Dabei mag ein Nicht-Kenner der vormaligen Knabenblaskapelle Dachau beim ersten Anblick verwirrt sein. Wer Bigband hört, denkt Glenn Miller, sieht Anzüge – oder doch zumindest die Gewandung in Schwarz. Kravatten, die Sitzordnung gereiht. Nicht so die Dachauer: Sie selbst beschreiben sich als „furioses MassivJazzTechno-Ensemble mit einer Prise Wahnsinn, Swag und Glitzer“. Vor allem Letzteres nicht zu knapp: pinkfarbener Kaftan mit Goldlitzen für Sänger J. J. Jones, funkelnde Kappen und Jacketts, selbst das Schlagzeug flimmert lichtgrün. Der einzige, der schwarz trägt, ist Dirigent Jahn. Und Tenor, ganz in weiß. Jahn aka „Tornado Tom“ versprüht allerdings so viel Energie und Bewegungsdrang, der Glitzer würde untergehen. Und Multiinstrumentalist sowie Avantgarde-Pop-Musiker Tenor aus Finnland wirkt mit Ventilator neben Synthi, Saxophon und Querflöte selbst ohne Glitter wie eine Vision.
Auch was das Programm angeht, liegen Bigband und Tenor weit ab der Standards: Eigenkompositionen, Soul, Jazz, Techno, stimmlich begleitet von Jones satter, funky Stimme oder Jahns Sprechgesang, unterlegt vom Beat, dem verdammten, treibenden. Dazu die Kompositionen von Tenor, bei der „Call of the Wild“ heraussticht: Lautassoziationen von Tieren, aufgefangen von einem satten Bass, der am Ende wieder in der Wildnis versinkt. Nach dem Stück raunen vier Sekunden Stille – dann tosender Applaus.
Manches scheint improvisiert – ist aber perfekt durchkomponiert, was sich am ‚gemeinsamen Flötensolo‘ von Tenor und Band-Flötistin zeigt: wirkt wie Impro, aber wer könnte so synchron zu zweit improvisieren? Was die Bigband ausmacht, ist – neben der allgegenwärtigen Energie – das Zusammenspiel, das große Ganze. Oder wie Jones singt: „We‘re in this together“. Einige der Musiker hätten ihre ersten Töne bei ihm gespielt, erinnert Jahn. Für ihn sei die Band „ein Lotto-Sechser der tollen Menschen“.
Ein physikalisches Konzept hebeln Bigband und Tenor komplett aus: Zeit. Sie verschwindet. Nach dem letzten, Samba-angehauchten Song jubelt das Publikum. Und wer noch nicht tanzt oder zumindest wippt, den reißt der erste Zugabe-Takt von Tenors „Take me Baby“ aus dem Sessel. Noch eine Zugabe. „Der verdammte Beat“. Landsberger Donauwelle. Stabiles Gleichgewicht als Ekstase. Glänzendes Glück. „Nehmt die Energie in euren Herzen mit“, sagt Jahn, erschöpft, grinsend. Und nein, das wirkt tatsächlich in keiner Weise kitschig.