Nach der Liebe kam die Angst

Garmisch-Partenkirchen - Christine Doering leidet massiv unter den Nachstellungen ihres ehemaligen Lebensgefährten. Jetzt treffen sich die beiden vor Gericht, weil er wiederholt gegen die Auflagen verstoßen hat, sich ihr nicht zu nähern.
Angst ist ihr ständiger Begleiter. Angst davor, dass ihr Ex-Freund plötzlich vor ihrer Tür auftaucht. Angst vor seinen permanenten Anrufen. Und die Angst, dass er seine Drohungen gegen sie und ihren gemeinsamen Sohn wahr macht. „Ich traue ihm zu, dass er uns etwas antut“, sagt Christine Doering.
Das Kind umzubringen, damit hat der Mann bereits gedroht. Lautstark brüllend stand er vor gut einem Jahr vor ihrer Tür, trat immer wieder dagegen - bis die Nachbarn die Polizei riefen. Damals erwirkte die Garmisch-Partenkirchnerin die erste von mittlerweile drei Gewaltschutzverfügungen. Gegen die Auflagen sich ihr nicht zu nähern, hat ihr ehemaliger Lebensgefährte häufig verstoßen. 2000 Euro Ordnungsgeld musste er schon zahlen, zudem 840 Sozialstunden in einem Altenheim ableisten. Ruhe gibt er trotzdem nicht. Derzeit läuft wieder eine Anzeige. Seit Freitag steht endlich der Gerichtstermin fest. „Ich hoffe, dass dabei etwas rauskommt“, betont die 31-Jährige. Dass ihr Fall die Justiz beschäftigt, ist ein erster Erfolg. „80 bis 90 Prozent der Verfahren werden eingestellt“, weiß Doering. Das will die Alleinerziehende ändern. Zweimal schon hat sie bei Fortbildungen der bayerischen Polizei referiert und ihre Sicht der Belästigungen geschildert. Zudem engagiert sie sich in der Deutschen Stalkingopferhilfe. „Ich möchte ein Umdenken erreichen.“
Zum Umdenken war sie selbst gezwungen, als sie das Ende ihrer Beziehung realisieren musste. In einer Kneipe hat sie den neun Jahre älteren Mann 2007 kennengelernt. Liebe auf den ersten Blick ist’s nicht, erst peu à peu lässt sich die junge Frau überzeugen, dass er der Richtige sein könnte. Im Januar 2008 werden sie ein Paar, ziehen zusammen und der zunächst liebevolle Partner zeigt immer wieder seine aggressive Seite. Er verliert seinen Job, ertränkt den Frust in Bier, spielt Ego-Shooter am Computer - und rastet aus, wenn er verliert. Von Wahnsinns-Wutausbrüchen erzählt Doering, von einem Abend, an dem er im Zorn mit der Faust gegen die Wand schlägt. Die Sorge, dass er irgendwann die Hand gegen sie erheben könnte, ist schon da. Noch findet sie Entschuldigungen für den Mann, kämpft um die Beziehung. „Sich einzugestehen, dass sie gescheitert ist, ist schwer“, sagt sie. „Mir war auch peinlich, wie er sich verhält. Deshalb habe ich mich immer mehr von meinen Freunden und meiner Familie zurückgezogen.“ Den Absprung schafft sie 2009, als sie erfährt, dass sie ein Kind erwartet. Sechs Tage nach dem Schwangerschaftstest zieht sie aus - und seine Nachstellungen beginnen.
Den Terror, den ihr Ex verbreitet, versucht sie möglichst zu ignorieren und vor allem von dem Kleinen fernzuhalten. Als im Sommer ein Zettel von ihrem früheren Partner - trotz Hausverbots - an ihrer Wohnungstür klebt, bricht sie zusammen. „Ich habe nur noch geheult.“ Kraft gibt ihr in solchen Momenten ihre Familie, „ohne die würde ich das alles nicht durchstehen“. Von der Justiz fühlt sich Christine Doering im Stich gelassen. „Nach der aktuellen Gesetzeslage müsste ich wegziehen, damit etwas passiert.“ Ihre Enttäuschung kann Ulrike Roider, Sprecherin des Bayerischen Justizministeriums, nachvollziehen. Nachstellungen, die in Paragraph 238 Strafgesetzbuch geregelt sind, gelten derzeit als Erfolgsdelikt. Das heißt, strafbar werden die Belästigungen nur dann, wenn das Opfer in seinem Leben beeinträchtigt wird. „Dass das nicht ausreicht, sehen auch wir“, sagt Roider. Deshalb werde eine Änderung angestrebt, um bereits Nachstellungen zu ahnden, die sich eignen, das Leben der Betroffenen massiv zu beeinträchtigen.
Für Doering wäre es ein enormer Erfolg, wenn der Nachstellungsparagraph umformuliert wird. In ihrem Alltag fühlt sie sich durch die Belästigungen ihres Ex-Freundes enorm eingeschränkt. „Es gibt Bereich in Garmisch-Partenkirchen, wo ich auch tagsüber nicht allein hingehe.“ Die Angst kann sie nur schwer abstreifen, ihr Grundvertrauen ist erschüttert. „Viel zu viel dreht sich um diese Nachstellungen“, klagt Doering. Dabei träumt sie nur davon, endlich ihr Leben mit ihrem Kleinen zu genießen.
Tanja Brinkmann