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Politiker, Arzt und Wirtschaftsvertreter aus dem Landkreis: Was halten Sie von einer Impfpflicht?

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Von: Patricia Kania, Laura May, Florian Prommer

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Was halten Sie von einer Impfpflicht? Wir haben Menschen gefragt. (Symbolbild)
Was halten Sie von einer Impfpflicht? Wir haben Menschen gefragt. (Symbolbild) © Daniel Karmann/dpa

Politiker, Arzt und Vertreter aus Kultur und Wirtschaft erklären ihren Standpunkt.

Landkreis – Die Impfquote in Deutschland stagniert. Doch Experten sind sich sicher: Das Vakzin ist der einzige Weg aus der Pandemie. Die Rufe nach einer Impfpflicht werden lauter, jüngst forderte auch Landrat Christoph Göbel (CSU) eine solche. Wir haben Vertreter aus Kultur, Wirtschaft und Politik gefragt: Was halten Sie davon?

Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete (Grüne): „Impfen führt aus der Pandemie, davon bin ich überzeugt. Es schützt nicht nur mich, sondern alle die, die sich nicht impfen lassen können, das sind insbesondere die Kinder. Ich bin mit Moderna geimpft und hatte kurzzeitige Nebenwirkungen, ja. Aber ich mag mir gar nicht ausmalen, wie die Nebenwirkungen von Corona bei mir gewesen wären. Es ist superärgerlich, dass beim Impfen in Bayern von Anfang an der Wurm drin war. Eine zögerliche Impfkampagne, Hickhack um die Priorisierung, anfangs zu wenig Impfstoff, Gerüchte und schlechte Aufklärung. Dann das voreilige Schließen der Impfzentren. Und vielleicht war es auch etwas voreilig, gleich zu Beginn der Pandemie, als sich noch niemand ausgekannt hat, eine Impfpflicht auszuschließen. Inzwischen haben wir wieder massiv ansteigende Infektionszahlen und überlastete Intensivstationen. Ich persönlich sage:

Ich habe von der Rücksichtslosigkeit einiger die Nase voll. Ich glaube, mit besseren Kontrollen und guter Aufklärung und niedrig schwelligeren Angeboten können wir die Impfquote noch steigern. Ich sage aber auch, dass ich ganz persönlich als letzte Möglichkeit für eine Impfpflicht bin. Und wenn das nötig ist, sollte man nicht ein weiteres Jahr warten.“

Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete (Grüne)
Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete (Grüne) © Privat

Matthias Riedel-Rüppel, Intendant Kleines Theater Haar: „Was mich beim Thema Impfen am meisten besorgt, ist die gesellschaftliche Spaltung, zu der es führt. Ich bin gerade in Madrid, hier beträgt die Impfquote der über 12-Jährigen 85 Prozent und die Stimmung zwischen den Menschen ist deutlich besser, das Miteinander unkompliziert. In der Pflege, also in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, wo es darum geht Menschen zu schützen, sollte es aus meiner Sicht eine Impfpflicht geben. Ich höre die Einwände schon, dass die Impfung nicht vor Weitergabe des Virus schützt. Mag so sein.

Allerdings ist es beim Motorradfahren auch Pflicht, einen Helm zu tragen, der das Risiko vor Verletzungen nur minimiert. Wer das nicht will, darf eben nicht Motorrad fahren. Im kulturellen Bereich halte ich Einschränkungen, wie es sie jetzt mit 2G gibt, allerdings für ausreichend. Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigt bei den Besuchern eine Impfquote von nahe 100 Prozent. Also hätte eine Impfpflicht keine weitere Auswirkung. Dennoch wurde der politische Druck natürlich wahnsinnig erhöht, was bei den Impfgegnern eher zu weiteren Gegenwehr führt. Möge unsere Gesellschaft das aushalten.“

Florian Schardt, SPD-Kreisvorsitzender: „Zwei Gruppen führen aktuell zur Überlastung der Kliniken: erstens Ungeimpfte, zweitens Geimpfte aus Risikogruppen. Für Letztere braucht es unbürokratische Angebote zur Boosterimpfung, die Impfzentren müssen wieder hochgefahren werden, ergänzt um niederschwellige Angebote vor Ort. Für Ungeimpfte braucht es eine Doppelstrategie: Werben, werben, werben einerseits, für Volljährige aber auch die flächendeckende Anwendung von 2G, was einer Impflicht nahekommt. Die persönliche Freiheit ist ein hohes Gut. Sie endet dort, wo die Freiheit Anderer über die Maßen beschränkt wird.“

Florian Hahn, Bundestagsabgeordneter (CSU): „Ich kann die Sympathien für eine Impfpflicht prinzipiell nachvollziehen. Denn Nicht-Impfen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Erkrankung und die Infektionsketten, die dadurch entstehen, gilt es in unser aller Interesse möglichst auszuschließen. Insofern ist das Nicht-Impfen in meinen Augen in hohem Maße unsolidarisch. Gleichwohl löst Zwang immer Gegenreaktionen aus und das sollte gerade in einer ohnehin stark polarisierenden Zeit nicht das Mittel der ersten Wahl sein.

Wir müssen die Menschen vielmehr weiter zum Mitmachen animieren und mit aller Kraft Überzeugungsarbeit leisten. Große Sorge bereitet mir allerdings die Situation in den Krankenhäusern und den Pflegeeinrichtungen sowie für unsere Kinder, die schon so viel aushalten mussten.“

Florian Hahn, Bundestagsabgeordneter (CSU)
Florian Hahn, Bundestagsabgeordneter (CSU) © Privat

Christoph Leicher, Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses: „Die extreme Zunahme von Infektionen machen die längst überfällige Integration von flächendeckenden Antikörpertests für Geimpfte und Genesene spätestens nach sechs Monaten deutlich. Der „unbekannte quantifizierte Schutzstatus“ ist ein enormes Risiko für diese große Personengruppe. Nahezu alle wähnen sich unreflektiert in einer trügerischen Sicherheit und verzichten auf die so wichtigen FFP2-Masken. Weiterhin ist den wenigsten klar, dass sie auch nach vollständiger Impfung das Virus an Dritte verteilen können. De politisch Verantwortlichen haben durch das planlose Hin und Her in der frühen Phase der Impfungen wesentlich zu der enormen Skepsis der heute noch Ungeimpften beigetragen.

Eine Impfpflicht würde derzeit nur in geringem Maße zu einer signifikanten Verbesserung der Situation führen. Gerade nach der für Bayern proklamierten stringenten Polizeikontrollen der 3G/2G-Regeln würde zu eine „Kriminalisierung“ der Nichtgeimpften führen. Das würde keinem helfen.“

Friedrich Kiener, Allgemeinmediziner: „Ich bin für eine Impfpflicht in Berufsgruppen, die mit besonders vulnerablen Gruppen arbeiten. Wenn die Impfpflicht nach sich zieht, dass es alle Freiheiten wieder gibt, würde ich es sogar für die Allgemeinheit empfehlen. Eine Impfpflicht von vorn herein wäre schlau gewesen. Jetzt ist es schwer zu vermitteln. Einige meiner Patienten haben Vorbehalte; viele fragen sich: Warum lasse ich mich impfen, wenn ich das Virus trotzdem herumtragen kann? Auch Eltern haben begründete Bedenken. Denn: Corona ist für Kinder nicht sehr gefährlich.

Das Risiko der Langzeitschäden ist für 12- bis 30 Jährige gering. Das Risiko, durch eine MRNA Impfung eine Herzmuskelentzündung zu bekommen, liegt in dieser Altersgruppe hingegen bei 1:17 000. Vor allem ältere Menschen sollten sich daher impfen lassen, damit die Intensivbetten frei bleiben für die Menschen, die sie wirklich brauchen. Junge Leute sollten sich impfen lassen, will sie als Überträger fungieren – aber man sollte jungen Menschen keinen Vorwurf machen, wie schon zu Beginn der Pandemie mit der Angst die eigenen Großeltern umzubringen.“  pk/fp/lm

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