Landfrauen in Aschheim über Stress in der Landwirtschaft

Klimawandel, strenge Auflagen oder eine unsichere Zukunft für den Hof: Ihre Arbeit kann für Bauern heute schnell zur Belastungsprobe werden.
Aschheim – Bei der Gebietsversammlung in Aschheim erfuhren die Landfrauen, wie sie mit Überforderung umgehen können. Bettina Kammermeier und Heidi Perzl von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) referierten über Stress in grünen Berufen.
Nach 35 Jahren als Bauer rief er bei Heidi Perzl an. Den Tränen nahe. „Mir wird alles zu viel“, flüsterte er verzweifelt ins Telefon. Niemals hatte er eine Auszeit genommen. Der enorme Druck, der jahrelang von Politik, Familie und Gesellschaft auf den Landwirt einprasselte, hatte sich aufgestaut. Perzl leitete ihn an eine Klinik weiter, wo ihm geholfen werden konnte. Aber es muss nicht so weit kommen. Viel früher können Bauern den Mut aufbringen und den Arbeitsalltag umkrempeln.
Kampagnen für gutes Stressmanagement
20 Landfrauen versammelten sich zur Gebietsversammlung des Kreisverbandes München in der Sportgaststätte Tassilo in Aschheim. Darunter die Ortsverbände Aschheim, Dornach, Feldkirchen, Haar, Heimstetten und Kirchheim. Die Landfrauen wollen für das Thema Stress in grünen Berufen sensibilisieren. „Ein Bauer sagt nicht, dass er Stress hat“, sagt Kreisbäuerin Sonja Dirl. Stattdessen sagt er: „Mir wird’s zu viel“. Die Landfrauen haben deswegen die Referentinnen Bettina Kammermeier und Heidi Perl eingeladen, um über präventive Maßnahmen aufzuklären. Seit Jahren treibt die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) Kampagnen für gutes Stressmanagement voran. Die Zukunft kann Angst machen.
Optimismus ungetrübt
So düster, wie das Thema des Nachmittags scheinen mag, ist die Stimmung nicht. Vor dem Vortrag begrüßt Kreisbäuerin Sonja Dirl die Landfrauen mit Optimismus: „Wir Landwirte haben eine große Verantwortung. Wir sind zuständig für Lebensmittelproduktion, Klimaschutz und Energieproduktion.“ Der Absatz bei den Bioprodukten gehe weiter zurück. Oft würden die Leute bei den Lebensmitteln sparen, nicht aber am Urlaub und der Freizeit. Wo bleibt die Wertschätzung für gute Lebensmittel? „Wir haben Freude an unserer Arbeit auf dem Feld“, sagt Dirl. „Wir Bauern liefern die Lebensgrundlagen! Lasst uns diese Freude an die Bevölkerung weitergeben.“
Körbchen für den „bäuerlichen Hilfsdienst“
Währenddessen geht ein Körbchen für den „bäuerlichen Hilfsdienst“ herum. Darin sammeln die Landfrauen Geld für Landwirte, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind. Sei es Krankheit, Unfall oder Ernteausfall. Ganz unbürokratisch und anonym können die Bauern beim Bauernverband anrufen und kurzfristig um finanzielle Hilfe bitten.
Ein Hilferuf ist für niemanden einfach. Ob bei Geld oder Krankheit. Oft steckt Scham dahinter. Was sollen denn die Leute sagen? Viel zu spät rufen die verzweifelten Landwirte bei der SVLFG an. Sie berichten Perzl von Überforderung und Ausweglosigkeit. Die Arbeit auf dem Hof hatte immer Priorität. Bis irgendwann alles zu viel wird und nichts mehr geht.
Folge von Stress: Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Bluthochdruck
„Kurzfristig treibt uns Stress an und sorgt für effektives Handeln. Viel Kraft und wenig Hirn“, sagt Perzl. Nur langfristig könne Stress zur Dauerbelastung werden. Die Folge sind Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Bluthochdruck. Im schlimmsten Fall Herzinfarkt oder Schlaganfall. Es muss nicht so weit kommen. „Wenn ich merke, dass es mir gerade zu viel wird, muss ich mir bewusst Auszeiten nehmen“, rät Perzl. „Es reicht ein Spaziergang zur Kapelle am Waldrand oder eine Tasse Kaffee im Garten.“
Erholungsphasen sind ein Muss. Wenn auch das nicht mehr hilft, können Aufgaben abgeben werden. „Ich muss nicht alles allein machen“, sagt Perzl. Auch ein Urlaub könne helfen. Betriebshelfer übernehmen in dieser Zeit die Aufgaben auf dem Hof.
Manchmal Therapie notwendig
In schlimmeren Fällen bietet die SVLFG psychologische Begleitungen am Telefon und Online-Sprechstunden an. Manchmal brauche es aber eine längerfristige Psychotherapie oder gar eine Auszeit in der Klinik.
Die Ursachen für Stress sind vielfältig. Zukunftsängste, Familienstreit und Perfektionismus stehen ganz oben. „Die Eltern haben Angst, wie es mit dem Hof weitergeht“, sagt Perzl. „Nach der Hofübergabe will der Sohn alles perfekt machen.“ Das kann zur Dauerbelastung werden. Außerdem erfordert der Klimaschutz enorme Umbrüche. „Die vielen Vorschriften sorgen dafür, dass wir nicht mehr so frei sind wie früher“, sagt die Aschheimer Ortsbäuerin Anita Bomholzer.
Wie kann ich all diesen Erwartungen gerecht werden? Niemand müsse allein durch diese Zeit gehen. „Wenn euch auffällt, meiner Nachbarin geht’s gar nicht gut, dann geht aufeinander zu“, appelliert Perzl. Verständnis sei der erste Schritt, dem Thema Stress die gesellschaftliche Scham zu nehmen. Stattdessen müsse man den anderen klar machen: „Es ist okay. Ich kenne das auch.“
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