Was Heimat für die beiden bedeutet? „Verantwortungsgefühl und Liebe für die Wiesen, Felder, Wälder und Seen.“ Aber auch der Dialog und das Miteinander ist für sie Thema. Ein Bild, das immer wieder auftauche, sei aber das Marterl: das Kruzifix und die Heiligenfiguren an den Wegkreuzungen, die Wege und Bänke überall im bayerischen Oberland schmücken. Und weil Doepke und Beckenbauer in Windach und Utting auf wuchsen, in Landsberg und Dießen zur Schule gingen, hatten sie dieses Bild täglich vor Augen: Es prägte sich ihnen ein.
Obwohl sie selbst nicht religiös seien, wüssten sie deshalb dennoch um die damit einhergehenden „christlichen Werte und Narrative“. Feste und Feiertage seien christlich geprägt und „auch die Idee von Nächstenliebe, Fürsorge, Schuld und Reue“ durchziehe den Alltag vieler Bayern. „Kurz: Wir sind christlich sozialisiert“, sagen beide übereinstimmend. „Oft ohne es zu bemerken und ohne diesen Einfluss auf das eigene Selbstverständnis und die Selbstwerdung zu hinterfragen.“
So fiel Beckenbauer auf, dass in ihren Projekten immer wieder die Figur der Madonna auftauchte. Madonna symbolisiere für sie „bedingungslose Liebe, weibliche Stärke und Sanftheit“. Eigenschaften, die sie in der aktuellen globalen Politik vermisse.
Doepke hat in ihren Performances seit einiger Zeit das Thema Fürsorge (”Care-Arbeit”) ins Zentrum gestellt. Fürsorge sei für sie „Vernetzung und positive Abhängigkeit“ – und absolut „notwendig auf dem Weg hin zu einer offeneren und nachhaltigeren Gesellschaft“.
Mit ihren Marterl-Installationen wollen sie keine Wertung des Christentum aussprechen, sondern kritisch einen Fokus auf dessen Einfluss auf unsere Kultur legen, sagen die beiden Künstlerinnen. Es sei auch nicht beabsichtigt, „blasphemische Aussagen zu treffen“. Vielmehr liege der Schwerpunkt auf ihrem Respekt für Werte wie Nächstenliebe, Fürsorge und Besinnung und „ein sich Sträuben gegen Spießigkeit, Zugeknöpftheit und Vorurteile gegenüber dem Fremden“. Mit ihren Wegschreinen erzeugten sie „ermutigende Narrative, inspiriert von der christlichen Ästhetik“, die dem Betrachter einen „spielerischen Zugang“ zu den heute eher schwer mit konkretem Inhalt zu füllenden Begriffen Fürsorge und Nächstenliebe ermöglichen – „ohne Bilder von Schuld, Reue und Sühne“.
In den verzierten Marterlhäuschen sind deshalb keine Heiligenfiguren zu sehen. Sondern beispielsweise ein sich küssendes Paar unterschiedlicher Herkunft oder desselben Geschlechts. Die Keramik-Figuren provozierten somit Stereotype. Dass dabei der Kuss im Zentrum stehe , liege an dessen irrationaler, „nahezu magischer, sexueller und fürsorglicher“ Konnotation. Er bilde damit einen „Moment des Zeitverlustes. Er funktioniert ideell und intuitiv. Ein Kuss ist aufregend und geht nahe. Das geht den meisten schon beim Zuschauen so und ist daher ein starkes Mittel zur Kommunikation.“ So könne sich der Betrachter in seiner christlichen Ästhetik als Wesen mit Verlangen und Gefühlen akzeptieren. Was die Menschlichkeit des christlichen Narrativs zelebriere.
Diese von den Künstlerinnen intendierte Aussage stieß beim Schondorfer Gemeinderat aber auf Ablehnung. Einerseits sei man bei Aufstellungen in den Seeanlagen immer etwas vorsichtiger, betont der Zweite Bürgermeister Martin Wagner. Die Künstlerinnen hätten aber wegen ihres persönlichen Bezugs gerade zu den Seeanlagen eine Aufstellung dort gewünscht. Andererseits habe sich der Gemeinderat aber auch wegen des Inhalts mehrheitlich gegen die Marterl entschieden, informiert Wagner. Dennoch hat es eine der Figuren nach Schondorf geschafft: auf ein Privatgrundstück in der Bahnhofstraße, neben der dortigen Buchhandlung. Kunst setzt sich offenbar durch.