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Was mit Unku geschah

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Von: Andrea Kästle

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Juliane von Wedemeyer und Janko Lauenberger bei ihrer Lesung in der Buchhandlung Isartal. © Andrea Kästle

Ein kleines rotes Büchlein. Es heißt „Ede und Unku“ und handelt von einer ungewöhnlichen Freundschaft.

Pullach – Zwischen einem Arbeiterjungen, Ede, der verzweifelt ist, weil sein Vater gerade den Job verloren hat, und einem „Zigeunermädchen“ voller Übermut – Unku eben. Das Ganze spielt in den politisch aufgeladenen 20er Jahren, erschienen ist das Büchlein 1931. Geschrieben hat es die jüdische Schriftstellerin Grete Weiskopf, aber sie hatte die Geschichten darin nicht erfunden. Ede und Unku wohnten in ihrer Nachbarschaft. Jetzt, vor Kurzem, ist wieder ein Buch erschienen, das so heißt wie die beiden Freunde, es ist allerdings um einiges dicker. Darin wird von der Journalisten Juliane von Wedemayer erzählt, wie es Unku in ihrem weiteren Leben ergangen ist. Schlecht, wie man annehmen darf. 1944 ist sie von den Nazis ermordet worden.

Wedemeyer, die in Pullach in der Presseabteilung arbeitet, ist in der DDR aufgewachsen, und dort wurde, da war sie allerdings noch nicht geboren, in den 1950er Jahren das Büchlein wieder aufgelegt. Grete Weiskopf, die schon 1933 hatte emigrieren können, war nach Deutschland zurückgekommen, sie schrieb für die Neuauflage ein Vorwort, in dem es heißt, sie befürchte sehr, dass ihre „Zigeunerfreundin“ Unku nicht mehr leben würde. Das kleine rote Büchlein wurde Schullektüre, und auch Wedemeyer musste es lesen, in der fünften Klasse. Was sie offenbar gern tat, „es gehörte zu meinen Lieblingsbüchern“. Und dann? Machte sie, längst in München wohnend, als Journalistin eine Reportage über Sinti in Deutschland, und sie bekam Kontakt zu dem Berliner Jazz-Gitarristen Janko Lauenberger. Bald stellte sich raus, dass er ein Nachkomme ist von Unku. So kam die Idee für das Buch zustande, auch wenn Janko sich erst ein bisschen zierte: „Bei mir rufen so viele Journalisten an und befragen mich zu meiner Herkunft, ich bin etwas müde geworden, darüber zu reden.“

Letztlich haben die beiden monatelang an dem Projekt gearbeitet, Juliane von Wedemeyer war in vielen Archiven. Sie fuhr nach Auschwitz, wo sie Labordaten entdeckt hat, die beweisen, wann Unku gestorben sein muss: zwischen Ende März und Anfang April 1944. Die junge Sintiza war in Birkenau, es gibt Zeugen, die gesehen haben, wie sie starb. Einer von ihnen war Kurt Ansin, der Großvater von Janko. Ach so: Unkus Mutter war die Cousine seiner Oma.

Aber auch andernorts fanden sich Spuren des einst so lebhaften Mädchens, das offenbar sehr gern getanzt hat – und ja überhaupt auch erst mal Glück gehabt hat in seinem Leben. Indem es nämlich einen netten Freund fand und den dann auch heiratete. Wobei der Hochzeit das eigenartige Ritual vorausging, dass dieser Freund, Mucki, bei der Oma um Unkus Hand anhielt in aller Form und sich daraufhin erst mal eine Ohrfeige einfing. Ehe er freudig aufgenommen worden ist in die Familie.

Unterlagen über Unku fanden sich auch in den Zigeunerpersonalakten des Polizeipräsidiums Magdeburg, im Bundesarchiv in Berlin und in verschiedenen Stadtarchiven, und irgendwann war Juliane von Wedemeyer klar, dass sie auch noch nach Liverpool würde reisen müssen. Denn das dort beheimatete Archiv der „Gypsy Lore Society“ verwahrt unter anderem auch den Nachlass von Hanns Weltzel, einem Journalisten, der in den 1920er Jahren Sinti und Roma in ganz Deutschland besucht und fotografiert hat. Auch von Unku machte er Fotos, und er war es auch, der dieses Lied aufschrieb, das sie ihm vorgesungen haben muss, in dem es unter anderem heißt: „Ich stehe an der Straße mit meinem dunklen Mund … wenn Du willst, so lach ich.“

Wie gesagt, erst mal hatte Unku keinen Grund, nicht zu lachen. Sie und Mucki erwarteten ein Kind. Aber es war jetzt schon mitten in den 1930er Jahren, und man ahnt natürlich als Leser, dass es so nicht lange weitergehen wird, und dann kommt auch schon der Satz im Buch, in dem es heißt, dass Mucki seine Tochter nie würde kennenlernen können. Am 13. Juni 1938 holten sie ihn aus dem Zigeunerlager in Magdeburg Neustadt ab, in das die ganze Familie längst umgesiedelt worden war. Vier Jahre schuftete er in Buchenwald im Steinbruch, dann war er Teil einer Gruppe von Menschen, an denen Impfstoffe für Fleckfieber ausprobiert worden sind. Als er auch das überlebte, gaben sie ihm irgendwann eine Spritze – an der er starb. Er wurde nur 24.

Immer wieder hatten sich seine Mutter und Unku bemüht bei den Behörden, um seine Freilassung zu erwirken. „Er weiß doch inzwischen, wie man arbeitet“, begründeten sie ihre Versuche treuherzig, er war verhaftet worden im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“. Unku selber wurde dann am 1. März 1943 deportiert, mit ihren inzwischen zwei kleinen Töchtern. Die erste, noch kein Jahr alt, starb schon nach einem Monat Auschwitz. Die zweite, Marie, das Kind von Mucki, lebte noch ein Jahr. Als Unku dann, eben Ende März/Anfang April 1944, auch von ihrem Tod erfuhr, ist sie, hat Wedemeyer herausgefunden, aus der Baracke gerannt, hat wie irr gelacht. Und wurde umgebracht, entweder auch durch eine Spritze oder erschossen.

„Ich habe manchmal beim Schreiben einfach nur geweint“, sagt die Autorin. Vor kurzem stellten sie und Janko ihr Buch vor in der Buchhandlung Isartal in Pullach. Die Besucher konnten nicht fassen, dass die Sinti, die doch schon vor 500 Jahren eingewandert sind nach Deutschland, hier noch immer nicht selbstverständlich dazugehören. „Was halten Sie von dem Wort Zigeuner“, wollte eine Frau von Janko, der an diesem Abend Gitarre spielte, aber auch von seinem Aufwachsen in der DDR erzählte, wissen. „Ich hasse es“, sagte er.

Jankos Familie übrigens, also der Teil der Familie, der die NS-Zeit überlebt hat, hat übrigens den schönen Jugendroman von Grete Weiskopf zufällig mal in einer Buchhandlung in Ost-Berlin entdeckt. So wuchs Janko mit dem kleinen roten Büchlein auf. In der Schule hat er die Geschichten über die ungleichen Freunde dann noch mal gelesen. Aber er erzählte niemandem, dass er mit der wilden Unku verwandt ist. Was aus Ede wurde, hat Juliane von Wedemeyer übrigens nicht herausfinden können. Er hat aber nach dem Krieg Grete Weiskopf, seine alte Nachbarin, einmal besucht, das schreibt sie im Vorwort. „Selbstverständlich ist aus mir kein Nazi geworden“, berichtete er ihr anscheinend.

Das Buch

„Ede und Unku – die wahre Geschichte: Das Schicksal einer Sinti-Familie von der Weimarer Republik bis heute“ von Janko Lauenberger, Juliane von Wedemeyer ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen.

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