1. Startseite
  2. Lokales
  3. Garmisch-Partenkirchen
  4. Garmisch-Partenkirchen

Zu wenig Aas in der Landschaft

Erstellt:

Kommentare

Gierig macht sich der Gänsegeier bei Unterhausen über die Fleischreste her, die ihm gebracht wurden.
Gierig macht sich der Gänsegeier bei Unterhausen nahe Weilheim über die Fleischreste her, die ihm gebracht wurden. © Hans-Joachim Fünfstück/LBV
Auch andere Aasfresser finden nicht mehr genug: Hier ein Kolkrabe auf einem verendeten Steinmarder.
Auch andere Aasfresser finden nicht mehr genug: hier ein Kolkrabe auf einem verendeten Steinmarder. © Hans-Joachim Fünfstück/LBV

Der Gänsegeier mit der eingefallenen Brust, der Mitte Februar bei Weilheim aufgetaucht ist, hat ein mittlerweile großes Problem offenbart. „Es gibt nicht mehr genug tote Tiere in der Landschaft, so dass Aasfresser zunehmend Schwierigkeiten haben, ausreichend Nahrung zu finden“, betont Hans-Joachim Fünfstück vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). Der Tierschützer appelliert an die Vernunft der Menschen.

Großer Hunger: An der eingefallenen Brust des Weilheimer Geiers sieht man, dass er zu wenig Nahrung hat.
Großer Hunger: An der eingefallenen Brust des Weilheimer Geiers sieht man, dass er zu wenig Nahrung hat. © Hans-Joachim Fünfstück/LBV

Landkreis – Für Vogelliebhaber war es das Erlebnis schlechthin. Mitte Februar hatte ein ausgewachsener Gänsegeier in der Nähe von Weilheim bei Unterhausen für Aufsehen gesorgt. „An und für sich war das Exemplar in einem guten Zustand, nur an der etwas eingefallenen Brust sah man, dass er auf dem Weg war, zu verhungern“, erzählt Hans-Joachim Fünfstück vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). Im Landkreis Garmisch-Partenkirchen seien Gänsegeier bisher nur im Sommer gesichtet worden – meist in den Bergen. Der Vogel bei Weilheim hat mit seiner eingefallenen Brust ein mittlerweile großes Problem offenbart. „Es gibt nicht mehr genug tote Tiere in der Landschaft, so dass Aasfresser zunehmend Schwierigkeiten haben, ausreichend Nahrung zu finden“, betont Fünfstück.

Eingefallene Brust und Zutraulichkeit erhärteten den Verdacht auf Schwäche

Die Odyssee des Weilheimer Gänsegeiers hatte Mitte Dezember im Westallgäu begonnen, als er dort an einem Luderplatz entdeckt worden war. „Trotz seiner Größe – Gänsegeier sind circa einen Meter groß und können eine Flügelspannweite von bis zu 2,80 Metern erreichen – wurde der Vogel erst Mitte Januar bei Bad Reichenhall wieder gesehen“, erzählt Fünfstück. Dort sei er bis zum 24. Januar geblieben, dann habe man die Spur verloren. Erst am 12. Februar tauchte exakt dieser Geier nördlich von Weilheim wieder auf. „Durch den Abgleich von etlichen Fotos konnte er wieder erkannt werden“, sagt Fünfstück. „Nicht nur, dass er an der Brust eingefallen war, auch die relative Zutraulichkeit erhärtete den Verdacht auf Schwäche.“

Eine Anwohnerin hatte daraufhin angefangen, den Vogel zu füttern, was ihm sicherlich half. „Aber eventuell hat es nicht gereicht, um seine Fitness zu erhalten, denn Gänsegeier können viel fressen. Da seine einzige Nahrung, er ist reiner Aasfresser, nicht täglich gefunden werden kann, ist er in der Lage, sehr lange zu hungern. Findet er dann wieder einmal etwas, frisst er unter Umständen so viel, dass er nicht mehr abheben kann und einen Teil der Nahrung wieder hervorwürgt.“ Dass der Weilheimer Geier richtig Hunger hatte, wurde am 14. Februar deutlich. „Eine Tüte voll Fleisch, die eine Beobachterin in einer nahen Metzgerei besorgt hatte, wurde sofort angenommen und verschlungen“, schildert der Experte weiter. „Dabei war die Vogelfreundin gerade erst bei den weiteren Beobachtern angekommen, als der Geier schon am Futter gelandet war und die Fleischbrocken gierig in seinem Schlund verschwanden. Einen Hasen, der ihm ebenfalls angeboten wurde, verschmähte er“, sagt Fünfstück. „Das ist aber auch nicht so verwunderlich, denn kleinere tote Tiere werden in der Regel nicht so angenommen. Großes Aas wie tote Haustiere und große Wildtiere werden bevorzugt.“ Am nächsten Tag sei ihm der Hase erneut hingelegt worden. Der Aasfresser war sofort abgehoben, hatte eine Runde über dem ausgelegten Futter gedreht und war dann auf einer nahen Eiche wieder gelandet. „Bei einem weiteren Versuch sich dem Futter zu nähern, wurde er leider von deinem Radfahrer absichtlich vertrieben. Auch eine Spaziergängerin verscheuchte den Geier durch Händeklatschen.“ Am Mittag des 16. Februar wurde der Vogel dann noch kreisend über der nahen B2 beobachtet. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.

„Unsere Kulturlandschaft ist nahezu ausgeräumt. Und das wird einfach hingenommen.“

Nun versucht er sein Glück woanders – nur wo? „Unsere Kulturlandschaft, Natur ist in Bayern ja nur noch in wenigen Winkeln zu finden, ist nahezu komplett ausgeräumt. Und das wird einfach hingenommen“, sagt der Vogelschützer. „Und nicht nur das. Die Landschaft ist auch regelrecht aufgeräumt. Kein totes Tier darf liegen bleiben und so werden täglich unzählige Kadaver der natürlichen Verwertung durch Säugetiere und Vögel, im Sommer auch durch Insekten, dem Kreislauf der Natur entzogen.“

Auch Mäusebussard, Kolkraben und viele kleinere Tiere leiden an mangelndem Angebot

Fuchs, Mäusebussard, Rabenkrähe und Kolkrabe sind die wohl bekanntesten Aasverwerter in Bayern. Dazu kommen, je nach Region, noch sehr große Greifvögel wie Stein- oder Seeadler, die sich ebenfalls immer wieder an Kadavern einfinden. Zudem zählen Rot- und Schwarzmilan zu den bekannteren Aasfressern. „Dass aber auch kleiner Vogelarten sich am Aas einstellen, ist bis vor wenigen Jahren unbekannt gewesen. Stare, Bach- Schaf- und Gebirgsstelzen, im Hochgebirge auch Alpenbraunellen, holen sich am Aas Fliegenlarven und füttern damit ihre Jungvögel“, erklärt Fünfstück weiter. „Selbst Erdkröten und Igel lassen sich am kalten Buffet blicken, wie Aufnahmen von Wildkameras zeigen. Und die Haare werden von etlichen weiteren Vogelarten genutzt um damit ihre Nester auszupolstern. All dies entziehen wir dem Recycling im natürlichen Kreislauf.“

„Überfahrende und tote Tiere einfach auch mal liegen lassen“

Deshalb sein Appell: „Die Zeit ist überfällig, um unseren Aasverwertern wieder mehr Möglichkeiten zu geben, ihrer arteigenen Natur nachzugehen. Durch den Verlust dieser Nahrungsquelle in mäusearmen Jahren müssen sie zum Beispiel vermehrt Jagd auf bodenbrütende Vogelarten machen, was dann deren Bruterfolg schmälert. Bringen wir überfahren Tiere nicht ins Konfiskat, sondern legen wir sie an Stellen ab, wo sie von verschiedensten Tierarten verwertet werden können“, fordert Fünfstück. „Mit Wildtieren ist das relativ leicht, da das gesetzlich möglich ist. Aber auch verunglückte Weidetiere müssen nicht mit dem Hubschrauber ins Tal geflogen werden, um dann in der Tierkörperbeseitigungsanstalt entsorgt zu werden. Eine ruhige Stelle am Berg und schon nach wenigen Tagen ist von dem Unfallopfer nicht mehr viel übrig.“ Und wenn dann einer der ganz großen Aasverwerter wie der Bartgeier, den der Mensch ja eigens wieder ausgewildert hat, vorbeikommt, dann werden selbst die übrig gebliebenen Knochen noch verwertet. „Selbstverständlich sollte auch der Aufbruch von Wild in der Landschaft verbleiben, aber nur wenn es bleifrei erlegt wurde. Das ist leider bei der Kugelmunition bis jetzt nur bei den Bayerischen Staatsforsten Pflicht“, moniert der Zweite Vorsitzende der LBV-Regionalgruppe Garmisch-Partenkirchen/Weilheim-Schongau. „Privatjäger dürfen immer noch mit bleihaltiger Kugelmunition auf die Jagd gehen. Auch hier muss schnellstens nachgebessert werden. Bei dieser Nachbesserung sollten man dann auch bleifreie Schrotmunition für die Jagd auf Niederwild abschaffen.“ Bei der Wasservogeljagd funktioniere das seit vielen Jahren. „Warum also nicht auch bei der Jagd auf Niederwild? Und was die Jäger der Bayerischen Staatsförster können, sollte doch auch im Privatwald machbar sein?“, meint Fünfstück.

Vom zweiten bayerischen Winternachweis, einem Gänsegeier der vom 24. Januar bis 30. Januar 2023 täglich bei Waltenhofen im Allgäu beobachtet werden konnte, fehlt ebenfalls jeder weitere Nachweis. „Vielleicht ist er wieder Richtung Süden abgezogen. Es kann aber auch leicht sein, dass er verhungert ist, denn zu fressen finden sie in unserer Landschaft zu wenig, um zu überleben.“   sp/jf/lbv

Auch interessant

Kommentare