Vom Nikolaus zum Nikolaus-Sekretär

Rudi Werner bescherte Familien besondere Momente – Heute plant er Termine für seine Nachfolger
Garmisch-Partenkirchen – Beide sind sie blond, ein Madl und ein Bub. So brav schauen sie drein, so lieb, wie sie da den Heiligen Nikolaus mit großen Augen bestaunen. „Fast wie kleine Engerl“, sagt Rudi Werner. In den 1990er Jahren besucht er sie mit seinem weißen Bart, im Bischofsgewand, mit goldenem Stab und goldenem Buch. Aus dem liest er vor, was die Geschwister – so gar nicht engelsgleich – angestellt haben. In die Duschmittelflasche vom Papa haben alle zwei hineingebieselt. Und der hat sich gewundert, dass da nichts schäumt und das Duschgel so komisch riecht.
Jede Menge solcher Geschichten kann Werner erzählen. 28 Jahre lang war der 74-Jährige für die Kolpingsfamilie Garmisch als Nikolaus unterwegs. 30 bis 35 Familien hat er jeden Dezember von 1989 bis 2017 besucht. Sogar bis nach Klais ist er mal gefahren, als sich herumgesprochen hat, wie gut er das mit den Kindern macht. Manchmal waren er und sein Fahrer – den brauchte er, schließlich blieb keine Zeit für die Parkplatzsuche – fünf Tage lang unterwegs, drei brauchten sie mindestens. „Heute frag’ ich mich manchmal, wie ich das dapackt hab’“, sagt er. Danach streckte ihn meistens eine Grippe oder mindestens eine Erkältung nieder. Nicht verwunderlich. „Denn wo stellt man den Nikolaus in der Regel hin?“ Neben den Kamin. Von dort hat er den besten Blick auf die Eltern und die Kinder auf der Eckbank oder auf dem Sofa. Da stand er also, Holzofen für Holzofen, das Bücherl in der Hand, und der Schweiß lief ihm langsam unter seiner Mitra über den Nacken den Rücken hinunter. Eine Viertelstunde lang schwitzen, dann wieder hinaus in die Kälte und hinein in die nächste Wohnzimmerhitze.
Bei der Kolpingsfamilie Garmisch kommt die Familie zum Nikolaus und nicht umgekehrt
Das braucht manch ein Nikolaus von heute nicht mehr zu erleben. Bei der Kolpingsfamilie Garmisch kommt die Familie zum Nikolaus und nicht umgekehrt. Sicher nicht aus Bequemlichkeit. Aus der Not wurde diese Idee geboren. Während der Corona-Pandemie 2020 und 2021 konnte der Heilige nicht die Kinder zu Hause besuchen. Doch darauf verzichten sollten sie auch nicht müssen. So organisierte der Verein gemeinsam mit der Pfarrei St. Martin Garmisch eine besondere Nikolausfeier: In den Kirchen empfing der Alias-Heilige die Familien einzeln und nach vorheriger Terminvereinbarung. Werner wurde vom Nikolaus zum Nikolaus-Koordinator, zum Sekretär des berühmten Heiligen. Das ist er bis heute geblieben. Denn die Kolpingsfamilie hält an dem Konzept fest, das überraschend gut angenommen wurde. Seit Sonntag bis einschließlich heute kommen ab 16 Uhr Familien und ihre Kinder in die Alte Kirche. Eine Viertelstunde etwa nimmt sich der Nikolaus jeweils Zeit, vielleicht etwas mehr, wenn mehrere Kinder dabei sind. Manchmal bringen sie noch Freunde mit, dann reichen 15 Minuten womöglich nicht für das Loben und Tadeln aus dem Goldenen Buch.

Bei der Anmeldung im vergangenen Jahr erkundigte sich Werner schon bei den Anrufern, wie ihnen das Angebot gefällt. Er bekam überaus positive Rückmeldungen. Den feierlichen Rahmen und die Stimmung in der Kirche schätzen viele besonders.
Schon im Oktober haben heuer die ersten Väter und Mütter, Omas und Opas angerufen, um einen Termin in der Alten Kirche zu reservieren. Die Letzten kamen ganz spontan daher. Oder sagten ab, weil ein Kind krank wurde. Werner vergab die Besuchszeiten, organisierte, plante im Notfall um. Schmunzeln muss er oft bei der Terminvergabe. Die gestaltete sich früher definitiv leichter. Heute müssen die Kinder da zum Skitraining, dort zum Ballett, hier zum Musikunterricht, irgendwo dazwischen ins Karate und zum Turnen. Und Handball wollen sie auch noch spielen. Irgendwie bringt er schon immer alle unter.
Nur die Geschenke verteilt der Nikolaus heute nicht mehr. Da hilft das Engerl. Es stellt das Sackerl schon zu Hause vor die Tür, während die Mädchen und Buben dem Nikolaus lauschen. Schwer dürfte es mitunter zu schleppen haben.

Diese Schenkerei nahm schon zu Werners Nikolaus-Zeiten in seinen Augen zum Teil überhand. Zuletzt bat er die Eltern im Vorfeld, sie mögen es nicht übertreiben. Nikolaus sei Nikolaus, Weihnachten komme bald. „Da muss schon noch ein Unterschied sein.“ Bis heute berührt ihn eine Familienfeier in einer Hütte am Hausberg. Ein Großvater hatte ihn angerufen, er wünschte sich, dass der Nikolaus für seine Enkel vorbeikommt, auch seine Kinder waren dabei. Im Jeep holte er Werner, den Nikolaus, in seinem Jeep ab, fünf Minuten später standen sie vor der Hütte. Kurz wartete Werner vor der Tür, er klopfte, trat ein – und erlebte Besinnung. „Das war alles ganz einfach. Und drum so schön.“ Als Geschenke gab es einen Korb Mandarinen oder Nüsse, gemeinsam beteten die drei Generationen ein Vater unser. „Gar nichts Übertriebenes. Nur schön.“
Ganz anders bei der alleinerziehenden Mutter eines Sohnes. Tanten und/oder Freundinnen – genau zuordnen konnte Werner sie nicht – hatten sich mit den Geschenken gegenseitig überboten. Sie passten gar nicht alle in den riesigen Kartoffelsack, den der Nikolaus immer dabei hatte. Eine zweite Tasche musste Werner hineintragen. Als der Bub, fünf oder sechs Jahre alt, das sah, fragte er den Nikolaus, wo er denn die Geschenke alle unterbringen soll? „Nimm sie am besten wieder mit“, schlug er vor. „Und bring sie armen Kindern.“ Bis heute beeindruckt Werner der kleine Bub. Damals dachte er: „Der einzig G’scheite da herin bist du.“