr, dem wohl höchsten Fest in Russland. Weihnachten spiele dort keine große Rolle. Mit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 rückte langsam der 24. wieder in den Mittelpunkt. Bei manchen gibt es zwei Feste. „Doch das wird weniger“, sagt die Katholikin. Gerade jetzt, mit dem Krieg. „Die Menschen wollen mit der ganzen Welt feiern.“ Nicht mit Russland. „Wir wollen unsere Traditionen zurück.“

Kinder stehen in traditionellen Gewändern in einer Haustür.
Von Haus zu Haus gehen die Kinder in der Ukraine und singen Kolyadka. © privat

Dazu gehört, 40 Tage vor Weihnachten keine tierischen Produkte zu essen und keinen Alkohol zu trinken. Erst wieder am 25. Dezember. Zwölf vegane Gerichte bereiten die Familien für Heiligabend zu, die an die zwölf Apostel erinnern. Eines davon: Kytia mit Weizen, Mohn und Rosinen. „Das gibt’s überall.“ Und den Christbaum mit jeder Menge Schmuck und noch mehr Lichtern. Das Wichtigste aber bleibt die gemeinsame Zeit. „Weihnachten ist ein absolutes Familienfest.“ In diesem Jahr fehlen wichtige Menschen.

Im März kam Vynychenko mit ihren Kindern, Tochter Vira (12) und Sohn Leonid (10), sowie ihrer Mutter nach Garmisch-Partenkirchen. Kurz zuvor war ihr Vater gestorben. Wegen des Krieges, sagt sie. Keine Bombe hat ihn getötet. Im Krankenhaus wartete er auf eine neue Leber, als Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar die Ukraine angriff. „With the war – no transplantation.“ So einfach, so tragisch. Mit dem Krieg keine Transplantation. Ihr Vater ist tot.

Seit Tagen nichts mehr von ihrem Ehemann in Kiew gehört

Vynychenkos Ehemann blieb in Kiew. Seit fünf Tagen hat sie nichts von ihm gehört. Seit fünf Tagen gibt es in der Hauptstadt nach einem russischen Angriff keine Heizung und in weiten Teilen keinen Strom, Wasser nur manchmal. Geht Vynychenko in Garmisch-Partenkirchen spazieren, sieht sie überall Lichter in den Wohnungen und denkt an zu Hause. „No lights there“, alles dunkel dort.

Trotz allem würde sie niemals von einem traurigen Weihnachten sprechen. Das sei für sie der wichtigste Tag im Jahr. Ein fröhlicher, glücklicher Tag. Positiv will sie denken, immer. Am 24. Dezember besonders. An dem Tag, an dem Jesus geboren wurde. „Die ganze Welt hilft uns. Und wir glauben, dass auch Gott uns hilft. Wir haben Hoffnung.“ Auf das Märchen.

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