Experte warnt vor Cannabis-Konsum: „Jugendliche können sich dumm kiffen“

Kiffer werden immer jünger, das Gras immer stärker: Welche Gefahren Cannabis, gerade für Jugendliche, birgt, erklärt der Chefarzt für Suchtmedizin und Psychotherapie am kbo.
Haar/Landkreis – Etwa zwei Mal am Tag erwischt die Polizei im Landkreis eine Person beim Kiffen oder unter Cannabis-Einfluss. Kiffen macht den Großteil der Drogenstraftaten im Landkreis aus, die Gesamtzahl wächst (siehe unten). Und auch die Stärke der Drogen nimmt zu: Sie hat sich in den vergangenen Jahren fast verdreifacht. Ulrich Zimmermann, Chefarzt der Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie am Isar-Amper-Klinikum in Haar, erklärt, warum Cannabis gerade für Jugendliche ein großes Problem sein kann, welche Folgen es gibt und mit welchen Tricks die Klinik Süchtigen hilft, wenn das Verlangen wieder zu groß wird.
Herr Zimmermann, was macht der Cannabis-Inhaltsstoff THC mit den Menschen?
THC ist der Hauptinhaltsstoff, wegen dem Menschen Cannabis rauchen. Er erzeugt kurzfristig einen Rausch.
Welche Folgen kann THC haben?
Schädliche. Allen voran, dass man davon süchtig werden kann. Darüber hinaus kann THC Psychosen auslösen, etwa Wahnvorstellungen oder Halluzinationen. Das geht so weit, dass Betroffene auf diese Vorstellungen reagieren, andere Leute angreifen oder denken sie werden verfolgt.
Wie weit kann das gehen?
Ich habe schon einige Leute auf Intensivstationen gesehen, die aus dem dritten Stock gesprungen sind, weil sie dachten, im Zimmer ist ein Dämon.
Treten die Psychosen nur bei dauerhaftem Konsum auf?
Nein. Das hängt nicht zwingend von der Dauer ab, sondern davon, wie viel man konsumiert und wie hoch der THC-Anteil ist. Im wesentlichen ist aber die Empfindlichkeit des einzelnen Menschen verantwortlich. Es gibt Leute, die bekommen nie eine Psychose und andere bekommen sie relativ regelmäßig.
Gibt es auch Langzeitfolgen?
Ja, Schwung, Antrieb und planerisches Handeln werden gestört. Das Gedächtnis kann beeinträchtigt werden. Das sorgt vor allem bei jungen Leuten dafür, dass sie nichts mehr machen, in ihrem Zimmer abhängen, kiffen und ihr Leben völlig versandet.
Macht es einen Unterschied, ob man früher oder später anfängt zu kiffen?
Es ist ein Riesenunterschied, ob man als Jugendlicher oder junger Erwachsener anfängt, oder als Erwachsener.
Warum?

Wenn man viel Cannabis konsumiert, stört das die Entwicklung des Gehirns. Da kann es sein, dass man dauerhafte Schäden davonträgt, auch den IQ betreffend. Das wird auch nicht besser, wenn man später wieder aufhört. Das bleibt so. Ein Vergleich: Wenn es auf ein Dach regnet, passiert nichts. Regnet es aber in einen Rohbau, geht alles kaputt. Das ist ein Riesenunterschied. Dazu kommt, dass Cannabis bei Jugendlichen anders wirkt. Sie spüren nicht so viel. Und Jugendliche heißt hier bis 21, 22 Jahre. Erst dann ist das Gehirn voll ausgebildet. Sie können sich also wirklich dumm kiffen.
Welche unmittelbaren Auswirkungen kann Kiffen auf junge Menschen haben?
Es macht Jugendliche impulsiver. In der Pubertät macht man Blödsinn, ohne darüber nachzudenken. Und das wird durch Cannabis verstärkt. Ein Erwachsener der kifft, macht auch Quatsch, aber längst nicht so impulsiv.
Woran erkennt man, dass jemand abhängig ist?
Das hängt nicht mal von der Häufigkeit und der Menge ab, sondern davon, welche Folgen es auf das Leben hat. Ob sich das schädlich auswirkt und man es noch kontrollieren kann. Hab ich die Kontrolle, ob und wie viel ich konsumiere? Bei jungen Leuten merkt man das oft am Geld. Wenn man alles für Cannabis ausgibt, das ist ein Zeichen. Oder wenn ich kiffe obwohl ich weiß, ich muss fahren. Kriege ich Freunde, Schule, Sport und Beziehungen noch hin oder wird das so beeinflusst, dass mich der Partner sitzen lässt?
Ist es einfacher mit dem Kiffen aufzuhören, als bei anderen Drogen?
Ich würde sagen, eher schwerer. Beim Kiffen gibt es oft keine unmittelbaren Begleiterscheinungen. Bei Speed zum Beispiel ist man einfach platt, wenn man drei Tage durchgefeiert hat. Das gibt es beim Kiffen nicht.
Ist Cannabis deshalb für viele die Einstiegsdroge?
Einstiegsdroge suggeriert, ich fange mit etwas an, bei dem ich denke, dass es harmlos ist, und rutsche deshalb in eine Drogenkarriere hinein. Ich glaube nicht, dass es so ist. Jemand der auf eine Suchtkarriere zusteuert, der hat die Voraussetzungen dafür schon, bevor er das erste Mal raucht, trinkt oder kifft. Und: Die Einstiegsdroge ist definitiv Tabak. Bevor jemand kifft, hat er immer schon geraucht.
Und es ist leicht an Cannabis ranzukommen.
Ja, es ist am weitesten verbreitet. Man bekommt es mehr oder weniger überall, an bestimmten Stellen am zuverlässigsten.
Es gibt ja auch immer wieder Stimmen, Cannabis sollte legalisiert werden. Würde das den Reiz reduzieren?
Das glaube ich nicht. Jugendliche probieren alles aus, der Reiz bliebe bestehen.
Aber es gäbe Vorteile.
Wenn man das mit Aufklärung verbinden könnte, ja. Dass Jugendliche wissen, das ist nichts für mich, das ist wirklich gefährlich für mich. Wenn es Präparate sind, die nicht so brutal schädlich sind – verbunden mit den Hinweisen, was vernünftig ist und was nicht.
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Wenn jemand süchtig ist. Wie hoch ist die Hürde, dass die Leute zu Ihnen kommen?
In der ambulanten Behandlung kommen die meisten freiwillig. Im Krankenhaus haben wir auch viele Patienten, die gegen ihren Willen da sind. Wenn das Cannabis mal wieder eine Psychose ausgelöst hat und sie randalieren, kommen sie auf richterlichen Beschluss.
Wie sieht eine stationäre Therapie aus?
Da geht es auch bei Cannabis um einen Entzug. Man weiß auch erst seit kurzer Zeit – seit es diese wahnsinnig starken Konstellationen gibt –, dass es bei Cannabis einen körperlichen Entzug gibt. Da hilft es vielen Leuten schon, wenn sie hier bei uns unter einer Art Käseglocke sind und nicht ohne Weiteres der Verführung erliegen können.
Wie kann das Verlangen nach Cannabis unterbinden?
Man muss das Gehirn stärken, dass es die Kontrolle behält. Bei Suchtdruck hilft oft schon Ablenkung. Da geben wir Leuten Tricks an die Hand.
Können Sie einen Trick erklären?
Das Fiese bei Suchtdruck ist, dass das, was man sich in einer ruhigen Minute vorgenommen hat, einfach weg ist. Deshalb schreiben wir einen Notfallplan, einen sogenannten Notfallkoffer, auf. Da stehen etwa drei Nummern drauf, die man anrufen kann. Mit diesen Leuten hat man vorher besprochen, was zu tun ist. Sie reden mit einem, kommen vorbei oder laden zu sich ein. Wenn die nicht erreichbar sind, hat man sich im vorhinein überlegt: Was hilft mir? Viele reagieren sich körperlich ab: Sie gehen laufen oder hauen auf einen Boxsack ein. Es kann aber auch einfach Musik sein. Es muss etwas sein, das immer funktioniert. Und zwar zuverlässig.
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Statistiken zu Drogenstraftaten
934 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gab es 2018 im Landkreis München. In drei Viertel der Fälle handelte es sich laut Statistik des Polizeipräsidiums München um Cannabis. Obwohl es sich hierbei um eine vermeintlich eher harmlose Einstiegsdroge handelt, geht auch von Cannabis eine Gefahr aus. Denn die Konzentration an Tetrahydrocannabinol, kurz THC, ist im Landkreis in den vergangenen Jahren von acht bis zehn auf bis zu 30 Prozent gestiegen.
Auffällig ist, dass im Vergleich zu München der Anteil der unter 21-Jährigen Betäubungsmittelkonsumenten deutlich höher liegt: Bei 38,7 Prozent. 27,7 Prozent der Cannabis-Delikte wird von Jugendlichen begangen, ebenfalls deutlich höher als in München (elf Prozent). Das erklärt die Polizei damit, dass es im Landkreis bei Jugendlichen häufig bei einem Erstverstoß bleibt. Positiv ist, dass im vergangenen Jahr kein Landkreis-Bürger wegen Rauschgift gestorben ist und der Anteil harter Drogen gering bleibt.