Sozialer Wohnungsbau liegt am Boden - Murnauer Bürgermeister wirbt für zweiten Immobilienmarkt

Die Wohnungsnot ist eines der beherrschenden Themen dieser Zeit. Stark davon betroffen ist Murnau. Derzeit stehen in der Marktgemeinde 220 Personen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung. Bürgermeister Rolf Beuting will das ändern. Er wirbt für einen zweiten Immobilienmarkt, der sehr stark von der Öffentlichen Hand beeinflusst sein soll.
Murnau – Das Blaue Land zählt zu den privilegierten Gegenden im südlichen Bayern. Eine herrliche Landschaft gepaart mit hoher Lebensqualität. Hier wohnen Menschen gerne – besonders in Murnau, das als Mittelzentrum alles bietet: Einkaufsmöglichkeiten, Kunst, Kultur, Sport, den Staffelsee vor der Haustür und die Berge in Sichtweite. Heile Welt, könnte man meinen. Was den guten Eindruck stört: Bezahlbarer Wohnraum ist im Ort knapp, ganz extrem sogar. Nicht für die mit einem großen Geldbeutel, sondern für jene, die sich wirtschaftlich fast am unteren Rand der Gesellschaft oder knapp darüber bewegen. Das hat die Gemeinde schriftlich – vom Freistaat: Murnau gehört wie 207 weitere bayerische Gemeinden zu den Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Ein „Gütesiegel“, das im Landkreis nur noch Seehausen erhalten hat und das die Situation dramatisch auf den Punkt bringt. „Das ist mit Sicherheit kein Titel, auf den wir stolz sind“, sagt Bürgermeister Rolf Beuting (ÖDP/Bürgerforum).
Dass Mietwohnungen in dem Segment, das dem Sozialen Wohnungsbau zugerechnet wird, fehlen – aber nicht nur dort – ist offenkundig. Das beweisen schon allein die Zahlen: In Murnau gibt es derzeit 140 Sozialwohnungen – vor zehn Jahren waren es nach Auskunft der Marktverwaltung lediglich 82. Sie werden über die Wohnbau Weilheim betrieben. Für sie ist ein Berechtigungsschein nötig, den das Landratsamt ausstellt. „In Sozialwohnungen leben nicht nur arme Menschen. Man muss nicht in einem prekären Arbeitsverhältnis beschäftigt sein, um einen Anspruch zu haben“, sagt Beuting. „Da schlackert man mit den Ohren, über welche Einkommen wir da reden.“
Verschärfte Situation
Das Amt für Soziales und Familie führt eine Liste der Bewerber und benennt Anwärter für frei werdende Objekte. Momentan stehen 220 Haushalte auf der Warteliste für eine staatlich geförderte Wohnung, diese Zahl beinhaltet auch 80 Anfragen von außerhalb Murnaus. Corona, die Inflation und die Tatsache, dass Flüchtlinge aus der Ukraine vermehrt auf den sowieso angespannten Markt drängen, haben Beuting zufolge die Situation verschärft. „Das Problem werden wir als Kommune nicht allein lösen können.“
Die Auswahl der Mieter für Sozialwohnungen, Mietvertrag und was sonst noch anfällt, laufen über die Wohnbau Weilheim, die Eigentümer der meisten Objekte in Murnau ist. Darunter fallen beispielsweise die 42 Einheiten an der Adalbert-Stifter-Straße. Beuting: „Das ist eine erkleckliche Anzahl, die an dieser Stelle entstanden ist, obwohl wir einige alte Gebäude abgerissen haben.“ Den Mietpreis der Sozialwohnungen beziffert Rathaus-Sprecherin Annika Röttinger „pro Quadratmeter im Schnitt auf 5,71 Euro“. Stand Ende 2021. Auf dem freien Markt werden ganz andere, deutlich höhere Preise aufgerufen. Laut des Internetportals wohnungsboer se.net müssen pro Quadratmeter im Schnitt 11,75 Euro bezahlt werden.
Bezahlbaren Wohnraum, für Menschen ein Dach über den Kopf zu schaffen, diesem Problem gedenkt sich Beuting anzunehmen. Es ist eines der großen Vorhaben, die seine Agenda für die zweite Amtszeit prägen. Allerdings hat die Wohnbau Weilheim, neben Murnau sind Peißenberg, Penzberg, Weilheim, Uffing, Seeshaupt und Bernried Mitgliedskommunen, mittlerweile im Markt den Sozialen Wohnungsbau so gut wie eingestellt. Ein Grund ist Beuting zufolge die Kostenexplosion. Viel deute darauf hin, dass das Unternehmen sich künftig auf die Sanierung des Bestands konzentrieren könnte.
Keine Mehrheit für Projekt am James-Loeb-Haus
Eine Chance, den Wohnungsmarkt zu entspannen, der für Beuting nicht nur in Murnau, sondern in Deutschland „außer Rand und Band“ ist, sieht er im kommunalen Wohnbau. In diesem Segment sollen am Bahnhof zwölf kleinere Einheiten entstehen, 29 gibt’s bereits am Längenfeldweg. „Damit haben wir einen wesentlichen Beitrag geleistet, als Kommune Wohnraum zu schaffen.“ Ein Mehr verhinderte der Gemeinderat. Beuting, die Bürgermeistergruppierung ÖDP/Bürgerforum sowie Bündnis 90/Die Grünen hatten versucht, das James-Loeb-Grundstück für genossenschaftliches Bauen zu nutzen – und scheiterten an der konservativen Mehrheit im Gremium. Eine Niederlage, die Beuting noch nicht verwunden hat. Er hätte vom politischen Gegner gerne eine Antwort auf die Frage, wo genossenschaftliches Bauen entstehen soll, wenn nicht am James-Loeb-Haus. „Wir haben einen Vorschlag gemacht, der städtebaulich auch vernünftig gewesen wäre. Jetzt muss man mir sagen, was die Alternativen sein sollen.“
Der Bürgermeister ist sich sicher, dass es nötig ist, neue Wege zu beschreiten, um eine der größten Krisen dieser Zeit zu bewältigen. Seiner Ansicht nach braucht es einen zweiten Immobilienmarkt, „der sehr stark von der Öffentlichen Hand beeinflusst ist. Dessen Ziel muss es sein, für gedämpfte Immobilienpreise zu sorgen“. Als Beispiele nennt er Ulm und Wien. „Das sind Vorbilder, von denen man sich eine Scheibe abschneiden kann.“ Ein Instrument, das Erfolg verspricht, könnte die Nachverdichtung sein, die in Murnau schon begonnen hat. „Wir machen das seit 20, 30 Jahren“, erklärt Beuting. Man habe angefangen, Gärten zu bebauen und dort, wo es sinnvoll ist, „auch in die Höhe zu gehen“. Es müsse der Einzelfall betrachtet werden. „Dreigeschossig zu bauen, wenn alles zweigeschossig ist, sorgt nicht immer für Freude.“ Davon will er sich aber nicht abschrecken lassen. „Man muss ein neues Denken für den Immobilienmarkt schaffen, eine neue Grundhaltung entwickeln.“
Lösungen zu finden, das treibt auch Bündnis 90/Die Grünen an. Die Fraktion hat eine Sondersitzung des Gemeinderats zum Thema Wohnbau beantragt. „Die wird im ersten Halbjahr stattfinden,“ sagt Beuting.
Auch interessant: Murnau sichert sich Zugriff auf zentrumsnahe Grundstücke