„Unvergessen“: Aus dem Leben der Amoklauf-Opfer

Taufkirchen/Unterhaching – Das Leben der Opfer vom OEZ-Amoklauf beleuchten Gymnasiasten in einem Film. Sie lassen dafür Angehörige zu Wort kommen, auch von Dijamant aus Oberschleißheim.
„Ich will, dass das nie, nie, nie vergessen wird.“ Margareta Zabergja, 28, richtet ihre haselnussbraunen Augen zu Boden, schweigt mit trauriger Miene. Szenenwechsel. Flackernde Grabkerzen, viele nebeneinander, abgestellt vor dem OEZ in München. Dazu singt Kaleo „Way down we go“. Laut, stark, eindrücklich.
Es sind emotionale 1:30 Minuten, die unter die Haut gehen. Der Trailer, der schon im Internet zu sehen ist, gibt einen Vorgeschmack auf den Film, mit dem sechs Zehntklässler vom Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching die Geschichten der jungen Menschen erzählen, die bei dem Amoklauf genau heute vor einem halben Jahr aus dem Leben gerissen wurden. Ein Film über Jugendliche, „die dieselben Wünsche, Träume und Hoffnungen hatten wie wir“, sagt Jungfilmer Alex Spöri.
Über den Täter wurde viel gesprochen, über die Opfer weniger. Ihre Geschichten wollen Alex (16), Luca Zug (16), Leon Golz (15), Julian Heiß (16), Colin Maidment (17) und Paul Schweller (15) nun erzählen. Oder erzählen lassen.
Unter anderem von Margareta Zabergja. Sie gibt den Zuschauern Einblicke in das Leben ihres Bruders Dijamant (21) aus Oberschleißheim. Er wurde vor einem Sportgeschäft im OEZ erschossen, war eines der neun überwiegend jungen Opfer. Seine Schwester zeigt im Film, wie Dijamant lebte, wen er liebte, wann er lachte. Unvergessen bleibt ihr Bruder, unvergessen der Amoklauf. „Unvergessen“ heißt der Film.
Es ist das dritte Projekt der „MovieJam Studios“ um Alex und Luca. Mit einer Dokumentation über das Olympia-Attentat 1972 und über das bayerische Bildungssystem waren die Jungfilmer erfolgreich, zeigten beide im Mathäser-Filmpalast. „Olympia ’72“ wurde zu Münchens zweitbestem Jugendfilm gekürt.
Doch „in dem aktuellen Film steckt ein ganz anderer Aufwand als in unseren vorherigen Projekten“, sagt Alex. Ein deutlich größerer mit professionellerer Technik, längerer Recherche und einem viel sensibleren Thema. „Der Film soll im Sinne der Angehörigen sein“, betont Paul, eines der neuen Filmcrew-Mitglieder. So durfte Margareta Zabergja das Interview sehen und entscheiden, was im Film zu sehen sein soll und was nicht. Als die Filmemacher die Schwester von Dijamant trafen, „war es ein seltsames Gefühl“, erzählt Leon. „Man merkte, wie tief das Erlebte noch sitzt.“
Sehr lange haben die sechs Schüler überlegt, welche Fragen sie den Menschen stellen, die vor kurzem einen engen Angehörigen verloren haben. Denn „sie sollen sich einerseits öffnen und etwas über den Menschen erzählen, aber es darf ihnen auch nicht zu viel werden“, beschreibt Paul die Schwierigkeit. Bei Margareta Zabergja haben die Filmemacher die richtigen Worte gefunden.
Eine Stunde Interview sind aufgenommen, ebenso wie ein Gespräch mit Peter Zehentner, dem Leiter des Münchner Kriseninterventionsteams. Auch Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins hat zugesagt, zudem haben die Schüler Kontakt zu weiteren Angehörigen. Gerne würden sie auch Einblicke in das Leben von Can (14) geben, der die Mittelschule Taufkirchen besuchte.
Der Film besteht aus „70 Prozent Dokumentation und 30 Prozent cineastischem Teil“, verrät Leon. Der szenische Einstieg wird mit Schauspielern des Residenztheaters gedreht, auch eine eigene Filmmusik gibt es. Die steuert Komponist Arno Brugger bei. Unterstützung bekommt das Team zudem von Filmemacher Rodney Sewell und weiteren Profis. Das Netzwerk der Schüler wächst mit jedem Film.
„MovieJam Studios“ nimmt die Zuschauer in „Unvergessen“ an die Hand. Szenen mit Angehörigen sind in Orange-Tönen gehalten, „weil sie Wärme und Emotionalität ausstrahlen“, erklärt Leon. Beiträge von Helfern und Augenzeugen werden in Blautönen gezeigt. Sie symbolisieren einen größeren Abstand zum Ereignis.
Beispielsweise die Szenen mit Marcus Gloria da Martins. Mit ihm wollen die Filmemacher auch über das Motiv des Täters sprechen. Handelte er aus Fremdenhass? Denn: Ein Großteil der Opfer hatte Migrationshintergrund, sieben waren Muslime. Dijamant kam aus dem Kosovo, hatte schwarze Haare und braune Augen. Wie seine Schwester. Sie sagt im Film: „Ich werde das nie abhaken können.“ Dann senkt sie wieder die Augen.