Die Schanze bringt den Ruin
Zum Streiten gehören zwei. In diesem Fall der Markt Garmisch-Partenkirchen und die italienische Firma Ciam. Seit Jahren beschäftigen sie Gerichte wegen Schadenersatz nach dem Chaos-Aufzug-Bau an der Olympia-Schanze. Die Sicht der Gemeinde ist bekannt, Ciam äußerte sich nie. Bis jetzt.
Garmisch-Partenkirchen – Anzug und Hemd sitzen. Nichts spannt um die breiten Schultern und den Bauch, der perfekt geformt ist, um die gefalteten Hände darauf abzulegen. Dazu aber kommt Sandro Citarei nicht. Seinen Stuhl hat er zu weit weggerückt, um bequem am Tisch sitzen zu können. Weit nach vorne gebeugt, stützt er den Unterarm an der Kante ab, fürs Gleichgewicht. Der andere Arm gestikuliert. Ab und zu richtet sich der Italiener auf, zupft an Jackett und Hemd, an denen es nichts zu zupfen gäbe. Im fünften Stock des Cafés über der Münchner Innenstadt und unter weiß-blauem Himmel hat Citarei keinen Blick für Aussicht oder Wetter. Der Unternehmer aus Terni ist gekommen, um Dinge klarzustellen. Dafür nimmt er sich Zeit.
Was ein Vorzeigeprojekt hätte werden sollen, wurde zur Katastrophe
Selbst für einen Deutschen klingt sein Italienisch langsam. Er will, dass man versteht, was er zu sagen hat. Nämlich: Er macht sich Sorgen. Um sein Geschäft. Seine Mitarbeiter. Und Schuld daran ist in seinen Augen der Markt Garmisch-Partenkirchen. Was ein Vorzeigeprojekt für die Firma Costruzioni Italiane Ascensori Montacarichi (CIAM) Servizi S.p.a. hätte werden sollen, wurde zur Katastrophe, „una rovina“, ein finanzieller Ruin.
2007 bekam Ciam um den langjährigen Geschäftsführer Citarei den Auftrag, den Schrägaufzug für die neue Olympia-Skisprungschanze zu bauen, ein bis dahin weltweit einmaliges Projekt. Doch Ciam wurde nicht rechtzeitig zum Neujahrsspringen fertig, am Ende beauftragte der Markt ein anderes Unternehmen. Das kostete, die Kommune klagte. In einem ersten Urteil 2013 wurde ihr eine Million Euro Schadenersatz zugesprochen (wir berichteten). Sie begann mit Pfändungen. Und für die Italiener begannen die Probleme.
Wurde ein Sündenbock für die Explosion der Baukosten gesucht?
Mindestens 250 000 Euro hat die Marktgemeinde über Anwälte in Italien bereits eintreiben lassen. Für diese Summe liegen Peter Bräuer Belege vor, abgeheftet in einem der vielen Ordner. Fünf stellt der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht im Besprechungsraum am Sendlinger-Tor-Platz in München auf den Tisch – etwa die Hälfte dessen, was sich in den vergangenen Jahren an Unterlagen angesammelt hat.
Seit 2008 betreut er, mittlerweile für die Anwaltskanzlei Wollmann & Partner, das italienische Unternehmen im Rechtsstreit gegen die Marktgemeinde. Während sich diese mit keinem Satz zu dem Thema äußern möchte, steht für Bräuer fest: Hier wurde ein Sündenbock gesucht. Dafür, dass die Kosten beim Bau der Schanze explodiert sind. „Die Kündigung kam aus heiterem Himmel.“ Zudem empfand sie der Anwalt als „unnötigen Affront“ angesichts des Wintereinbruchs. Noch am 4. März 2008 vereinbarten Ciam und Gemeinde: Die Italiener stellen den Aufzug zum 30. Mai 2008 fertig. Handschriftlich hielt Bräuer das in einem Protokoll fest und ließ die Anwesenden unterschreiben. Zwei Wochen nach diesem persönlichen Treffen erreichte Ciam die Kündigung. Trotz Mahnungen im Vorfeld – Citarei fiel nach eigener Aussage aus allen Wolken.
Der Italiener erzählt und erzählt, Marco Gaetini übersetzt und übersetzt. Er hat damals ebenfalls für Ciam gearbeitet, bezeichnet sich als „Freund“, der den wirtschaftlichen Niedergang der Firma erlebt habe. Den jahrelangen Rechtsstreit mit dem Markt betrachtet Citarei nur als Kampf gegen die Insolvenz.
Gaetini und Citarei sprechen von einer „dramatischen Situation“
Die Pfändungen des Marktes – 140 Stück sollen bei Banken, Zulieferern und allen Geschäftspartnern laufen – ruinieren eine Firma, die seit über 50 Jahren besteht, betont Citarei. 2013 machte das Unternehmen 16 Millionen Euro Umsatz. Das zeigt eine knappe, tabellarische Übersicht. Ein Jahr später hatte sich dieser Umsatz fast halbiert. 2015 blieben 2,3 Millionen Euro. „Mit all den Pfändungen sind wir total blockiert“, sagt Citarei. Vor der Causa Schanzenaufzug beschäftigte das Unternehmen nach eigener Aussage 55 Mitarbeiter, es blieben 12. Gaetini und Citarei sprechen von einer „dramatischen Situation“, ihre Worte untermauern sie mit ausladenden Gesten. Einmal schiebt Citarei die Ärmel seines Jacketts nach hinten, um seine Gänsehaut zu präsentieren, die die dunklen Haare aufstehen lässt. Die Italiener können Drama.
Aber warum kommen sie genau jetzt? Über drei Jahre nach dem ersten Urteil melden sich die Italiener beim Tagblatt, um ihre Sicht der Dinge klarzustellen. Zum einen, sagt Gaetini, war man eh in München, um mit dem Anwalt das weitere Vorgehen zu besprechen. Zum anderen habe es einfach so lange gedauert, „bis die Wahrheit ans Tageslicht“ kam. „Was hätte Ciam sagen sollen ohne Beweise?“
Entscheidend wird die Sichtweise eines Gutachters sein
Wahrheit und Beweise – bedeutsame Wörter, wenn ein Prozess ansteht. Und dehnbare Begriffe. Denn ob das Gericht Beweise tatsächlich als solche definiert, wird erst die Verhandlung zeigen. Entscheidend wird dabei die Sichtweise eines Gutachters sein. Denn er war dabei bei einem Termin an der Schanze vor gut einem Jahr, der die vermeintliche Wahrheit ans Licht gebracht haben soll. Dieses Gutachten aber liegt noch nicht vor. Ebenso wenig wie ein Termin vor Gericht, der nach Auskunft der Behörde frühestens in einem halben Jahr anberaumt wird.