Seniorenheim für Pferde: Lebensabend mit liebevoller Fürsorge

Lydia Böcks Hof „Marina“ in Arget ist ein kleines Pferdeparadies. Viele Pferde, die aufgrund von Alter oder Krankheit nicht mehr sportlich geritten werden können, genießen hier einen guten Lebensabend. Für Lydia Böck ist das eine Herzensangelegenheit.
Arget – Lena holt Serro aus seiner Box. Erstmal striegeln und ein paar Krauleinheiten. Dann geht es raus auf den Außenplatz, direkt neben dem Stall. Serro (vollständig: Serro-Linnert) ist 31 Jahre alt. Das ist für Pferde eine Hausnummer. Vergnügt trottet der Wallach neben Lena her. „Ich mach jetzt Bodenarbeit mit ihm“, sagt die Zwölfjährige. Heißt: Er muss auf Lenas Kommandos hören, stehen bleiben, wenn sie stehen bleibt, weitergehen, wenn sie weitergeht – und auch auf Ansage rückwärts- oder seitwärtstreten. Mehrmals die Woche kümmert sich Lena so um „ihren“ Serro, der Stallchefin Lydia Böck gehört. Sie weiß: Auch alte Pferde wollen nicht nur gefüttert werden. Sie brauchen Ansprache, eine Aufgabe, was für den Kopf. Im Grunde ist es wie bei den Menschen.
Das älteste Pferd ist 33 Jahre alt
Lokaltermin im Stall Marina, gleich hinter Arget. Er hat im Landkreis einen guten Ruf – vor allem als Seniorenpension, was nicht ganz korrekt ist. Denn das jüngste Pferd, Don Camillo, ein dunkelbrauner Wallach, ist acht Jahre jung, das älteste, Stute Samba, 33 Jahre alt. Aber richtig ist auch: Viele Pferde, die aufgrund von Alter oder Krankheit nicht mehr sportlich geritten werden können, genießen hier einen guten Lebensabend.
Insgesamt ist Platz für 14 Tiere, so viele Paddockboxen stehen in dem luftigen, hellen Stall zur Verfügung. Paddockbox heißt: Jedes Pferd kann jederzeit von seiner Box raus in ein umzäuntes Areal ins Freie treten – wenn sie nicht gerade eh auf der Koppel stehen. Zwischen 8 und 14 Uhr sind sie hier auf der Weide. „danach müssen sie rein, schon wegen der ganzen Bremsen und Mücken“, erklärt Lydia Böck. Böck, 57 Jahre alt, betreibt diesen Stall seit 21 Jahren. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Robert Herrmann hält sie ein idyllisch gelegenes Pferdeparadies zwischen Wiese und Wald am Laufen. „Ich bin ein Naturmensch“, sagt sie. Stall Marina? „Habe ich nach meiner Tochter benannt.“
Früher im Trabrennsport erfolgreich
Das mit dem Rentnerhof oder Gnadenbrotstall war nie geplant: „Aber viele Pferde sind eben schon so lange hier - das beeinflusst ganz klar die Altersstruktur.“ Anders formuliert: Eine hohe Fluktuation kennt man hier nicht, was definitiv auch für die Qualität von „Marina“ spricht.
In ihrem vorherigen Leben war die gelernte Floristin Böck im Trabrennsport erfolgreich. Auf der Rennbahn in Daglfing konnte man damals, Anfang der 90er Jahre, noch gutes Geld verdienen. „3000 Mark gab’s für den Sieger, und auch wer nicht als erster durchs Ziel ging, gewann leicht mal 500 Mark“, erinnert sie sich. Die Pferde verdienten quasi ihre Unterhaltskosten selber. Lange her.

Lydia Böck, geboren in Johanneskirchen, hat irgendwann ihr „Hobby zum Beruf gemacht“, sagt sie. Dem geht sie mit viel Leidenschaft nach. Der Stall ist tiptop gefegt, die Einstreu in den Boxen, wahlweise Stroh oder Späne, sauber und reichlich. Dreimal täglich werden die Pferde gefüttert, im monatlichen Pensionspreis (370 Euro) sind Heu, Stroh und Kraftfutter enthalten, Koppelgang sowieso. Wer etwas Spezielles für seinen Vierbeiner will, muss es selber hinstellen. „Ich füttere, was die Pferdebesitzer wünschen. Alles eine Sache der Absprache“, sagt Böck. Aber sie achtet auch darauf, ob die Pferde zu dick oder zu dünn sind. Schaut nach dem Rechten. Eigentlich 24 Stunden am Tag, da sie gleich direkt am Stall wohnt.
Viel Fürsorge
Lydia Böck kümmert sich. Am späten Vormittag, wenn noch alle Pferde auf der Koppel sind, die Boxen ausgemistet und der Hof gefegt ist – das sind für Böck auch immer die schönsten Momente des Tages: „Ein gutes Gefühl, wenn alles gemacht und in Schuss ist.“ Sie sorgt auch dafür, dass die Vierbeiner nach dem Winter vorsichtig angegrast werden, jeden Tag ein paar Minuten mehr, bis sie sich an das frische Gras gewöhnt haben. Angrasen heißt dieses Procedere, denn Pferde haben einen empfindlichen Verdauungstrakt, da droht schnell mal eine Kolik, die tödlich enden kann.
Wer Pferdebesitzer fragt, auch ehemalige, warum sie ihre Pferde hier einstellen, bekommt immer ähnliche Atworten: der gepflegte Stall, die Fürsorge seiner Betreiberin, Verlässlichkeit im Stallmanagement und auch die Möglichkeit der weitverzweigten Ausreitwege. Komfort trifft Idyll, damit kann Stall Marina prima punkten. Ärger im Paradies scheint es selten zu geben: „In den 20 Jahren konnten nur zwei Pferde nicht bleiben, die ließen sich einfach nicht in die Gruppe beim Weidegang integrieren“, erzählt Böck. Und aktuell muss das Stalldach repariert werden, Hagelschäden. „Das kostet leicht mal wieder 10.000 Euro.“
Wallach Serro kommt nach getaner Arbeit wieder in seine Paddockbox. Lena ist mit ihm zufrieden und mit sich wohl auch. Sie tätschelt ihn liebvoll. Und morgen Früh geht’s für den ehemaligen Traber wieder raus, zusammen mit seinen Kumpels auf die Koppel.
Volker Camehn