Tiefe Kluft am Rathausplatz: „Spaziergänger“ treffen auf Gegen-Demo

Gegner und Befürworter der Corona-Maßnahmen standen sich am Rathausplatz in Unterschleißheim gegenüber. Wir waren vor Ort.
Unterschleißheim – Am Montagabend standen sich Gegner und Befürworter der Corona-Maßnahmen auf dem Unterschleißheimer Rathausplatz in der Kälte gegenüber. 20 Meter und eine Kluft gegensätzlicher Meinungen trennten die Gruppen.
Auf der einen Seite ein Pulk von 220 sogenannten Spaziergängern, ohne Abstand und Masken. Auf der anderen etwa 70 Menschen, die Abstand hielten und FFP2-Masken trugen. Sie folgten dem Aufruf der Grünen Bernhard Schüßler und Helmut Göbel und demonstrieren für eine solidarische Pandemiebekämpfung.

Die Polizei postierte sich mit etwa 30 Einsatzkräften dazwischen: „Wir schützen beide Veranstaltungen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu gewährleisten“, sagte ein Sprecher. Brenzlige Situationen gab es nicht. Unter den „Spaziergängern“ wurde aber ein verurteilter Rechtsextremist aus Oberschleißheim gesehen, der dem Dritten Weg angehört. Ebenso gesichtet wurde AfD-Stadtrat Peter Kremer.
Für die Gegen-Demo „Solidarisch statt Schwurbeln“ hatten Schüßler und Göbel 50 Personen angemeldet. Kurz darauf informierten auch die Gegner der Corona-Maßnahmen die Polizei über ihren „Spaziergang“. Daraufhin forderte die Polizei weiteres Personal an.
“Man muss zwischen Meinung und wissenschaftlich fundierten Fakten trennen“
Bei den Demonstranten für Solidarität, die überparteilich ein Zeichen setzen wollen, stehen auch Bürgermeister Christoph Böck und zahlreiche Stadträte. Bernhard Schüßler lädt zu Beginn zur Schweigeminute ein, „für die vielen Menschen, die in der Coronakrise ihr Leben verloren haben“. In seiner Ansprache zeigt er Verständnis, dass man in schweren Situationen einfache Lösungen suche, „aber man muss dabei zwischen Meinung und wissenschaftlich fundierten Fakten trennen. Hass, Gewalt und Verschwörungstheorien sind Gift für die Demokratie.“

Der 22-jährige Politikwissenschaftler würdigt die Leistung der Pflegenden und die schwierige Situation von Kindern und Jugendlichen. SPD-Stadträtin Birte Bode betont: „Abstand, Maske und Impfen sind zumutbare Forderungen. Sie ermöglichen einen solidarischen Weg, mit der Pandemie umzugehen.“ Lissy Meyer, Stadträtin der Grünen, erklärt sich als Krankenschwester und Hospizhelferin mit Pflegenden und Schwerkranken solidarisch. Spontan greift der Unterschleißheimer Thomas Schulze zum Mikrofon: „Es fällt mir nicht leicht, hier zu sprechen, aber es muss sein. Mein Schwager ist jämmerlich an Covid krepiert. Lasst euch impfen.“ Der Unterhachinger Florian Dietrich warnt vor verschleierten Botschaften Rechtsextremer und Antisemiten, die Coronaproteste vereinnahmten.
Eigentlich hätten „alle die Schnauze voll“, sagt Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler, „auch ich habe keinen Nerv mehr.“ Trotzdem ist sie da und mahnt: „Protest ist legitim, aber mit Abstand und Maske. Nicht legitim ist es, Rechtsextreme zu dulden. Da muss man aktiv werden und sich abgrenzen.“
„Wir fordern unsere Grundrechte zurück“
Doch auf der anderen Seite artikulieren sich die Impfgegner nicht. Keine Reden, keine Transparente, nur wenige Zwischenrufe: „Wir fordern unsere Grundrechte zurück“, ruft ein Mann, bevor der Protestzug sich in Bewegung setzt und gegen 19 Uhr vor dem Rathaus nur Menschen mit Maske übrig bleiben.
Im Vorfeld hatte Schüßler für seinen Aufruf zur Demo auch negative Reaktionen geerntet, erzählt er, Bedenken, dass damit die gesellschaftliche Spaltung vertieft würde. Schüßler sieht es anders: „Beide Positionen sind ja schon da. Es ist wichtig, auch für die solidarische Pandemiebekämpfung einzutreten. Das betrifft uns gerade in Unterschleißheim, weil es hier eine vergleichsweise aktive rechtsextreme Szene gibt.“
1100 Spaziergänger im Landkreis
Neun sogenannte „Spaziergänge“ als Ausdruck des Unmuts gegen die Corona-Maßnahmen der Politik verzeichnete die Polizei am Montagabend im Landkreis München. Insgesamt rund 1100 Personen beteiligten sich nach Auskunft eines Sprechers des Polizeipräsidiums München an den Kundgebungen, die allesamt „ohne besondere Vorkommnisse“ verliefen.
Lediglich drei Versammlungen, nämlich in Unterschleißheim mit 220, in Haar mit 83 und in Kirchheim mit 60 Teilnehmern, waren offiziell angemeldet worden. Unangemeldete Spaziergänge gab es in Unterhaching mit 300 Teilnehmern, die laut Polizei „atypisch mehrfach die Zugrichtung änderten“, Ottobrunn (160), Ismaning (90), Oberhaching (80), Sauerlach (80) und Neuried (60).
Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus im Landkreis München informieren wir in unserem News-Ticker.