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Kirchheimer (24) rettet Geflüchtete aus Booten: „Nicht immer können wir sie mitnehmen“

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Von: Ilsabe Weinfurtner

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Manuel Spagl hat etliche Flüchtlinge aus überfüllten Booten gerettet.
Manuel Spagl hat etliche Flüchtlinge aus überfüllten Booten gerettet. © Fabian Melber

Manuel Spagl (24) aus Kirchheim ist mit der Sea Watch auf dem Mittelmeer unterwegs, um Geflüchtete zu retten. Er spricht über seine Einsätze, was sie mit ihm machen und diesen einen, schrecklichen Gestank.

Kirchheim – Schlauchboote, übervoll mit Menschen, deren Gesichter gezeichnet sind von Angst, Not und Entbehrungen. Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben zu Flüchtlingen geworden sind und sich unter lebensgefährlichen Umständen auf den Weg übers Meer gemacht haben: Bilder, die Manuel Spagl aus Kirchheim nicht nur aus den Medien kennt. Er hat Menschen aus Booten geholt, aus dem Wasser gezogen. Er hat sie sterben sehen. Manuel Spagl (24) ist als Crew-Mitglied auf der „Sea Watch 2“ gefahren, einem Schiff der gemeinnützigen Organisation „Sea Watch“, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet. Ein Engagement, das den Medizinstudenten und Rettungssanitäter nicht mehr loslässt.

Herr Spagl, man hat den Eindruck, die Zahl der Flüchtlinge ist stark zurückgegangen. Dennoch wollen Sie ab dem 26. Juni wieder hinaus aufs Meer.

Manuel Spagl: Natürlich gibt es in diesem Jahr bisher weniger Menschen, die fliehen, als etwa 2015 und danach. Aber man sollte sich nicht täuschen: Die „Sea Watch 3“, das jüngste Schiff der Organisation, hat allein von November 2017 bis Januar 2018 rund 1500 Menschen gerettet. Und es hängen noch viele Hunderttausende in Libyen fest.

Sie selbst sind bereits 2016 und 2017 im Einsatz gewesen.

Spagl: Damals war die Situation eine ganz andere. Es gab viel mehr Flüchtlingsboote, aber auch viel mehr Küstenwachen, Kriegsschiffe und Schiffe zahlreicher NGOs (Nichtregierungsorganisationen, Anmerkung der Redaktion), die die Geflohenen versorgt oder auch an Bord genommen haben. Immer wieder waren mehrere Tausend Menschen im Wasser. Die Helfer sind an ihre Grenzen geraten. Oft konnte man einfach nichts mehr tun.

Hungerstreik als Initialzündung

Gab es einen Moment in Ihrem Leben, der die Initialzündung war für dieses Engagement?

Spagl: Ich arbeite schon länger politisch. Zu Beginn meines Studiums in Mannheim habe ich mich bei „Medinetz Rhein-Neckar“ engagiert. Dort werden Flüchtlinge, die gesundheitliche Probleme haben, an Mediziner vermittelt. Aber der vielleicht wichtigste Moment für mich war der Hungerstreik von Flüchtlingen 2013 auf dem Rindermarkt in München. Kurz davor hatte ich einen jungen Iraner kennengelernt. Anfang 2016 habe ich mich bei „Sea Watch“ beworben. Im August 2016 bin ich das erste Mal mitgefahren.

Wie läuft ein Einsatz?

Spagl: Wir kreuzen etwa 24 Seemeilen vor der libyschen Küste. Mit Radar und Fernglas wird ab etwa 5 Uhr an der höchsten Stelle des Decks Ausschau gehalten. Es gibt Tage ohne Boote. Oder das Wetter ist schlecht. Wenn wir etwas entdecken, lassen wir unsere Boote ins Wasser und fahren auf die Menschen zu. Meist sitzen die Flüchtlinge in Schlauchbooten, zwei Meter breit und elf Meter lang. Im Schnitt sind es 100, die Männer auf den Seiten, Frauen und Kinder auf dem Boden. 

Das ist schlimm, denn dort schwimmt eine Brühe aus Diesel, Meerwasser und Fäkalien. Ein ekeliges, stinkendes Gemisch. Der Boden der Boote ist aus Holz, meistens schon kaputt. Es gibt Boote mit 140 Insassen. Auch von 198 habe ich schon gehört, die mit einem Schlauchboot aufs Meer hinaus sind. Meist geht irgendwann der Motor kaputt oder der Sprit ist alle.

Manuel Spagl (24).
Manuel Spagl (24). © Fabian Melber

Wenn Sie zu einem der Boote kommen, wie verhalten Sie sich?

Spagl: Da muss man sehr behutsam sein. Ruhe in die Situation bringen. Die Verständigung läuft auf Englisch oder Französisch. Denn die meisten kommen aus West- oder Ostafrika, aber auch aus Pakistan und Bangladesch. Ich stelle mich vor, gebe Schwimmwesten aus. Nicht immer können wir die Menschen gleich mitnehmen zum Schiff. Wenn wir sehen, andere Menschen treiben im Wasser, dann müssen wir uns erst einmal um sie kümmern. Auf der „See Watch“ gibt es dann Essen, Decken, medizinische Versorgung.

Wo bringen Sie die Flüchtlinge hin?

Spagl: Grundsätzlich hat „See Watch“ das Ziel, sie auf andere Schiffe, zum Beispiel der Küstenwache, zu übermitteln, die sie dann in Sicherheit bringen. So war es jedenfalls auf der „Sea Watch 2“. Dort war kein Platz für einen längeren Aufenthalt. Jetzt, mit der „Sea Watch 3“, ist das machbar.

„In der Situation selbst funktioniere ich“

Ich stelle mir vor, dass das, was Sie sehen und erleben, zur Belastung für die Psyche werden kann.

Spagl: Bevor wir aufs Schiff gehen, gibt es Trainings, unter anderem zur psychischen Stressbewältigung. Und natürlich Briefings für die praktische Arbeit und einen Erste-Hilfe-Kurs. Bisher habe ich so richtig schlimme Fälle nicht erlebt. Aber es ist belastend, ganz klar. In der Situation selbst funktioniere ich. Da gibt es sehr viel zu tun. 

Danach versuche ich, die Dinge zu abstrahieren. Das muss ich ja auch, wenn ich einmal Arzt bin. Nur, im Krankenhaus sterben die Menschen an Krankheiten oder Verletzungen. Oder einfach, weil sie alt sind. Aber da draußen auf dem Meer, da sterben junge gesunde Menschen. Und was ist die Ursache? Eine haarsträubende Ungerechtigkeit.

Womit wir beim politischen Aspekt Ihres Engagements sind.

Spagl: Flucht ist doch das Symptom eines Problems. Und wir sind so weit entfernt von den Ursachen. Wir diskutieren nicht über die Ursachen. Vielfach geht es nur um die Einteilung: böse Wirtschaftsflüchtlinge, gute Kriegsflüchtlinge. Außerdem verlagern wir das Leid, etwa nach Griechenland und Italien. Damit wir es nicht sehen. Was es bräuchte, wäre eine Lösungssuche. Es macht mich zornig, wenn ich Diskussionen verfolge, die abstrakt bleiben. Dann stelle ich mir die Leute vor, die durch die Hölle gehen, und wir sprechen über Zahlen. Ich wünschte, es gäbe wieder so eine Stimmung wie 2015: Solidarität.

Wie geht es für Sie weiter?

Spagl: In zwei Jahren bin ich mit dem Studium fertig. Dann kommt das „Arzt im Praktikum“. Ich kann mir gut vorstellen, später einmal als Arzt an Brennpunkten der Welt zu arbeiten. Bis dahin aber brauche ich noch deutlich mehr Erfahrung.

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