„Werdenfelserei“ - Marke Mittenwald

Wenn „80 Mutige“ die Köpfe zusammenstecken, dann sprudeln die Ideen. Wie viele tatsächlich auf dem strittigen Grundstück, wo einst ein Hallenbad stand, verwirklicht werden können, niemand weiß es. Doch nach Auswertung des World-Cafés kristallisiert sich der Wunsch nach einem familiengeführten Hotel der gehobenen Kategorie – am besten auf Gemeindegrund – heraus.
Mittenwald – Um es in einem Satz auszudrücken: In Mittenwald sollte ein Ableger des Garmisch-Partenkirchner Boutiquehotels „Werdenfelserei“ entstehen. „Ein Showobjekt, es wird als Idealbeispiel genannt – der Jackpot.“ Eindeutiger kann das Urteil von Christoph Seitz nicht ausfallen. Der Leitende Angestellte des Pharma-Riesen Roche hatte auf Bitte der Gemeinde Mittenwald im Dezember 2022 ein sogenanntes World-Café im Rathaus moderiert. Dabei ging es um die zukünftige Nutzung des gemeindeeigenen 11 000-Quadratmeter-Areals, auf dem einst ein Hallenbad stand. Die Ergebnisse dieser Ideenschmiede, die Seitz am Dienstagabend im Gemeinderat präsentierte, überraschen wenig.
Geht es nach den gut 80 Freiwilligen, die im Dezember einen halben Samstag investiert haben, sollte ein familiengeführtes Vier-Sterne-Refugium am besten auf Grund entstehen, das in den Händen der Mittenwalder bleibt. „Wie generieren wir finanzielle Mittel ohne Verkauf des Grundstücks – das war die Tendenz“, bilanziert Seitz. Die Veräußerung des zentralen Areals zwischen Rathaus und Bahnhof „wäre ein kritischer Faktor“. Dass dem so ist, bekamen mögliche Investoren und der Marktgemeinderat beim Bürgerentscheid im Oktober 2021 zu spüren, als das aja-Projekt der Deutschen Seereederei in Bausch und Bogen in die Tonne getreten wurde.
Dieses Ergebnis hat alle im Rathaus vorsichtiger, möglicherweise demütiger gemacht. Der Bürger muss bei diesem Politikum ins Boot geholt werden, sonst funktioniert es nicht – die Erkenntnis aus einer schmerzhaften Niederlage für die aja-Befürworter im Marktgemeinderat. Und das waren beileibe nicht wenig. Im Grunde alle bis auf Ursula Seydel (SPD.
Diese zeigte sich vom World-Cafe begeistert. „Das Ergebnis ist unheimlich erfrischend, jetzt müssen wir den Ideenreichtum aufnehmen.“ Doch so neu sind die Vorschläge nicht, findet Regina Hornsteiner (CSU). „Es steht genau das drin, was wir vorher gesagt haben.“ Auch der in den Gruppen herausgearbeitete Wunsch nach einem „glaubwürdigen Investor“ sei wohl „eher subjektiv“. Unterm Strich wünschen sich die laut Moderator Seitz „80 Mutigen“ eine „eierlegende Wollmilchsau“, resümiert Hornsteiner.
Das waren damals nicht die falschen Ziele, sondern sie wurden falsch vermittelt
Den Vorwurf, dass die World-Café-Teilnehmer – darunter auch einige aja-Hotel-Gegner – nur das wiederkäuen, was der Marktgemeinderat bereits ausgeheckt hatte, will Bärbel Rauch (SPD) so nicht stehen lassen. „Das waren damals nicht die falschen Ziele, sondern sie wurden falsch vermittelt.“ Auch Moderator Seitz rät Regina Hornsteiner, „die Kraft des Prozesses nicht zu unterschätzen“.
Gerhard Schöner (CSU) indes zeigt sich gespannt, wie man einen Unternehmer ködern will, wenn dieser die Filetfläche lediglich auf Basis eines Genossenschaftsmodells oder via Erbpacht nutzen darf. „Ob wir da einen Investor finden?“, unkt Schöner. „Man will alles haben, will aber nichts hergeben.“ Wie soll das funktionieren, fragt sich der CSU-Mann. „Da ist ganz viel Wunsch dabei“, muss selbst Bürgermeister Enrico Corongiu (SPD) einräumen.
Und dann gibt es noch das Optik-Kriterium. „Das ist bei jeder Diskussion herausgestochen“, erinnert sich Christoph Seitz. Für ihn „ein ganz starkes K.o.-Kriterium.“ Für Stefan Schmitz (Bürgervereinigung) sind im Oktober 2021 alle mit dem „aja-Kasten“ von Garmisch-Partenkirchen im Kopf in den Bürgerentscheid gegangen. Dass die Mittenwalder Variante völlig anders ausgeschaut hätte, „das ist in der Kommunikation völlig untergegangen“.
Doch wie geht es nun weiter? Der Gemeinderat versucht, aufgrund der Erkenntnisse des World-Cafés die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Themen Optik und Verkauf gilt es, bei einem möglichen Hotelprojekt besonders sensibel zu behandeln – nicht zu vergessen eine offensive Kommunikation nach draußen. Umso überraschender also, dass der Bürgermeister und seine Verwaltung den Punkt „World-Café“ zunächst im nicht-öffentlichen Teil behandeln wollten. Erst nach Intervention einiger Gemeinderäte entschloss man sich zur allgemeinen Debatte. So viel zu Theorie und Praxis.