Der Eigenanteil der Gemeinde fiel fast immer um mindestens 100 000 Euro höher aus als geplant. Das war unter der Ägide von Kammersängerin Brigitte Fassbaender so, die das Festival bis 2017 leitete, und unter Nachfolger Alexander Liebreich nicht anders. Mit „geplant 110 000 bis 120 000 Euro“ beziffert Ex-Bürgermeisterin Dr. Sigrid Meierhofer (SPD) im Gespräch mit dem Tagblattden Zuschuss des Marktes in den Fassbaender-Jahren. „Den Vertrag hatte mein Vorgänger Thomas Schmid ausgehandelt. Ich habe ihn übernommen.“ Weil das Geld nie ausreichte, musste Garmisch-Partenkirchen immer nachschießen, das Festival kam stets teurer als erwartet. Ein Beispiel: 2015 beliefen sich die Kosten laut einem Papier, das der Redaktion zugespielt wurde und das alle Gemeinderäte erhalten haben, auf rund 530 000 Euro, der Anteil des Markts betrug satte 280 000 Euro.
Aus dem Ruder gelaufen, so scheint’s, ist zuletzt das Festival 2019, das zweite der Ära Liebreich, für das die Gemeinde 330 000 Euro pro Jahr bereitstellte. In den zurückliegenden Monaten hatte sich der alte Gemeinderat, der bis Ende April 2020 im Amt war, häufiger damit befasst. Bislang war im 1,022 Millionen-Euro-Budget stets von einem Minus von rund 105 000 Euro die Rede gewesen. Eine Höhe, die bei den Kommunalpolitikern in den Sitzungen im Oktober und Dezember 2019 für hitzige Diskussionen gesorgt und Fragen nach den Verantwortlichkeiten aufgeworfen hatte. Der Fehlbetrag ist in den vergangenen Wochen erneut gewachsen und wird von der Rathaus-Verwaltung nun mit rund 174 000 Euro beziffert. „Wie die Zahl zustande kommt, ist mir unklar“, sagt Meierhofer, in deren Amtszeit das Defizit fällt.
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Das Ende der Fahnenstange ist womöglich noch nicht einmal erreicht. Die 250 000 Euro, die der Freistaat zugesagt hatte, hat die Regierung von Oberbayern noch nicht bestätigt. Die Prüfung der förderfähigen Kosten läuft noch. „Ich wurde vom neuerlichen Defizit völlig überrascht“, sagt Dr. Stephan Thiel, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. „Und wahrscheinlich nicht nur ich. Es ist ganz bitter, dass wir noch einmal nachlegen müssen. Die Kostenexplosion ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders.“ Ebenfalls aus allen Wolken fiel Lilian Edenhofer. Die Chefin der Freien Wähler, gleichzeitig Vorstandsmitglied im Förderkreis Richard-Strauss-Festspiele und ähnlich wie Meierhofer Strauss-affin, nennt die alten und neuen Zahlen „schrecklich“. Sie habe es beim Lesen gefröstelt.
Erfahren vom neuerlichen Minus hatte zunächst nur ein kleiner Kreis an Gemeinderäten; jene, die dem Rechnungsprüfungsausschuss angehören. Peter Lukasczyk, Leiter des Rechnungsprüfungsamts, soll hinter verschlossenen Türen kein Blatt vor den Mund genommen haben. Laut Aussagen von Teilnehmern, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben möchten, sprach Lukasczyk davon, dass der Flug eines Seeadlers im Rahmen einer Festival-Veranstaltung auf der Zugspitze mit 4000 Euro zu Buche geschlagen hat. Bei einer Sponsorenveranstaltung, zu der Liebreich in Kufflers Weinzelt auf das Oktoberfest eingeladen hatte, soll Champagner für 130 Euro die Flasche geflossen sein. Das Ziel, zahlreiche Gönner und Sponsoren zu gewinnen, die die Festspiele großzügig unterstützen, ließ sich, so wird aus dem Rechnungsprüfungsausschuss erzählt, nicht realisieren. Auf den Punkt gebracht: Außer Spesen nicht viel gewesen.
Thiel, der nicht Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses ist, weigert sich, diese Dinge zu bewerten. Er stellt indes Fragen, die an den Grundfesten des Strauss-Festivals rütteln. „Muss es jedes Jahr stattfinden? Können wir es uns leisten?“ Er wisse, dass Kultur ein Draufzahlgeschäft sei, „aber nicht unlimitiert“. Er und seine Fraktion werden sich dem erneuten Zuschuss über rund 70 000 Euro „nicht verweigern“. Geplant ist, dass der Gemeinderat in seiner Sitzung am heutigen Donnerstag (18 Uhr, Olympiasaal) das neue Minus abnickt.
Kann man danach zur Tagesordnung übergehen? Thiel meint nein. Er stellt Forderungen, die den Freistaat angehen. Der Millionen-Euro-Etat, der unerlässlich zu sein scheint, damit Liebreich ein Festival auf die Beine stellen kann, das den Ansprüchen an Strauss genügt, müsse über das Drei-Säulen-Modell – ein Drittel Markt, ein Drittel Freistaat, ein Drittel Sponsoren – gedeckt werden. „Das Land Bayern muss sich endlich dazu bekennen“, sagt Thiel. Kann sich die Landespolitik nicht dazu durchringen, spricht sich der Grüne, der bei der Kommunalwahl für die Öko-Partei als Bürgermeister kandidierte, dafür aus, „das Festival zu reduzieren. Wir müssen in die Zukunft schauen und aus der Vergangenheit lernen“.
Neben der Brauchtumskultur benötigen wir auch Hochkultur.“
Ähnlich argumentiert Edenhofer. Sie fände es wunderbar, wenn etwas anderes geplant würde. „Ich glaube, man gewinnt die Bevölkerung nur, wenn deutlich mehr regionale junge Künstler auftreten. Dann kommt man auch endlich von diesem eingeschworenen Elitekreis weg.“
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Vorschläge, die Meierhofer für einen Irrweg und für kontraproduktiv hält. Sie fürchtet, dass das Land Bayern sein finanzielles Engagement wieder zurückfährt. Die hohe 250 000 Euro-Summe, ein Erfolg, den sie an ihre Fahnen heftet, nachdem viele Jahre der Freistaat „nur 25 000 Euro“ gegeben habe. „Es war ihm zu provinziell und und zu wenig international“, erklärt Meierhofer. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst sei mit dem Konzept von Alexander Liebreich einverstanden gewesen. Meierhofers Faible für die schönen Künste und klassische Musik ist bekannt. Sie würde ein Strauss-Festival light „sehr bedauern“, aber auch für den Ort wäre diese Variante ihrer Meinung nach „äußerst ungut“. Ihr Plädoyer: „Neben der Brauchtumskultur benötigen wir auch Hochkultur. Wir wollen doch ein internationaler Tourismusort bleiben.“
Wie Neu-Bürgermeisterin Elisabeth Koch (CSU), Vorstandsmitglied im Verein Freunde des Richard-Strauss-Festivals, die Dinge einschätzt, ist unbekannt. Koch war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.