„Jahrhundertchance vertan“: Streit wegen BMW-Absage eskaliert

Die Wogen in Unterschleißheim haben sich noch immer nicht geglättet: Nach der Absage von BMW wettert die SPD im Stadtrat gegen die CSU. Die Suche nach dem Whistleblower läuft weiter.
Unterschleißheim – Nach der Absage von BMW steht im Stadtrat Unterschleißheim weiter die Frage nach dem Whistleblower im Raum. Wer hat im Oktober erste Informationen zu Größe und Lage einer BMW-Ansiedlung aus nicht-öffentlichen Sitzungen an die Öffentlichkeit getragen? Um Schuld und Verantwortung ging es am Donnerstag im Stadtrat und um die Frage: Wie steht die Unterschleißheimer Kommunalpolitik jetzt da?
BMW-Zoff: Böck wütet gegen CSU
Offenbar standen die Chancen für die Schleißheimer BMW-Bewerbung sehr gut. Bürgermeister Christoph Böck (SPD) berichtete: „Wenn die Veröffentlichung durch die CSU nicht passiert wäre, dann wäre der Standort Unterschleißheim-Oberschleißheim noch im Rennen.“ Mit Oberschleißheim wären die Gewerbesteuern „50 zu 50“ geteilt worden. Man hätte eine Autobahnausfahrt und eine Umgehungsstraße gebaut und in Anlehnung an den Moos-Heide-Park das Trenngrün erhalten. Zweimal habe der Stadtrat mit großer Mehrheit für eine Bewerbung gestimmt, Böck ist sauer: „BMW hat angekündigt, dass wir in vier Wochen die Öffentlichkeit einbeziehen können. Aber drei Wochen später geht die CSU an die Öffentlichkeit. Das verurteile ich. Das ist ein Vertrauensbruch mit Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten.“ Derweil gibt es bei BMW eine weitere große Veränderung: BMW-Chef Harald Krüger kündigt seinen Rücktritt an.
Die CSU traf die Kritik allerdings kaum. Sie sieht sich nach der kommunalrechtlichen Prüfung des Landratsamts von allen Vorwürfen befreit. Die Aufsichtsbehörde hat den CSU-Vorstoß von Stefan-Krimmer geprüft, der in den Medien gefordert hatte, die BMW-Pläne einzustellen. Stadtsprecher Thomas Stockerl zitierte aus der rechtsaufsichtlichen Prüfung: Dass BMW ein Interesse am interkommunalen Standort hatte, sei als Tatsache „bereits offenkundig“ gewesen „und von BMW der Presse gegenüber bestätigt“ worden. Den Standort habe BMW nicht bestätigt, dieser sei aber „durch wiederholte Veröffentlichung verdichtet worden“.
BMW: CSU ist sich keiner Schuld bewusst
Krimmer sagte dazu: „Die Lagepläne waren so oft in der Presse zu sehen und den Berichten ist nie widersprochen worden.“ Die Schweigepflicht wäre nur verletzt worden, „wenn man konkrete Inhalte aus nicht-öffentlichen Sitzungen verraten hätte. Das ist nicht passiert. Wir haben nur kommentiert, was in der Presse stand.“ Man müsse „dankbar sein, „dass die CSU es in diese Richtung geschoben hat. Mit unserer Infrastruktur wäre ein Vorhaben dieser Masse nicht machbar gewesen.“
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Jürgen Radtke (Grüne) setzte dagegen: „Wunderbar, dass Sie die Lorbeeren einstreichen.“ Er pochte darauf, dass der Stadtrat schon vor Monaten transparenter mit dem Thema hätte umgehen müssen. „Das haben wir verpennt.“ Er hatte im Januar beantragt, alle Informationen offenzulegen. Auch die Bewerbungsunterlagen, die an BMW geschickt wurden, sollten publiziert werden.
Bürgermeister Böck stellte klar, nicht er habe die Schweigepflicht erteilt. Vielmehr hätten am 18. April 2018 in einem ersten Gespräch BMW-Vertreter bei Landrat Christoph Göbel (CSU) um vertrauliche Behandlung bei der Standortsuche für ein viertes Unternehmenszentrum gebeten, bis im April 2019 eine Wahl getroffen sei.
BMW: CSU war „von Angst um Wählerstimmen getrieben“
„Eine Jahrhundert-Chance“ wurde vertan“, bedauerte Annegret Harms (SPD): „Wir begraben heute das große Projekt BMW.“ Eine Bürgerbeteiligung wäre angelaufen: „Die Bürger hätten Ja oder Nein sagen können.“ Jetzt aber „kocht die Gerüchteküche in der Stadt, weil ein Stadtrat die Presse informiert hat.“ An die CSU adressierte sie: „Von Angst um Wählerstimmen getrieben, setzte sich die CSU über die Schweigepflicht hinweg.“
Doch Schweige-Codex hin oder her: Ohne die Stimmen von CSU, Grünen, ÖDP hätte es wohl keine finale Mehrheit für BMW gegeben. Das Ende der Diskussion forderte Martin Reichart (FB): „Der Blick zurück bringt doch nichts.“
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