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„Unsere Mutter ist nicht an, sondern wegen Corona gestorben“: Luise Schleichs  (81) einsamer Tod

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Von: Stefanie Zipfer

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Der Tod ihrer Mutter schmerzt: Heidi Posselt (r.) und ihrer Schwester Lydia Behrendt bleiben nur die Erinnerungen. © Habschied

Luise Schleich war 81 Jahre alt und, abgesehen von ihrer Demenz, fit. In ihrem Seniorenheim war die alte Dame beliebt. Nun verstarb sie ganz alleine - wegen Corona.

Oberschleißheim – Luise Schleich war 81 Jahre alt und, abgesehen von ihrer Demenz, fit und gut drauf. In ihrem Oberschleißheimer AWO-Seniorenheim, in dem sie seit neun Jahren lebte, war die alte Dame beliebt, sie galt als unkompliziert und freundlich. Doch dann kam Corona. Jeden Sonntag kam die Familie im Oberschleißheimer AWO-Seniorenheim vorbei, man lachte gemeinsam und spielte „Memory“. Die Besuche ihrer Kinder waren Luise Schleichs „Highlight“, wie sich Tochter Heidi Posselt erinnert. 

Doch im Zuge der Ausgangsbeschränkungen verhängte das Seniorenheim ein Besuchsverbot, eine Woche später trat dann die Bayerische Infektionsschutzverordnung mit einem noch strengeren Besuchs- und Betretungsverbot für Pflegeeinrichtungen in Kraft. Für Luise Schleich, die bislang in ihrem Rollstuhl unterwegs war, bedeutete dies: Sie war hauptsächlich ans Bett gefesselt. Wenn Tochter Heidi anrief und sich nach der Mama erkundigte, bekam sie die Auskunft: „Essen gut, schlafen viel.“

Coronavirus/Oberschleißheim - Allgemeinzustand der 81-Jährigen verschlechterte sich

Doch gut war es bald nicht mehr. Der Allgemeinzustand der 81-Jährigen verschlechterte sich, ein Bereitschaftsarzt diagnostizierte ein Lungenödem. In der Hoch-Phase der Corona-Pandemie brachte man Luise Schleich daher am 21. April „aufgrund unklarer Diagnose“ in das Schwabinger Krankenhaus; dort hatte die Klinik eine Abteilung nur für die Versorgung von Covid-19-Patienten geschaffen. Doch schnell kam die Entwarnung: „Eine freundliche Ärztin sagte uns, dass unsere Mutter nicht an Covid-19 erkrankt ist“, erinnert sich Heidi Posselt.

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Als nette und gesellige Bewohnerin galt Luise Schleich (r.) im AWO-Altersheim in Oberschleißheim. © privat

Doch gemäß der Bayerischen Infektionsschutzverordnung war eine Rückverlegung in den Seniorenpark Oberschleißheim erst mal ausgeschlossen. „Nach unserer derzeitigen Einschätzung handelte es sich bei der Krankenhauseinweisung Ihrer Mutter um einen sogenannten stationären Aufenthalt (...), wodurch es nicht möglich war, Ihre Mutter wieder aufzunehmen“, schrieb Maike Hessel, Referentin für Seniorenpflege bei der AWO München, zur Erklärung an die Kinder.

Seniorin nicht mit Corona infiziert: Nach der Klinik darf Luise Schleich nicht zurück ins Seniorenheim

Das Problem: Auch im Schwabinger Krankenhaus durfte die nicht mit Corona-infizierte 81-Jährige nicht bleiben. „Wir haben derzeit schlicht keinen Platz für sie“, wurde Tochter Heidi erklärt - die ihre Mutter bis dahin bereits fünf Wochen nicht mehr gesehen hatte.

Am 27. April schließlich fand man eine Lösung für Luise Schleich: Sie wurde in die Schön-Tagesklinik für Demenz in München verlegt, wo sie erneut in strenge Quarantäne kam. Der 81-Jährigen ging es jedoch immer schlechter: Sie jammere laut, wahrscheinlich leide sie an Vereinsamung, teilte das Pflegepersonal der Familie immer wieder mit. Doch „dieses mentale Leiden“ behandle man „mit Stimmungsaufhellern und Schmerzmitteln“. Die Familie litt mit: „Meine Mutter hatte Angst, sie war dement! Sie hat doch gar nicht verstanden, was um sie rum passiert“, sagt Tochter Heidi Posselt.

Luise Schleich zurück im Heim: Ein letzter Abschied von der Familie

Am 6. Mai durfte Luise Schleich endlich wieder zurück in ihr Heim nach Oberschleißheim. Doch ihr Lebenswille wollte nicht mehr zurückkommen; die Kinder erhielten unterdessen per E-Mail das Angebot, ein digitales Video-Telefonat per Skype mit der Mutter zu führen. Am 8. Mai schließlich wurde die Familie erneut verständigt. Zwei Personen dürften „wegen des kritischen Gesundheitszustands“ von Luise Schleich per Ausnahmegenehmigung ins Heim. Heidi Posselt und ihre vier Geschwister aber rückten gemeinsam an: „Wir wollten uns alle verabschieden. Hätten wir denn auslosen sollen, welche zwei von uns nochmal zur Mama ins Zimmer dürfen?“ Am Ende drückte das Personal ein Auge zu, nur wenigen Stunden später, am Morgen des 9. Mai, verstarb Luise Schleich. Ihre Tochter Heidi sagt: „Meine Mama ist nicht an Corona gestorben. Sie ist wegen Corona gestorben.“

Nach Tod von 81-Jähriger: „So kann man mit den Schwächsten der Gesellschaft nicht umgehen!“

Die Tochter macht weder der Pflegeeinrichtung, noch den Kliniken einen Vorwurf: „Das ist ein kleines, gutes Heim. Und die Ärzte waren alle freundlich.“ Dennoch sei es „ein Unding, was man meiner Mutter angetan hat“! Klar, sagt Heidi Posselt, „früher oder später“ wäre ihre Mutter gestorben. „Aber da hätte sie nicht vorher sieben Wochen Isolation erleiden müssen!“ Die Vorschriften im Bayerischen Infektionsschutzgesetz „tragen dazu bei, dass alte Menschen sterben“. Bei allem Verständnis für die Gefährdungslage durch die Corona-Pandemie, ist sie daher überzeugt: „So kann man mit den Schwächsten der Gesellschaft nicht umgehen!“

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