Elektrisiert vom neuen Leben: Flüchtling macht mit 45 eine Ausbildung

Rashid Kallon musste seine Heimat Sierra Leone verlassen. Seit September vorigen Jahres macht er eine Ausbildung bei einem Elektrobetrieb in Feldkirchen. Sein Chef ist zufrieden mit ihm.
Feldkirchen/Kirchheim – Rashid Kallon nimmt einen elektrischen Bohrhämmer, schaltet ihn an und geht auf die Betonwand vor ihm zu. Auf Knopfdruck wird es laut. Langsam schneidet er Schlitze an der Wand entlang. In den Fugen wird er später die Kabel für die Elektroinstallation verlegen. „Er macht sich schon ganz gut“, sagt Peter Gür. Er und sein Lehrling sind ein eingespieltes Team.
Seit Rashid Kallon (45) vorigen September seine Ausbildung begonnen hat, ist die Elektrofirma Gür aus Feldkirchen ein Zwei-Mann-Betrieb. „Mein Chef ist supergut“, sagt Kallon. „Er findet immer einen Weg zu helfen.“ Gür unterstützt seinen Lehrling. Auf freie Baustellenwände schreiben sie manchmal mathematische Formeln. Bei der Elektroinnung bekommt Kallon seit März Nachhilfe. Für den Sommer ist ein weiterer Deutschkurs geplant. „Er ist ehrgeizig und will es unbedingt schaffen“, sagt Gür.
Neues Leben aufgebaut
Kallon kommt aus Sierra Leone. 2015 musste er als politischer Flüchtling sein Land verlassen. Seine Kinder blieben zurück. In Deutschland hat er sich mit seiner Frau Ada (36) ein neues Leben aufgebaut. Kallon arbeitete als Hilfsarbeiter in mehreren Betrieben. Unter anderem bei Peter Gür. Letztes Jahr entschied er sich für eine Ausbildung zum Elektroniker. Den Vertrag mit Gür hatte er bereits unterschrieben, als die Ausländerbehörde ihm im April ’22 die bisherige Aufenthaltserlaubnis entzog. Die Identität von Kallons Frau hätte nachgewiesen werden müssen. Davon wussten weder er noch der Helferkreis. Am Ende stand ein Kompromiss: Kallon durfte zur Deutschen Botschaft nach Ghana reisen und dort ein Ausbildungsvisum abholen. Mit kurzer Verzögerung begann Kallon Ende September die Lehre.

Heute ist er glücklich. „Arbeit ist Arbeit“, sagt Kallon und lacht. Trotzdem mag er seine Ausbildung. Wände stemmen und anschließend die Kabel verlegen, das macht er am liebsten. Das kenne er von seiner Hilfsarbeitertätigkeit in Sierra Leone. Nur jetzt eben professionell unter den Argusaugen seines Chefs, gepaart mit dem Theorieteil in der Berufsschule. Anfangs musste Gür seinen Lehrling bremsen. Für ein 10-Millimeter-Kabel brauche es keinen 5-Zentimeter-Schlitz. „Manchmal träumen wir ein bisschen, dass ich den Laden mal übernehme“, sagt Kallon und schmunzelt. Auch Gür muss lachen. Der Ehrgeiz sei da bei seinem Lehrling.
Der Älteste in der Klasse
Eine gute Stunde braucht Kallon mit der S-Bahn von seinem Wohnort Kirchheim bis zur Berufsschule in Langwied. „Anfangs war es schwer“, sagt er. „Ich kann alles lesen, aber das Verstehen ist ein Problem. Bei Tests lese ich die Fragen, aber weiß nicht, wie ich antworten soll.“ Kallon ist der Älteste in der Klasse. Selbst die Lehrer sind jünger. Viele der 25 Schüler haben einen Migrationshintergrund. Kallon ist jedoch der einzige Flüchtling. „Die Lehrer und Mitschüler sind super und geduldig“, sagt er. Sie ermuntern ihn dazu, bei Fragen jederzeit nachzuhaken. Nach dem Unterricht darf er auf die Lehrer zukommen. Obwohl ihm die Sprache noch Schwierigkeiten bereitet, ist sein Lieblingsfach Deutsch. Es ist wohl die größte Hürde.
Der Helferkreis war beim letzten Elternabend in der Schule. „Wir wollen zeigen, dass Rashid nicht allein ist“, sagt Gnuschke. „Er hat jemanden, der hinter ihm steht.“ Rashid muss die Prüfung in drei Jahren bestehen. Nur dann verlängert die Ausländerbehörde seine Aufenthaltserlaubnis. Die Ausbildung sichert ihm ein Aufenthaltsrecht bis zum 28. Februar 2026. Er hat keinen Flüchtlingsstatus mehr. „Kallon ist sehr fleißig“, sagt sein Berufsschullehrer Simon Mayr. Dennoch sei er gefährdet. Die Pünktlichkeit sei ausbaufähig. Doch Mayr glaubt an seinen Schüler. Noch sei Zeit, die Sprachbarriere zu überwinden.
„Er ist wie mein Vater“
Der Helferkreis unterstützt den 45-Jährigen weiterhin. Auf Rat des Lehrers bekommt er ein Tablet geliehen. Gnuschke unterstützt Kallon, wo er kann. „Er ist wie mein Vater“, sagt Kallon. Der Helferkreis setzt sich auch für Kallons Frau Ada (36) ein. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist bisher noch nicht gesichert. Auch auf der Suche nach einer Wohnung für das Ehepaar hilft Gnuschke mit. Mit einem Ausbildungsgehalt im Münchner Raum ist das schwierig.
Kallon kann sich vorstellen hier zu bleiben: „Kirchheim ist superschön. Die Leute sind nett.“ Seiner Frau bringt er gerade das Radfahren bei. Ansonsten bleibt wenig Zeit für Freizeit. Wenn er nicht lernt oder arbeitet, trägt er für die Firma „Ups“ Pakete aus. Seine Kinder und seine Mutter fehlen ihm. Trotz der täglichen Telefonate. Irgendwann wird er sie wieder in die Arme schließen. Bis dahin ist das Bestehen der Abschlussprüfung sein großes Ziel.
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