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Künstlerin über die „Letzte Generation“: „Ich habe Angst vor fanatischen Umweltschützern“

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Von: Max Wochinger

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Aktivisten der „Letzten Generation“ blockieren eine Straße am Münchener Hauptbahnhof.
Aktivisten der „Letzten Generation“ blockieren eine Straße am Münchener Hauptbahnhof. Im Streitgespräch diskutieren eine Künstlerin und eine Lokalpolitikerin über die Demonstranten: Ist der Protest legitim? © IMAGO/Alexander Pohl

Die Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ sorgen für Zündstoff. Der Münchner Merkur hat eine Künstlerin und eine Politikerin an einen Tisch geholt, um im Streitgespräch zu diskutieren: Ist der Protest legitim?

Aying – Klimaaktivisten kleben sich auf Straßen und an berühmte Gemälde. Es sind Demonstranten der „Letzten Generation“, die seit Wochen für Ärger sorgen. Ist ihr Protest legitim oder schaden sie damit der Bewegung? Wir haben zwei Ayingerinnen zum Streitgespräch ins Bräustüberl geladen: Die Pianistin Sophie Pacini (30) und die politische Referentin und Grünen-Gemeinderätin Christine Squarra (54).

Mal ganz grundlegend: Hat die Menschheit ein Klimaproblem?

Christine Squarra: Ja, es ist ein sehr drastisches Problem – und wir müssen unbedingt etwas machen. Vom Nichtstun wird es nicht besser.

Sophie Pacini: Stimmt. Wir haben zu lange geschlafen und die Lösung des Problems immer anderen überlassen. Es ist einiges nachzuholen – und das muss in einem schnellen Tempo passieren.

Macht die Regierung in Deutschland Ihrer Meinung nach zu wenig für den Klimaschutz?

Pacini: Es wird zu wenig Fokus auf das Problem gerichtet. Ich hoffe, dass die Regierung die Leute wachrütteln wird.

Squarra: Es wurde in den letzten Jahren viel auf die lange Bank geschoben. Die Schritte sind zu klein, weltweit und eben auch in Deutschland. Wir haben es ja in Ägypten bei der Klimakonferenz gesehen: Es ist lächerlich, was dort beschlossen wurde.

Bei Zerstörung hört für Christine Squarra der Protest auf, dennoch findet sie die Aktionen wichtig.
Bei Zerstörung hört für Christine Squarra der Protest auf, dennoch findet sie die Aktionen wichtig. © Max Wochinger

Die „Letzte Generation“ versucht mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten – mit Beschmieren und Festkleben an Gemälden. Ist das legitim?

Squarra: Es wurden bei den Protesten weder unwiederbringliche Kulturgüter zerstört noch Menschenleben bedroht. Sie haben mit dem zivilen Ungehorsam demokratische Protestmöglichkeiten nicht überschritten. Es ist auf alle Fälle legitim.

Pacini: Ich sehe es als einen Angriff auf die Kunst. Es geht bei dem Begriff Zerstörung nicht nur darum, dass ein Kunstwerk nach der Aktion noch in seiner Gänze existiert oder nicht. Für mich fängt die Zerstörung schon damit an, dass ein Museum schließen muss aus Angst vor diesen Protestaktionen. Was mich an der ganzen Sache so massiv stört, ist, dass ich in einem Umfeld unterwegs bin, das zu 95 Prozent Umweltorganisationen unterstützt.

Der Protest richtet sich ja nicht gegen die Kunst.

Pacini: Naja, doch. Es richtet sich gegen uns, weil diese Kunstform betroffen ist. Museen wurden deswegen geschlossen. Ich verstehe es nicht: Warum richtet man sich gegen die Kunst? Ich habe selbst durch die Kunst gelernt, die Natur zu schätzen, etwa als mir Monet gezeigt hat, wie viel Facetten ein Heuballen hat. Ich habe das Gefühl, dass die Kunst als Ziel verwendet wird, weil sie eine nicht besonders starke Lobby hat. Und ich denke, dass die Kunst für die Aktivisten eine unnötige Form des Luxus ist. Das heißt: Ich zerstöre etwas, das ohnehin viel zu viel Kohle kostet.

Als Angriff auf die Kunst sieht Künstlerin Sophie Pacini die Aktionen der „Letzten Generation“.
Als Angriff auf die Kunst sieht Künstlerin Sophie Pacini die Aktionen der „Letzten Generation“. © Max Wochinger

Denken Sie auch, dass die Aktivisten aus Kunstverachtung handeln?

Squarra: Nein. Ich habe mir am Anfang zwar auch gedacht, ob es nicht die Falschen trifft. Aber ich bin zu einem anderen Punkt gekommen. Sie haben in Ihrem Facebook-Post förmlich rausgeschrien: ‚Missbraucht nicht unsere Kunst!’ Aber warum posten Sie nicht: Zerstört nicht unsere Lebensgrundlagen! Das ist ein Missverhältnis – und das ist das Problem der Aktivisten. Und noch etwas: Ja, möglicherweise schließen Museen. Schützen wir aber unseren Planeten nicht, müssen die in Zukunft öfters schließen. Dann hat die Kunst auch nicht mehr ihren Freiraum, den sie braucht. Und genau das wollen die Aktivisten womöglich zeigen: Wie die Kunst ist der Planet mit diesen Lebensbedingungen eine einmalige Sache. Wenn jemand Kartoffelsuppe auf ein Gemälde schmeißt, sagt jeder: ‚Spinnt ihr?’ Wenn wir aber tagtäglich den Planeten zerstören, regt sich niemand auf.

Die „Letzte Generation“ fordert das Wiedereinführen des 9-Euro-Bahntickets und 100 km/h auf Autobahnen. Denken Sie, dass sie ihr Ziel erreichen?

Pacini: Ich habe das Gefühl, dass etwas aufgewühlt wurde bei Menschen, die total für den Klimaschutz sind. Warum muss ich denn in Gottes Namen ein Bild angreifen? Wir sehen ja, was dabei herauskommen ist: Meine Szene ist in geschlossener Form dagegen. Wir reden nur über die Aktionen, nicht über die Inhalte. Es wird eine maximale Entnervung hervorgerufen durch diese Aktionen.

Aufmerksamkeit ist ja das Ziel der „Letzten Generation“.

Pacini: Ja, aber ein kontraproduktiver Protest bringt auch nichts. Die „Letzte Generation“ muss halt zugeben: Wir haben eine Aktion versucht, der Schuss ist nach hinten losgegangen, jetzt muss ich mir was Besseres überlegen. Und was mich sehr umtreibt, ist die Angst vor fanatischen Umweltschützern.

Sie haben Angst, von Klimaschützern angegriffen zu werden?

Pacini: Ja, weil ich habe das Gefühl, dass hier eine Wut und Verachtung gegenüber der luxuriösen Kunstszene herrscht.

Frau Squarra, wo hört der Protest auf?

Squarra: Bei Zerstörung. Aus meiner Perspektive ist die Angst von Frau Pacini unbegründet, weil sich die „Letzte Generation“ klar davon distanziert. Zerstörung ist nicht deren Ziel. Die Angst der jungen Generation wird hingegen nicht aufgegriffen. Und die Angst kann ich verstehen.

Soll die Regierung auf die Forderungen der „Letzten Generation“ eingehen?

Pacini: Es wäre ein schwieriges Zeichen, dass man sich erpressen lassen kann. Nochmal: Die Aktivisten brauchen eine andere Protestform, um Politiker zu erreichen. Man muss die Politiker in ihren Wirkungskreisen treffen.

Die Angst der Klimaschützer kann Squarra verstehen.
Die Angst der Klimaschützer kann Squarra verstehen. © Max Wochinger

Squarra: Das Eine ist, zu sagen, dass man diese Protestform nicht in Ordnung findet. Das Andere ist, wie jetzt über die Aktivisten hergefallen wird. Der Protest wird als Ganzes diskreditiert, ohne darüber nachzudenken, warum er gemacht wird. Im schlechtesten Fall passiert halt einfach wieder nichts.

Pacini: Ich sehe einfach, dass gerade die Chance vergeudet wird, diejenigen ins Boot zu holen, die noch nicht vom Kampf gegen den Klimawandel überzeugt sind.

Squarra: Aber wenn man die Aktivisten fragt, sagen die wahrscheinlich, dass schon alles andere gemacht wurde, um die Leute zu überzeugen. Das Problem ist, dass bislang nur geredet wird.

Pacini: Ich habe einen Vorschlag: Die Pinakothek in München für einen Tag zu schließen, und dort eine Podiumsdiskussion zu machen. Es sollte der Kunstraum genutzt werden, um auf die Klimaprobleme hinzuweisen. Da würden viele Menschen hingehen.

Und Sie denken, die Aktion würde es auch in die Tagesschau schaffen?

Pacini: Jetzt kommen ja auch nur die negativen Schlagzeilen in die Tagesschau. Es hat nicht einer gesagt aus meinem Umfeld, dass diese Klimaproteste gute Aktionen waren. Ich habe auch das Gefühl, dass einige der Aktivisten nicht offen für einen Dialog sind, sondern einfach nur wo draufhauen möchten.
Squarra: Den Aktivisten geht’s nicht ums Kaputtmachen.

Pacini: So ist es aber nicht in der Gesellschaft angekommen.

Squarra: Ja, es gibt ein Problem der Kommunikation bei der Letzten Generation. Pacini: Ich denke, man wäre auch in die Tagesthemen gekommen, wenn man sich nackt ins Museum gestellt hätte. Dafür muss ich nicht Kartoffelbrei auf einen van Gogh schmeißen.

In der BMW-Welt in München hatten sich Wissenschaftler an ein Auto geklebt. Ist der Protest so besser adressiert?

Pacini: Ich bin gegen jede Form der Zerstörung als Protest. Ich bin ein Fan des Miteinanders. Und wir erreichen die Menschen nur, wenn man sie mit Positivität umgibt. Mit noch mehr Negativität kommt im Kopf nichts mehr an, da ist tote Hose. Auf der Bühne kann ich als Künstlerin zeigen, was ich schon selbst für den Klimaschutz gemacht habe.

Squarra: Da muss ich jetzt einhaken. Das Mantra, ‚Jeder kann was tun’, ist nicht immer von Vorteil. Das Ziel sind die großen Hebel, die Politik. Es geht um den Druck, der am Ende in der Politik ankommen muss.

Pacini: Wir haben ja gemerkt, dass wir die Politik mit radikalen Aktionen nicht erreichen. Ist die Antwort jetzt noch radikalere Aktionen?

Squarra: Naja, zumindest reden wir wieder über den Klimaschutz. Während Corona haben wir nicht über das Thema Klima gesprochen.

Pacini: Die Proteste treffen die Menschen gerade auf den falschen Fuß. Viele Menschen machen sich Sorgen um ihre finanzielle Zukunft und um ihre Arbeit. Immer nur draufzuhauen, damit erreicht man vielleicht auch nur den gegenteiligen Effekt.

Angst vor Angriffen durch Klimaschützer hat Pacini.
Angst vor Angriffen durch Klimaschützer hat Pacini. © Max Wochinger

Sie denken, dass man die Menschen im Augenblick nicht erreichen kann – egal mit welchem Protest?

Pacini: Ich befürchte, dass im Moment so viele Probleme zusammenkommen, dass die Umwelt leider ins Hintertreffen geraten ist, und dass wir mit noch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema, das genaue Gegenteil erreichen.

Squarra: Aber Klimaschutz ist immer noch das oberste Thema.

Pacini: Ja, aber man muss auch verstehen, wann der Zeitpunkt für Proteste richtig ist, um etwas zu erreichen. Die Bereitschaft ist jetzt nicht da.

Squarra: Das sehe ich anders. Wegen der Letzten Generation ist das Thema wieder auf dem Tisch. Später können wir in Deutschland vielleicht auch inhaltlich reden.

Was wäre der ideale Protest für mehr Klimaschutz?

Squarra: Vielleicht, wenn sich die Kunst mit der „Letzten Generation“ zusammentut.

Pacini: Ja, man kann als Künstlerin vor der Zugabe über den Klimawandel sprechen. Wir müssen unser Publikum – und in Ihrem Fall Wähler – mobilisieren. Aber wir müssen uns damit abfinden, dass die Klimaziele nicht so schnell zu erreichen sind, wir haben auch den Krieg an der Backe. Man darf keine Zielsetzungen haben, die irrational sind.

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