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Gedenken an ermordete Juden – Künstler verlegt 32 Stolpersteine in München

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Von: Klaus Vick

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„Stolpersteine bauen Brücken zwischen den Menschen heute und den Angehörigen der Ermordeten“, sagt Thomas Nowotny.
„Stolpersteine bauen Brücken zwischen den Menschen heute und den Angehörigen der Ermordeten“, sagt Thomas Nowotny. © Astrid Schmidhuber

Am Montag wurden in München an elf Orten 32 Stolpersteine verlegt. Jahrelang war über diese Art des Gedenkens an NS-Opfer gestritten worden.

München - Jeder einzelne Schlag, den der Künstler Gunter Demnig vorsichtig mit dem Hammer setzt, hallt nach, so still und andächtig ist es am Montagvormittag an der Mariahilfstraße. Elf neue Stolpersteine werden in dem Viertel auf Privatgrund verlegt, um an Münchner zu erinnern, die einst hier wohnten und brutal aus dem Leben gerissen wurden, deportiert und ermordet von Nationalsozialisten, weil sie jüdische Wurzeln hatten.

Neue Stolpersteine in München

Etwa 40 Menschen haben sich zusammengefunden, um die Verlegung der Steine zu mitzuerleben. Viele von ihnen tragen Kippa. Einer von ihnen ist Thomas Nowotny. Der 58-jährige Kinderarzt ist aus Rosenheim angereist, wo er lebt. Vom Holocaust war seine Familie besonders stark betroffen. „13 meiner Münchner Verwandten wurden deportiert“, sagt Nowotny. „Elf haben nicht überlebt.“

Mit dem gestrigen Tag sind nun 90 Stolpersteine an 28 Standorten im Stadtgebiet verlegt. 150 weitere gestiftete Stolpersteine sind bereits angefertigt. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat seit 1996 in über 750 Städten und Gemeinden in neun Ländern Europas über 38.000 Steine in Bürgersteige eingesetzt. 

Die Stadt München lehnt Stolpersteine ab 

Der Münchner Stadtrat jedoch hat diese Form des Gedenkens für den öffentlichen Raum nach jahrelanger Debatte 2015 abgelehnt. Vor allem die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) lehnt die Stolpersteine entschieden ab. Das Gedenken an die NS-Opfer werde damit sinnbildlich mit Füßen getreten. Stattdessen entschied sich der Stadtrat für Wandtafeln und Stelen als Erinnerungszeichen für NS-Opfer.

Stolpersteine für Nazi-Opfer liegen auf Privatgrund

Dennoch wollen viele Münchner nicht auf Stolpersteine verzichten – und viele Hauseigentümer verweigern sich dem Wunsch nicht. Etwa an der Türkenstraße 26. Hier setzt Demnig am Demnig am Montagabend ebenfalls einen Stolperstein ein, für einen ermordeten Verwandten von Thomas Nowotny. Der letzte des Tages. „Mein Großcousin Emil Oestreicher lebte hier“, sagt Nowotny. Oestreicher (Jahrgang 1873) wurde zunächst in drei verschiedenen Münchner Internierungslagern festgehalten, unter anderem an der Clemens-August-Straße 9. 1942 verschleppte man ihn nach Theresienstadt. Im Juli 1942 wurde er ermordet.

Nowotny glaubt fest daran, dass es keine schönere Form des individuellen Erinnerns gibt. „Die Stolpersteine fallen durch ihre Farbe stark auf“, sagt er, „man erschrickt erst ein wenig und stolpert mit dem Herzen. Und wer die Namen der Ermordeten lesen möchte, verbeugt sich vor ihnen.“ Daher engagiert sich Nowotny auch in Rosenheim für Stolpersteine vor den Häusern der deportierten und ermordeten Menschen während des Holocaust. Nur langsam kommt die dortige Initiative voran. „Wir konnten im im Landkreis bereits sechst Stück verlegen lassen.“

In München setzt Künstler Demnig am Montag über die ganze Stadt hinweg 32 Stolpersteine, organisiert vom Verein „Initiative Stolpersteine für München“. Sie stehen nun an der Franziskanerstraße 41, Mariahilfstraße 7 sowie 9, an der Zeppelinstraße 16, Waltherstraße 29, Elisenstraße 3, Seestraße 8, Leopoldstraße 52a, Keuslinstraße 4 und Türkenstraße 26 – ausschließlich auf Privatgrund.

Künstler Gunter Demnig verlegte gestern auch diese vier Stolpersteine
Künstler Gunter Demnig verlegte gestern auch diese vier Stolpersteine. © Astrid Schmidhuber

An der Mariahilfstraße sind sich alle einig: Stolpersteine sind die passendste Form der Erinnerung. Die von der Stadt geförderten Stelen sieht man kritisch. „Das muss jede Familie selbst entscheiden“, sagt Nowotny diplomatisch. Andere sind in ihrer Meinung deutlicher. „Eine Stele kann auch zum Fahrradständer mutieren“, sagt etwa Hildebrecht Braun, der ein Bürgerbegehren für städtische Stolpersteine gestartet hat, „warum stehen die Steine auf Privatgrund? Die Eigentümer haben doch keine Juden und die vielen anderen Opfer der Nazis ermordet.“

Die ersten sechs von der Stadt München in Auftrag gegebenen Stelen und vier Wandtafeln wurden Ende Juli eingeweiht, bis Jahresende sollen weitere 50 folgen. Der Stadtrat hat 150.000 Euro für etwa 100 Tafeln und 100 Stelen bewilligt. Sie werden in Absprache mit den Verwandten bis zum Jahr 2020 in der Stadt aufgestellt.

Nach einem Kompromiss zum Gedenken an die Nazi-Opfer konnte Aktionskünstler Gunter Demnig 2017 erste Stolpersteine in Augsburg verlegen.

Stolpersteine in München - Die neuen Mahnmale für die Nazi-Opfer

Die Adressen der neuen Stolpersteine: Franziskanerstr. 41 (Anton Braun), Mariahilfstr. 7, Mariahilfstr. 9, Zeppelinstr. 16 (Heinrich und Hilda Goldstein – Dora und Friedrich David Helbing – Ludwig und Josephine Hamberger – Isaak, Malia, Wolfgang, Nahum und Jakob Gordin) – Ickstattstr. 13 (Gusta Rosner), Waltherstr. 29 (Nanette Neuburger – Karl, Lieselotte Hermine und Else Levi), Elisenstr. 3 (Jakob und Maria Klopfer), Seestr. 8 (Max Michels – ­Alfred und Ilse Jetti Löffler – Gustav, Margarete, Annemarie und Günther Baldauf), Leopoldstr. 52 a (Rosa, Lotte und Susi Bechhöfer), Keuslinstr. 4 (Siegmund Fleischer, Benno Bing), Türkenstr. 26 (Emil Oestreicher)

Hilda Goldstein

Hilda Goldsteins Eltern waren Samuel Einstein und Fanny, geborene Lang. Am 20. Juli 1893 heiratete sie in München ihren Heinrich (s. links). Das Paar hatte eine Tochter, Dora (geb. am 2. März 1895 in München). Hilda und ihr Gatte lebten zusammen in der Mariahilfstraße, ab dem ersten Kriegsjahr erst im Übernachtungsheim Wagnerstraße, dann im Altenheim Mathildenstraße und ab 1942 im Barackenlager Knorrstraße. Hilda wurde mit ihrem Mann nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka vergast.

Hilda Goldstein
Hilda Goldstein © Stadtarchiv

Heinrich Goldstein

Der Kaufmann Heinrich Goldstein wurde am 29.12.1862 in Welbhausen (Kreis Uffenheim, Mittelfranken) geboren. Seine Eltern waren der Metzgermeister Samson Goldstein und Doris (geb. Neustein). Heinrich heiratete 1893 in München seine Hilda (geb. Einstein), die aus Buttenwiesen im Landkreis Dillingen stammte. Goldstein ist am 1. Juli 1893 nach München gekommen, um hier zu leben. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka ermordet.

Heinrich Goldstein
Heinrich Goldstein © Stadtarchiv

Dora Helbing

Dora Helbing (geb. Goldstein) wurde am 2. März 1895 in München geboren. Ihre Eltern hießen Friedrich Heinrich Goldstein und Hilda Goldstein – ihr Schicksal können Sie unter den Ziffern 1 und 2 links unten nachlesen. Am 22. Mai 1941 heiratete die Sekretärin ihren Friedrich David. Dora lebte zunächst bei ihren Eltern in der Mariahilfstraße 9, seit 1941 mit ihrem Gatten in der Corneliusstraße 1. Ermordet am 13.3. 1943 in Auschwitz.

Dora Helbing
Dora Helbing. © Stadtarchiv

Friedrich David Helbing

Der am 16. Dezember 1888 in München geborene Kunsthändler trat in die Fußstapfen seines Vates Hugo, der ebenfalls Kunsthändler war und mit Sofie (geb. Liebermann) verheiratet war. Friedrich David Helbing heiratete am 27. Mai 1941 Dora (geb. Goldstein, s.o.), ebenfalls eine gebürtige Münchnerin. Am 13. März 1943 wurde Friedrich David Helbing ins KZ Auschwitz deportiert – und noch am gleichen Tag in dem Vernichtungslager in Polen ermordet.

Friedrich David Helbing
Friedrich David Helbing. © Stadtarchiv

Emil Oestreicher

Emil Oestereicher, Kürschner, geb. 1873, lebte an der Türkenstraße 26. Wurde 1942 nach Theresienstadt verschleppt und ermordet.

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Emil Oestreicher. © Stadtarchiv

Lesen Sie auchMünchen hat im Oktober 2017 sechs neue Stolpersteine bekommen. Um die Stelen am Platz der Freiheit in Neuhausen, die an 13 Münchner Widerstandskämpfer erinnern, gab es vergangenes Jahr Streit.

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