Kein Heimplatz für kriegsverletzten Ukrainer

Am 24. Februar jährte sich der Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Das Tagblatt nimmt dies zum Anlass für eine lose Serie, um das Thema regional zu beleuchten. In dieser Folge beschäftigen wir uns mit der BG Unfallklinik Murnau, in der schwerst verletzte ukrainische Soldaten und Zivilisten behandelt werden und mit den Problemen, die nach Abschluss der Behandlung entstehen.
Murnau – Zwei Ukrainer, einer davon ein Soldat, werden in diesen Tagen von den Ärzten der Unfallklinik Murnau (UKM) behandelt – Menschen, die in dem Krieg, mit dem Russland die Ukraine terrorisiert, schwere Verletzungen erlitten haben. Mittlerweile seit fast einem Jahr hat die Fachklinik bei 24 Soldaten oder Zivilisten – elf davon stationär –, die per Flugzeug nach Deutschland gebracht wurden, Hilfe geleistet. Etliche davon hatten bei den Gefechten schlimmste Verwundungen erlitten, die die ganze Kunst der UKM-Ärzte erforderten. „Wir haben es mit Verbrennungen, Schuss- und Schrapnellverletzungen zu tun“, sagt Professor Fabian Stuby, der Ärztliche Direktor der Klinik. Und die aufwändige Operationen mit Knochenersatz und Knochentransport erforderten. „Das ist alles sehr komplex.“

Besonders schlimm erwischte es einen Mann, von dessen Schicksal später noch einmal die Rede sein wird, an der Wirbelsäule. Er ist nun querschnittgelähmt. „Der Umgang mit Schusswunden ist nicht unser tägliches Brot“, erklärt Stuby. Er persönlich hat damit einschlägige Erfahrung gesammelt, als er vor 30 Jahren für sechs Monate in Südafrika arbeitete, als im Kampf gegen die Apartheid eine Welle der Gewalt durch das Land geschwappt war.
Frisch verletzte Ukrainer, die per Flugzeuge, die entweder in München, Memmingen oder Nürnberg landen, Deutschland erreichen und nach dem Kleeblatt-Prinzip, das sich während der Corona-Pandemie bewährt hat, verteilt werden, kommen nicht in Murnau an. Deutschland hat nach Information des bayerischen Innenministeriums bis vor Kurzem mehr als 660 übernommen. Auf Bayern, das sogenannte Kleeblatt Süd, entfallen 115. Die Kosten des Transports trägt zu 75 Prozent die EU, den Rest übernimmt die Bundesrepublik. Für die Behandlung kommen nach der Registrierung entweder die gesetzliche Krankenversicherung oder – bei perspektivisch dauerhafter Arbeitsunfähigkeit – der Sozialhilfeträger auf.
115 der 660 verletzten Soldaten landen in Bayern
Die Zahl derer, die ausgeflogen werden, hält sich Grenzen. Stuby hatte zunächst mit einer Welle an verletzten Ukrainern gerechnet. Die ist nicht eingetreten – was ihn wundert, denn täglich werden mehrere Hundert Menschen in der Ukraine verletzt. „Die dortigen Ärztinnen und Ärzte müssen gute Arbeit leisten.“ Jene, die die Koordinierungsstelle in Südbayern auf die Münchner Großkliniken Großhadern und Rechts der Isar sowie auf das UKM verteilt, sind schwere Fälle, die einen langen Leidensweg hinter sich haben und die die Hilfe von Spezialisten zahlreicher Fachrichtungen benötigen, über die die UKM verfügt.
Als überregionales Traumazentrum steht die Murnauer Klinik mit den Unikliniken in der ersten Reihe. Die Ukrainer, die stationär aufgenommen wurden, landen bei Schussverletzungen meist auf der großen septische Abteilung. „Insbesondere, wenn diese über Tage nicht medizinisch versorgt werden, entwickeln sich natürlich Infektionen“, erläutert Stuby. Multiresistente Keime befinden sich in den Wunden sowie am Körper. Man kenne ähnliche Fälle aus Ländern wie Usbekistan und Rumänien, sagt Stuby, „weil dort mit Antibiotika in der humanmedizinischen Therapie und vor allem in der Landwirtschaft sehr großzügig umgegangen wird“. Deshalb befinden sich die Patienten auf der Isolierstation.
„Anschlussversorgung ist nicht Aufgabe der Landratsämter“
Die Ärzte und alle Mitarbeiter der UKM geben ihr Bestes, um den schwerst verletzten Ukrainern, von denen einige mehrere Monaten liegen müssen, wieder ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Durch die Schwere der Verletzungen bei den Soldaten oder Zivilisten aus dem Kriegsgebieten ist allerdings bei der Entlassung aus der klinischen Versorgung regelmäßig eine bleibende Einschränkung, Schwerbehinderung oder Pflegebedürftigkeit vorhanden. Und da beginnen die Probleme. Stuby bezeichnet dabei die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Garmisch-Partenkirchen als „teils frustrierend“. Vor allem, was die Organisation einer Unterkunft angeht. So wollte die Kreisbehörde Stuby zufolge den querschnittgelähmten Ukrainer in einem Asylbewerberheim unterbringen. „Der Mann braucht eine adäquate Pflegeeinrichtung“, sagt Stuby. Weil sich die nicht finden ließ, blieb er in der UKM und blockiert ein Bett. In einer E-Mail an das Landratsamt hat Stuby, der aus Gesprächen mit seinen Kollegen in Großhadern und Rechts der Isar erfahren hat, dass es dort ähnliche Probleme mit den Ämtern nicht gibt, sein Unverständnis kundgetan. Nach drei Wochen hatte er immer noch keine Antwort erhalten. Erst auf Tagblatt-Nachfrage teilte die Pressestelle des Landratsamts (LRA) mit, dass Professor Stuby seitens der Regierung von Oberbayern schriftlich darüber informiert wurde, „dass es nicht die Aufgabe der Landratsämter ist, die Probleme der Anschlussversorgung mit Pflegeplätzen etc. für ukrainische Kriegsverletzte zu lösen“. Deshalb habe die Kreisbehörde eine Antwort an Professor Stuby „als obsolet“ angesehen. Zudem sei es laut LRA-Pressesprecher Stephan Scharf Aufgabe der Kliniken mit deren Sozialdiensten – auch des Sozialdienstes in der UKM – die Patienten bei der Organisation der Versorgung nach der Entlassung zu unterstützen. Aufgrund beschränkter Ressourcen in der ambulanten und stationären Langlangzeitpflege, die primär auf den Bedarf der Landkreisbevölkerung ausgelegt ist, stelle die Weiterversorgung von Kriegsverletzten eine kaum lösbare Aufgabe im Landkreis dar.
Ähnlich sieht man es im bayerischen Innenministerium. Im Regelfall kümmert sich laut einer Ministeriumssprecherin der Sozialdienst der aufnehmenden Krankenhäuser in Abstimmung mit den Ausländer- und Sozialbehörden um den Übergang in etwaig erforderliche Anschlussversorgungen nach der Krankenhausbehandlung beziehungsweise die jeweils anschließende (Reha-)Einrichtung. Bei der Bereitstellung einer Unterkunft sind, so das Ministerium, „die individuellen Bedarfe im jeweiligen Einzelfall zu berücksichtigen“. Eine Lösung sei nur vor Ort unter Einbeziehung der Kommunen und auch der Ausländerbehörden möglich. Hierbei komme gegebenenfalls auch die Nutzung eines Platzes „in einer Asylunterkunft in Betracht“. Was für schwerst verletzte Ukrainer, die noch teils mit multiresistenten Keimen besiedelt sind, nach Meinung der UKM nicht infrage kommt. „Sollte eine Versorgung in einer Gesundheitseinrichtung nötig sein, besteht zumeist eine Isolationspflicht“, teilt Pressesprecherin Julia Nagl mit, die gar nicht abstreitet, dass der UKM-Sozialdienst für das Beschaffen einer Anschlussversorgung zuständig ist. Sie hält eine Unterstützung durch den Landkreis für wünschenswert. „Eine einfache E-Mail des Landratsamtes, dass die Kostenübernahme einer bereits durch unseren Sozialdienst organisierten Anschlussversorgung nicht vorhanden ist und der Patient daher stationär in unserem Hause bleiben muss, ist leider wenig konstruktiv und auch aus Patientensicht schwer nachvollziehbar.“