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Energie-Exportschlager aus Großweil: Auch in Kirgistan wird ein Schachtkraftwerk gebaut

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Von: Peter Reinbold

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Idylle trifft innovative Technik: Das Schachtkraftwerk steht in der Loisach bei Großweil.
Idylle trifft innovative Technik: Das Schachtkraftwerk steht in der Loisach bei Großweil. © Sauer

Das Schachtkraftwerk in Großweil ist drauf und dran, seinen Siegeszug nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Welt anzutreten. Mit EU-Geld soll demnächst in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan mit einem Bau begonnen werden. Mitideengeber Peter Rutschmann ist überzeugt davon, dass Anlagen wie die in der Loisach ihren Beitrag zur Energiewende leisten können.

Großweil – Als Pilotprojekt hat das Schachtkraftwerk in der Loisach bei Großweil seine Alltagstauglichkeit längst und eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Seit Betriebsstart im Frühjahr 2020 versorgt die Anlage, die bislang über 6,2 Millionen Kilowattstunden Strom produzierte, rund 800 Haushalte mit sauberer Energie. Und vieles deutet daraufhin, dass sie sich zum Exportschlager entwickelt – in Deutschland und weltweit. Dr. Peter Rutschmann, emeritierter Professor an der Technischen Universität München (TUM), ist überzeugt davon, dass Kraftwerke wie sie in Großweil stehen, ihren Siegeszug gerade beginnen anzutreten. „Die Nachfragen haben nach dem Bau in Großweil sehr merklich zugenommen“, sagt der Mann, auf dessen Idee das Schachtkraftwerk mit zurückgeht und der an der TUM den Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft besetzte. Eine Anlage ging bereits Ende 2020 in Dietenheim an der Iller ans Netz, weitere zwölf waren oder sind in der Iller, der Saalach, der Würm und im Neckar geplant.

Auch die Europäische Union (EU) findet Schachtkraftwerke der Marke Großweil gut. Sie fördert Rutschmann zufolge mit rund zehn Millionen Euro in der Top-Forschungslinie Horizon 2020 das Projekt HYDRO4U, das von der TU München koordiniert wird und das den Bau eines zwei Megawatt-Schachtkraftwerks in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan mitbeinhaltet. Die Europäische Union unterstützt damit den Bau erneuerbarer Energien in Zentralasien mit einer kostengünstigen und trotzdem sehr ökologischen Wasserkraftlösung deutscher und österreichischer Firmen als Kontrast zu den dort üblichen, konventionellen Lösungen chinesischer Anbieter. „Wir waren immer der Meinung: Wenn Großweil funktioniert, dann funktioniert es überall auf der Welt“, sagt Rutschmann, der zusammen mit Albert Sepp als Ideengeber des Konzepts gilt.

NGOs leisteten Widerstand

Er ist davon überzeugt, dass im Zuge des Kirgistan-Projekts das Schachtkraftwerk-Programm weltweit sehr bekannt werden wird, da die EU großen Wert auf die Verbreitung von Resultaten der geförderten Projekte lege. „Es ist davon auszugehen, dass der Bau in Kirgistan und die radikale Vereinfachung durch ein flexibles Baukastensystem ein nächster Schritt zum Erfolg sein wird.“ Natürlich hätte er sich gewünscht, dass diese Entwicklung in Deutschland und nicht in Zentralasien hätte stattfinden können. „Wir sind aber mit unserer Idee in Bayern nicht überall mit offenen Armen empfangen worden, sondern auf viel Widerstand vor allem von NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen; die Redaktion) gestoßen.“

Der emeritierte Professor wundert sich, dass in Zeiten des Klimawandels und dem Hunger nach erneuerbaren Energie die Stromerzeugung in Flüssen bei Umwelt- und Naturschützern nicht den besten Ruf besitzt. „Es gibt viele Ideologen, die fortwährend und mit unredlichen Argumenten gegen die Wasserkraft agieren“, meint Rutschmann. Ein vom Landesamt für Umwelt (LfU) beauftragte fischökologische Monitoring in Großweil soll ergeben haben, dass an 43 Tagen im Frühling und Herbst insgesamt etwa 16 Kilogramm Fische von oben über das Kraftwerk nach unten wanderten, und davon in den sechs Wochen weniger als 700 Gramm Fisch – „eine schöne Tagesration für einen Kormoran“, meint Rutschmann – in der Turbine zu Schaden kamen. „Da kann ich mich nur wundern, wie man der Wasserkraft die schwächelnden Fischpopulationen in die Schuhe schieben kann.“

Steigendes Interesse von Städten und Gemeinden

Allerdings deutete sich in den zurückliegenden Monaten eine Wende an. Das Interesse kommt derzeit von vielen Seiten – ausgelöst durch den Ukrainekrieg und die explodierenden Energiepreise – „zunehmend“, so Rutschmann, „von besorgten Stadt- und Gemeindebehörden“. Auch Privatinvestoren warten angeblich ungeduldig auf eine angekündigte Veröffentlichung des LfU, in der etwa 200 Standorte von Querbauwerken in Bayern für eine potenzielle Wasserkraftnutzung benannt werden. „Durch das überragende, öffentliche Interesse der erneuerbaren Energien hat sich die Gesetzeslage seit diesem Sommer geändert, und die CO2-freie Produktion von Energie überragt in der Regel andere, konkurrierende Interessen“, erklärt Rutschmann im Tagblatt-Gespräch.

Und er bemerkt ein neues Denken. Hätten bislang gewässer- und fischökologische Aspekte fast ausschließlichen Einfluss auf eine Genehmigung, so wird nach seiner Überzeugung in Zukunft der Klimaschutz und die Energiesicherheit im Vordergrund stehen. Durch schnellere und einfachere Verfahren müsse ermöglicht werden, wieder vermehrt vorhandene erneuerbare Energie vor Ort zu produzieren. „Dies kann für Bürger und Kommunen von großem Interesse sein, da man unabhängig wird, sich von den momentan horrenden Börsenpreisen auf Jahre hinaus entkoppeln und bei Blackout oder in Krisenzeiten eine zuverlässige, längerfristige Notstromversorgung für die notwendigsten Bedürfnisse der Gemeinschaft erreichen kann“, meint Rutschmann. In Großweil hat die Zukunft vor drei Jahren begonnen. Das Dorf an der Loisach ist in Sachen Stromerzeugung fast autark.

Hintergrund

In der Loisach bei Großweil ist das weltweit erste Schachtwasserkraftwerk 2020 in Betrieb gegangen. Es produziert klimafreundlich Strom und schont gleichzeitig die Natur stärker als konventionelle Wasserkraftwerke. Die Turbine wird in einem Schacht im Flussbett versteckt. Fische können über das Kraftwerk hinweg flussabwärts wandern.

Entwickelt wurde der neue Anlagentyp an der Technischen Universität München (TUM). Betrieben wird das Schachtkraftwerk von der Wasserkraftwerk Großweil GmbH. Gesellschafter sind die Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen, die Gemeinde Großweil und die Kraftwerk Farchant, A. Poettinger & Co KG.

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