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Corona-Krüge für die Passionsspiele: Oberammergauer Betrieb stellt Ton-Gefäße her, die Jesus zertrümmert

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Von: Andreas Mayr

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Im Tempel geht er zu Bruch. Jesus zertrümmert den Krug. Das macht er in jeder Vorstellung der Passionsspiele. Jedes der Gefäße töpfern Barbara Lampe und ihre Söhne in ihrer Werkstatt in Oberammergau – und verstecken Geheimbotschaften im Inneren.

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1 / 8Fertig! Benjamin und Barbara Lampe mit drei fertigen „Pötten“, wie sie die Krüge selbst nennen. © Mayr
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2 / 8Teamarbeit: Barbara Lampe und ihr Sohn Benjamin fügen die beiden halben Gipsformen zusammen. © Mayr
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3 / 8Drei gewinnt: Benjamin Lampe spielt mit Gästen gerne Tic-Tac-Toe mit den Krügen. © Mayr
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4 / 8 © Andreas Mayr
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Oberammergau – Sagen wir es, wie es der Bayer sagen würde: Sie haben Barbara Lampe verarscht vor zehn Jahren. Aus Kreta flogen sie die Krüge ein. 130 Stück. Die waren ein paar Euro günstiger als die selbstgebauten aus Oberammergau. Es gab Massenrabatt. Kurz vor der Passion fragte Barbara Lampe, erfüllt von Panik und Hektik, die Macher der Spiele, wann sie denn endlich die Krüge töpfern dürfe. Wie 2000. Wie 1990. Wie ihr Vater davor. Die griechischen Karaffen hatte man ihr verschwiegen. Sie sagten nur: „Die Krüge stehen doch schon unter der Bühne. Willst sie sehen?“ Barbara Lampe hat sie gesehen und ist gegangen.

Diesmal haben sie Lampe wieder gefragt. „Willst’ sie machen? Deine waren die allerschönsten.“ Nein, hat sie geantwortet. Nie wieder. „Ich war ziemlich sauer“, erklärt sie. Das war im Januar.

Die Rente wartet - diesmal wirklich

In dieser Woche hat Barbara Lampe die Krüge 83 bis 87 getöpfert. Zehn fertige hat ihr Sohn Benjamin ins Theater gefahren. Exakt zehn passen in den alten Volvo. Etwa 300 Kilogramm Ton. Lampe hat sie Corona-Krüge getauft. Nicht in erster Linie wegen des Virus’, sondern weil Corona (lateinisch) zu deutsch Krone heißt, und die Krüge das Leben der Töpferin krönen. Diese 130 Pötte – so sagen die Lampes – sind ihre letzten. Ende des Jahres reicht Barbara Lampe die Werkstatt an ihren Sohn Tobias weiter, ein Metaller. Sie geht in Rente. Diesmal wirklich. Vor sechs Jahren „hieß es auch Rente“, sagt die 71-Jährige. Sie hat danach einfach weitergearbeitet. Die Pension reichte nicht. In ihrer Werkstatt hängt ein Zettel, auf dem geschrieben steht: „Ich bin es wert, für gute Arbeit gut bezahlt zu werden.“ Aber wer zahlt heute noch für Handarbeit? Liebhaber und Stammkunden, sagt Lampe. Ohne die Mietwohnungen hätte sie die Töpferei, betrieben über fünf Generationen, viel früher schließen müssen.

Sie hat dann doch „Ja“ gesagt zu den Krügen. Vernunft setzte sich über den Stolz hinweg. Für den Tobi, ihren ältesten Sohn, ist der Auftrag ein eleganter Einstieg, für sie der schönst-mögliche Ausstand. „Ich bin gottesfroh, dass ich den Auftrag habe.“ Gott habe ihr die Gabe geschenkt. Jesus, der den Krug im Tempel zertrümmert, verschafft „mir den Unterhalt“. Diese Allegorie gefällt ihr schon immer. Die Szene im Tempel auch. Für sie gibt’s keine schönere.

Alles läuft entspannter ab

Christian Stückl, der Spielleiter, hat geweint, als er der Welt den Aufschub der Passion verkündete. Das Dorf schluchzte, aber Lampes Ofen hörte nicht auf zu brennen. In zwei Jahren fange sie doch nicht wieder an, wo nun alles ohne Druck zu Ende geht. Etwas mehr als 700 Tage sind es bis zu den Spielen 2022. Die Pötte werden fertig werden. Welch Hetzerei war es in den Zeiten gewesen, in denen sie vormittags töpferte, nachmittags als Klagefrau die Bühne betrat und nachts brannte. Das wird ein Spaß in zwei Jahren. Plötzlich Zeit haben, ratschen, ins Theater schlendern. Die Verwandtschaft aus Amerika will kommen. „Ah, das wird schön.“

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Sie spielt wieder eine der schwarzen Frauen, die sie neckisch als „Groupies von Jesus“ bezeichnet. 80 Darstellerinnen, die Älteste über 80, die Jüngste ein paar Monate alt. Frauen, die im Leben vor der Passion nie miteinander geredet hätten. Aber das ist die Passion, unsichtbarer Klebstoff. Mittlerweile treffen sich die Frauen zweimal im Jahr. Lampes Schwester, Monika Lang, hat 1989 das Spielrecht für verheiratete Frauen und Frauen über 35 vor Gericht erstritten. Mit vielen weiteren Mutigen. Auf einen Schlag meldeten sich 250 freiwillige Frauen. Manchen Männern fiel nichts Schlaueres ein, als sie anzuschnauzen und Spielleiter Stückl eine böse Botschaft in den Garten zu hängen. Die Passion ist Tradition – und Tradition kann nicht nur wie Kleber wirken, sondern manchmal auch Menschen trennen. Benjamin Lampe hätte nicht mitwirken dürfen in diesem Jahr. Erst im Oktober 2019 war er aus Franken zurückgekommen. In zwei Jahren ist er spielberechtigt. Der Jüngste von drei Söhnen, ebenfalls ein Töpfer, hilft der Mama trotzdem. Mit seinem Bruder.

Geburtstagsgrüße auf der Innenseite

Barbara Lampe ist jetzt 71. Ihre linke Schulter ist kaputt. „Ich kann nicht einmal Haare binden.“ Ihre „Passionslocken“ wachsen weiter. Wenn alles vorüber ist, lässt sie die linke Schulter richten. Nach 55 Jahren und vielen Goldmedaillen wie Urkunden darf das wertvollste Werkzeug der Töpferin schon einmal ausgetauscht werden. Rechts hat man bereits ein neues Gelenk eingesetzt. Funktioniert hervorragend. Sie hebt nicht mehr so schwer wie früher. Eine halbe Gipsform der Krüge wiegt 150 Kilogramm. „Das ist Männerarbeit.“

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Teamarbeit: Barbara Lampe und ihr Sohn Benjamin fügen die beiden halben Gipsformen zusammen. © Mayr

An einem Krug werkeln zwei Töpfer. Auf dem Bauplan purzeln viele Zahlen hin und her. Wer sich nicht auskennt, könnte die Skizze für eine Kritzelei halten. Drei Varianten hat die Familie entwickelt. Alle führen zum Ziel. Die schnellste sieht etwa 30 Minuten Bauzeit vor. Aber dann darf niemand in der Werkstatt ratschen und auch Kater Chili nicht um ein Leckerli betteln. Erst die Wände, dann der Boden, jede Hälfte für sich. Bevor ein Kran die Gips-Klötze verbindet, nummeriert Barbara Lampe jeden Pott und fügt eine persönliche Botschaft an. „Limited Edition“, sagt sie. In manche Gefäßen graviert sie Geburtstagsgrüße, andere erzählen von Corona, von Masken. In einem steht lakonisch: „Jesus war da.“ Benjamin Lampe, 39, spielt gegen Gäste gerne Tic-Tac-Toe auf Ton. Er gewinnt oft. Danach macht seine Mutter ein Foto. Komischerweise erinnern sie die Bilder an Ultraschallaufnahmen von Schwangeren. „Das Geheimnis liegt innen drin.“

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Gänsehaut, wenn der Krug zerbricht

Die griechischen Gefäße vor zehn Jahren kamen ohne Geheimbotschaften aus, die nur die Händler lesen können, wenn sie die Scherben nach dem Auftritt mühsam zusammenkleben. Am Ende der Passion verkaufen sie die Pötte im Dorf. Vom Erlös feiern die Händler ein großes Fest und unterstützen ein soziales Projekt. Vor zehn Jahren haben sie den Brunnen am Altherrenweg restauriert.

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Drei gewinnt: Benjamin Lampe spielt mit Gästen gerne Tic-Tac-Toe mit den Krügen. © Mayr

Nach acht, manchmal zehn Stunden befreit man die Krüge von der Gipsform. Barbara Lampe zieht die Henkel auf in einer Bewegung, die man mit Melken vergleichen könne. Ihr Großvater Anton Lang schaut zu. Das Porträt des Jesudarstellers von 1900, 1910 und 1922 ziert die Wand. Zwei Wochen trocknet ein Pott. Danach hieven ihre Söhne den Ton-Koloss in den Ofen, über 1000 Grad heiß. 

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1960 sind ihrem Vater einmal zig Krüge im Holzofen geschmolzen. Er hatte eine neue Kohlesorte aus Schlesien ausprobiert. Mit Pickel und Meißel schlug der verzweifelte Mann das lebkuchengleiche Gebilde wieder heraus. 1990 formte Barbara Lampe die Krüge noch freihändig auf der Drehscheibe, zehn Jahre später entwickelte sie die Gipsform-Technik. Das Modell 2020 ist dem Vorgänger nachempfunden und etwa zehn Prozent kleiner. 20 Krüge brennt die Familie zusätzlich für den Verkauf. Im hauseigenen Laden bietet sie Repliken in Miniform an. Nicht einmal die erlaubte man ihr vor zehn Jahren. Aber gut, diese Geschichte ist verziehen und in zwei Jahren wahrscheinlich vergessen, sobald der erste Tonkrug mit einem tosenden, dunklen Bersten zerbricht, 4800 Menschen erschreckt und Barbara Lampe die Gänsehaut hinaufkriecht.

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