Nach Youtube-Video: Hetzjagd auf Unschuldige

Aying - Ein Internetvideo schockt die Welt: Eine unbekannte Frau wirft vor der Kamera Hundewelpen in einen Fluss. Jetzt wurde eine 18-Jährige aus Bayern als Täterin denunziert. Laut Polizei ist sie völlig unschuldig. Doch die Hetzjagd hat begonnen.

Panisch fiepsen die winzigen Hundewelpen, sie sind wie Abfall in einen weißen Eimer gestopft. Abgestellt zwischen Bäumen, irgendwo an einem Flussufer. Eine junge Frau, blonde Haare, roter Kapuzenpulli, greift in den Eimer, packt eines der offenbar erst wenige Wochen alten Babys. Dann holt sie aus - und schleudert den Welpen in den Fluss. Grausige Bilder, die weltweit Entsetzen auslösen.

Die Tierschutzorganisation Peta lobt eine Belohnung von 1000 Euro für Hinweise auf die Täterin aus. Auf der Internet-Plattform facebook entstehen Gruppen, dort wird offen mit Gewalt gedroht. „Wenn ich die wirklich treffen würde, könnte ich für nix garantieren“, schreibt eine Nutzerin. Es ist einer der harmlosesten Kommentare. Erste Spekulationen kursieren, wer das blonde Mädchen sein könnte. Die Hetzjagd hat begonnen.

Dann taucht plötzlich eine Entschuldigung auf: „Mein Name ist Melanie S. (Name geändert), und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen“, steht auf Englisch im Internet. „Die Welpen gehörten meiner Großmutter und sie befahl mir, sie loszuwerden.“ Kurz darauf finden sich sogar Kontaktdaten von Melanie S. im Netz, Anschrift, E-Mail-Adresse, Telefonnummer. Hat man die Täterin tatsächlich gefunden?
„Das Mädchen auf dem Video ist definitiv nicht Melanie S.“, betont der Münchner Polizeisprecher Peter Reichl. „Da gibt es keinen Zweifel.“ Doch der wütende Protest ist nicht mehr zu stoppen. Die Angriffe auf Melanie S. beginnen. Die 18-Jährige lebt in Aying (Kreis München). Das Telefon steht nicht mehr still. Völlig fremde Menschen rufen an, beschimpfen sie, drohen, sie zu töten. Die Familie sucht verzweifelt Hilfe bei der Polizei.
Irgendwann hat der Vater es satt: Wer Melanies Nummer wählt, bekommt nur noch eine Ansage vom Band zu hören: „Hiermit stellen wir klar, dass es sich bei dem im Internet veröffentlichten Video nicht um unsere Tochter handelt“, tönt es vom Anrufbeantworter. „Hier hat jemand in böser, ja krimineller Absicht Melanie schaden wollen.“ Die Familie erstattet Anzeige. „Das Mädchen ist erstmal weggefahren, um Abstand zu gewinnen“, sagt Reichl. Zudem habe man Schutzmaßnahmen ergriffen. Was genau das bedeutet, will Reichl aus ermittlungstaktischen Gründen nicht verraten. Für Melanie ist das alles „unheimlich belastend“.
Die Beamten ermitteln jetzt in drei Richtungen: Erstens gegen die Drohanrufer. Zweitens wegen „falscher Verdächtigung“ gegen den Unbekannten, der Melanie mit der angeblichen Entschuldigung denunziert hat. Und drittens gegen das Mädchen aus dem Video. Es gebe Hinweise, dass es in Bosnien-Herzegowina entstanden ist.
Kurze Sprachfetzen sind zu hören - jetzt analysieren Spezialisten der Polizei das Material. Dabei müssen die Fachleute auch klären, ob das Video überhaupt echt ist. Das Mädchen scheint zwar tatsächlich Welpen aus dem Eimer zu nehmen und zu werfen, doch dann verschwinden die Hunde jedes Mal aus dem Bild. Ob es wirklich die Welpen sind, die ins Wasser fallen, ist nicht sicher.
Ob die Polizei die wahre Täterin und den Denunzianten tatsächlich findet, ist fraglich. Doch nicht unmöglich. Jeder Computer, mit dem man ins Internet geht, hinterlässt eine IP-Adresse - sozusagen ein individuelles Nummernschild für den PC. Der Internet-Betreiber kann anhand dieser Nummer Rückschlüsse auf den Nutzer ziehen. Doch wer sich auskennt, kann mit Tricks seine IP-Adresse verschleiern.
Das alles ist wenig Trost für Melanie S., die unschuldig Ziel einer wirren Hetzkampagne wurde.
Thomas Schmidt