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Die Chirurgin fürs Stoffliche

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Von: Susanne Greiner

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Theresia von Waldburg Epfach Textilrestauratorin
Detailarbeit mit Pinzette und chirurgischer Gefäßnadel: Textilrestauratorin Theresia von Waldburg bei der Arbeit an einer Kasel, einem liturgischen Gewand. © ks

Epfach – Besucher des Märchenschlosses müssen sich gedulden: „Bis zum Sommer 2023 sind das Schlafzimmer, das Ankleidezimmer, das Wohnzimmer und die Grotte leider für den Besichtigungsbetrieb geschlossen“, ist auf der Neuschwanstein-Webseite zu lesen. Für Theresia von Waldburg gilt das nicht: Die Textilrestauratorin ist Teil des Fachbauleiterteams in Neuschwanstein. Sie legt fest, was an jedem Textil-Objekt gemacht werden muss und betreut die Arbeiten. „Eine unglaublich spannende Aufgabe“, schwärmt die 65-Jährige. Neben der wissenschaftlichen Arbeit zückt von Waldburg aber auch gerne und oft selbst Nadel und Faden. Ein Werkstattbesuch in Epfach.

Hinter der Garage liegt von Waldburgs Stoff-Reich: ein Anbau, dominiert von einem langen Tisch. Daneben Schränke mit reihenweise Schubladen, in denen sich Fadenrollen und Stoffe stapeln. Auf dem Tisch zwei Fahnen mit sakralen Motiven. Eine davon – ein Pelikan, der seine Jungen mit dem eigenen Blut füttert – hat von Waldburg gerade in der Mache. „Das sind Seidenfahnen aus den 1920ern. Und die Seide löst sich langsam auf.“ Fäden sind gebrochen, eine Bordüre zeigt Risse, an der Aufhängung prangt ein Loch. Es geht darum, die Fahne zu konservieren, damit sie weiterhin benutzt werden kann. Vor 60 Jahren dachte man noch anders: Was kaputt war, wurde neu eingesetzt. Wie die Flächen zwischen dem Pelikanmotiv, die eher an Sackleinen erinnern denn an feines Gewebe. „Dieses ‚Wiederherstellen‘ macht man leider auch heute noch“, weiß die Restauratorin. Am schnellsten geht‘s mit der Nähmaschine: „Die donnert durch das Gewebe wie ein Maschinengewehr.“

Dabei bringt die feine Stickkunst der Pelikan-Fahne von Waldburg ins Schwärmen: Handwerkstechnik, die teilweise „verlorengegangen“ sei. Zum Beispiel ‚Nadelmalerei‘, die Landschaften entstehen lässt, Kettenstiche, die die Pelikanfedern pludrig erscheinen lassen, oder die feine Silberstickerei, bei der über Papp- oder Schnur-Elemente genäht wird, um dreidimensionale Ranken entstehen zu lassen.

Pelikan-Fahne von Waldburg
Die Fahne mit dem Pelikanmotiv. © ks

Aber nicht nur das Sticken, auch die Restaurierung der Stickereien erfordert Präzision: „Für diese Arbeit braucht man Nadel, Faden, gute Augen und viel Geduld“, sagt von Waldburg. Wohl auch Leidenschaft und Ausdauer, wenn es darum geht, in unzähligen Färbe-Versuchen mit minutiös abgemessenen Farb­pigmenten und Essenzen – die jeweiligen Mengen hat von Waldburg fein säuberlich in ihrem persönlichen Färbebuch notiert – endlich den richtigen Ton für den Nähfaden zu erhalten. Oder um mit gebogenen chirurgischen Gefäßnadeln und einem Hauch von Seidenfädchen lose Zwirne mit Millimeterstichen zu fixieren. „Futzeln“, nennt die Restauratorin das.

Textilrestauratorin von Waldburg Detail
In präziser Millimeterarbeit hat von Waldburg über die Risse in der hellroten Seide einen feinen, bräunlichen Tüll zur Stabilisierung genäht. © ks

Kaspar Hausers Gewand

Neben sakralen Objekten oder textilen Ausstattungen alter Schlösser hat von Waldburg auch an Museums-Objekten gearbeitet. Zwei sind ihr besonders in Erinnerung: das Gewand von Kaspar Hauser, „mit der Stelle links, wo die Stichwunde war“. Und Priestergewänder aus dem KZ Dachau, Ornate, die sich die Geistlichen selbst genäht haben: „mit Material aus dem Kleiderlager. Und dann hat man ein Messgewand in der Hand, für das das Sommerkleid eines Kindes umgearbeitet wurde. Das greift einen an.“ Schwierige Momente, erinnert von Waldburg.

Die Textil-Leidenschaft packte die in Biberach geborene Restauratorin in den USA, wo sie nach dem Abitur ein Jahr bei einer Familie lebte. „Die Mutter war Papierrestauratorin. Ich habe immer ihre Fachzeitschriften gelesen – und bin an den Textil-Artikeln hängengeblieben.“ Es folgt eine Lehre zur Paramentenstickerin, dann drei Jahre Praktikum im Bayerischen Nationalmuseum: „Danach durfte ich loslegen.“ Restaurator ist kein geschützter Beruf, eine Standardausbildung existiert nicht. Inzwischen kann man Restaurierung aber studieren. Wer Textilrestaurator werden will, muss ein einjähriges Praktikum im Textilhandwerk vorweisen und kann sich dann an der Uni bewerben – was im deutschsprachigen Bereich allerdings nur in Köln, Bern oder Wien möglich ist.

Von Waldburg ist seit 1986 selbstständige Textilrestauratorin. Nicht immer leicht, sagt sie. Krankt die Wirtschaft, werde immer zuerst an der Kultur – und entsprechend ihrer Erhaltung – gespart. Außerdem waren da noch ihre zwei Kinder, die versorgt werden mussten. „Ich habe damals oft nachts gearbeitet.“

Die 65-Jährige ist eine der wenigen, die diese Profession ausüben. „In Bayern kann man die selbstständigen Textilrestauratoren an zwei Händen abzählen.“ Dabei sei Textilrestaurator eine gute Kombination aus wissenschaftlicher und handwerklicher Arbeit, inzwischen auch anständig bezahlt – und zunehmend gefragt. Denn an Nachwuchs fehle es auch hier. In Köln gebe es in manchen Jahren nur zwei Bewerber. Es mangele wohl an der Wertschätzung für Textil im Allgemeinen, sagt von Waldburg: „Wir müssen ja nichts mehr dafür zahlen. Und verlieren so jeglichen Bezug dazu.“

Sie selbst wird wohl in etwa zwei Jahren mit der Textilrestaurierung abschließen „und etwas Neues wagen“, sagt von Waldburg. Was genau, sei noch nicht spruchreif. Aber es wird wohl wieder etwas ‚Stoffliches‘ sein.

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